Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 444 / September 2024

Stadtentwicklung unter Druck

Ohne einen Hotelentwicklungsplan könnte der Tourismusboom zu einem Turbo der Gentrifizierung werden

Von Thomas Baptista

Auch im Jahr 2024 fehlt in Berlin nach wie vor eine umfassende Steuerung des Beherbergungsgewerbes. Der ungebremste Flächenverbrauch durch Hotelneubauten verschärft den ohnehin dramatischen Mangel an bezahlbarem Wohnraum in der Stadt. Das freie Bauland und die günstigen Investitionsbedingungen haben dazu geführt, dass auch zentrumsnahe Lagen für Hotels attraktiv wurden. Diese Entwicklung bringt eine ganze Reihe von Problemen mit sich.   

Die Konzentration der touristischen Unterkünfte und die damit einhergehenden Ströme an Besucher/innen könnten das Alltagsleben der Bewohner/innen beeinträchtigen. Dazu gesellen sich schlechte Bezahlung für diejenigen, die Tag und Nacht dafür sorgen, dass die Hotelgäste sich wohl fühlen. Die Politik ist also aufgefordert, für mehr Möglichkeiten zur Regulierung von  Hotelansiedlungen zu sorgen, die stadtweit gelten, aber vor allem auf bezirklicher Ebene umgesetzt werden können. Doch hier liegt das Problem: Ohne wirksame rechtliche Grundlagen ist diese Forderung aussichtslos.

Das aktuelle deutsche Planungsrecht ermöglicht es Hotels, sich nahezu ungehindert auszubreiten, was nicht nur das Stadtbild, sondern auch das soziale Gefüge in den betroffenen Bezirken erheblich verändern kann. Unter dem harmlos klingenden Begriff „Beherbergungsbetrieb“ verstecken sich oftmals millionenschwere Investitionsprojekte global agierender Hotelketten. Darunter fallen Hotels, Pensionen und ähnliche Einrichtungen, deren Zulässigkeit in einem bestimmten Baugebiet nach den Vorschriften der Baunutzungsverordnung (BauNVO) oder regionalen Bestimmungen wie der Berliner Bauordnung (BauOBln) beurteilt wird. Doch diese Regelungen entpuppen sich in der Praxis oft als Einfallstor für eine unkontrollierte Ansammlung von Hotelprojekten.

Bestehende Instrumente reichen nicht

Der Bebauungsplan ist eigentlich das zentrale Instrument der städtebaulichen Steuerung, da er die Art und das Maß der baulichen Nutzung in einem Gebiet festlegt. Zwar können Bebauungspläne die Nutzung bestimmter Flächen aus städtebaulichen Gründen ausschließen oder beschränken. Jedoch zeigt sich in der Praxis, dass das Bauplanungsrecht keine gezielte Verhinderung unerwünschter Hotelprojekte zulässt. Eine Aufstellung von Bebauungsplänen allein mit dem Ziel, Hotels zu verhindern, ist rechtlich unzulässig, solange keine spezifischen städtebaulichen Gründe vorliegen. Dies offenbart die Schwäche des Instruments, das weder eine aktive Steuerung der Standortwahl noch eine Förderung bestimmter Qualitätsstandards in der Hotellerie ermöglicht. Die Folge ist eine Zunahme neuer Hotelbauten, während bezahlbarer Wohnraum Mangelware bleibt. 

Wenn auf einem Grundstück der Bau eines Hotels vorgesehen ist, könnte die zuständige Behörde theoretisch ihr Vorkaufsrecht nutzen, um das Projekt zu verhindern. Auf diese Weise könnte die öffentliche Hand gezielt in die städtebauliche Entwicklung eingreifen, Flächen für alternative Nutzungen freihalten und die Interessen des Bezirks besser berücksichtigen. Diese Option bietet eine Möglichkeit, der unkontrollierten Hotelentwicklung entgegenzuwirken, insbesondere in Bereichen, die bereits von sozialen Problemen wie Verdrängung und Umwandlung von Wohnraum betroffen sind. Stattdessen könnten solche Grundstücke für Projekte genutzt werden, die die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaft stärker in den Fokus rücken.

Durch das Instrument der städtebaulichen oder sozialen Erhaltungssatzung wird der Rückbau, die Änderung und die Nutzungsänderung von baulichen Anlagen genehmigungspflichtig. Theoretisch soll dies den Erhalt der städtebaulichen Eigenart eines Gebiets oder die Zusammensetzung der Bevölkerung schützen. Wenn die Ansiedlung eines Hotels negative Auswirkungen auf die bestehende Gemeinschaft hat, etwa durch steigende Mieten für die Anrainer oder die Verdrängung von Anwohner/innen, könnte eine Erhaltungssatzung das verhindern.

 In einigen Fällen dient sie auch explizit dem Schutz von Wohnraum und der Verhinderung der Umwandlung von Wohngebäuden in Hotels oder ähnliche Nutzungen. So wurde in Lübeck eine soziale Erhaltungssatzung eigens erlassen, um der zunehmenden Nutzung von Wohnungen als Ferienunterkünfte entgegenzuwirken. Ein vergleichbares Vorgehen könnte in Berlin genutzt werden, um das Vordringen und die Ansammlung von Hotels in bestimmten Vierteln zu bremsen, die Wohnraumversorgung in begehrten Lagen zu sichern und die soziale Struktur in Wohngebieten zu bewahren. 

Allerdings zeigt die Praxis, dass die rechtliche Basis für die Versagung solcher Nutzungsänderungen oft unklar und von Einzelfallentscheidungen abhängig ist. Dies macht die Erhaltungssatzung zu einem rechtlich fragilen Instrument mit begrenzter Steuerungswirkung. Obwohl Berlin seit den 1990er-Jahren soziale Erhaltungsgebiete ausweist – aktuell gibt es 78 solcher Gebiete – bleibt die tatsächliche Wirksamkeit dieses Instruments in Bezug auf die Kontrolle der Hotelansiedlung stark eingeschränkt.

Auch die Regelungen der sogenannten „Zulässigkeitsbremse” laut § 15 BauNVO erweisen sich in der Praxis als problematisch. Der § 15 BauNVO erlaubt es, Bauvorhaben abzulehnen, wenn sie „die Eigenart des Baugebiets” stören könnten oder unzumutbare Belästigungen und Störungen verursachen. Dies eröffnet theoretisch die Möglichkeit, die Genehmigung für Hotels in Wohn- oder Mischgebieten zu verweigern, wenn sie durch ihre Größe oder die damit verbundenen Störungen das Gebiet beeinträchtigen. Doch ähnlich wie die Erhaltungssatzung erweist sich auch dieses Instrument in der Praxis als wenig rechtssicher, weil unklar bleibt, ab wann eine „unzumutbare Belastung” tatsächlich vorliegt. Die unklaren Vorgaben und die Notwendigkeit, jedes Vorhaben individuell zu prüfen, lassen viel Spielraum für Interpretationen und erschweren eine konsequente Steuerung der Hotelansiedlung.

Neuer Rechtsrahmen notwendig

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat deshalb versucht, mit einem Katalog von Kriterien für diese Regelung etwas mehr Klarheit zu schaffen. Wenn beispielsweise ein Hotel in einer ruhigen Wohnstraße geplant ist oder bereits eine Häufung von Beherbergungsbetrieben im Umfeld besteht, könnte die Genehmigung abgelehnt werden. Doch auch hier bleibt die rechtliche Grundlage schwach, was die Wirksamkeit dieses Instruments in Frage stellt. Es wäre eine weitere vermeintliche Kontrollmöglichkeit, die in der Praxis nur begrenzt greift und die Überhandnahme von Hotels in sensiblen Stadtgebieten nicht wirklich verhindern kann.

Das wohl vielversprechendste Instrument wäre die Einführung eines umfassenden und landesweiten Hotelentwicklungskonzepts. Ein solches Konzept könnte klare Grenzen für die Anzahl von Hotelbetten festlegen, Eignungsstandorte definieren und Gebiete ausschließen, die besonders von sozialer Verdrängung bedroht sind. Doch bislang fehlt es an politischem Willen, ein solches Konzept in Berlin verbindlich umzusetzen. Die Stadtpolitik scheint zu zögerlich, wenn es darum geht, dem starken Einfluss der Immobilienwirtschaft entgegenzutreten.

Was in der Theorie gut aussieht, erweist sich in der praktischen Anwendung oft als nicht ausreichend, um gegen den Druck der Immobilienlobby zu bestehen. Die oben beschriebenen Instrumente verdeutlichen die begrenzten Einflussmöglichkeiten auf die Hotelentwicklung und die damit verbundenen Herausforderungen für eine nachhaltige Stadtplanung.

Folge dieser mangelnden Regulierung ist eine fortschreitende Gentrifizierung, die das soziale Gefüge Berlins verändert. Während die Zahl der Hotels in den kommenden Jahren weiter wachsen wird, werden einkommensschwache Menschen aus ihren Vierteln verdrängt und der dringend benötigte Wohnraum wird knapp. Der ungebremste Bauboom von Hotels ist ein Symptom einer Politik, die sich zu sehr von wirtschaftlichen Interessen leiten lässt und dabei die Bedürfnisse der Bevölkerung aus den Augen verliert.

Es ist an der Zeit, dass die Stadtverwaltung handelt und rechtliche Rahmenbedingungen schafft, die es ermöglichen, den Wildwuchs der Hotelindustrie zu zähmen und den Weg für eine nachhaltige und stadtverträgliche Tourismusentwicklung frei zu machen. Sonst werden die  Szene-Kieze Berlins bald nur noch eine Kulisse für den Tourismus sein anstatt ein lebenswertes Zuhause für ihre Bewohner/innen.

 

Die Artikel dieses Themenschwerpunkts sind hervorgegangen aus den Arbeiten im Studienprojekt „Ein Hotelentwicklungsplan für Berlin“ des Masterstudiengangs Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Im Wintersemester 2023/24 wurde das bislang kaum bearbeitete Aufgabenfeld „Steuerung des Beherbergungswesens“ des Berliner Tourismuskonzepts 2018+ als Ausgangspunkt genommen, um planerische und baurechtliche Grundlage des Themas zu erschließen und Herausforderungen und Chancen der Hotelentwicklungsplanung im städtischen Kontext zu untersuchen. Das Projekt erstellte ein Magazin, in dem es in sechs Fallstudien verschiedene Aspekte des Themenfeldes beleuchtete und praxisbezogene Handlungsmöglichkeiten für eine nachhaltige Tourismusplanung aufzeigen konnte.

Link zum Magazin: https://tinyurl.com/rfp57w82

Thomas Baptista studiert Stadt- und Regionalplanung (Master) an der TU Berlin u.a. mit den Schwerpunkten Tourismus und Hotelentwicklungsplanung.


MieterEcho 444 / September 2024

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