MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat TITEL

Der neue Traum vom festen Job

Was als Befreiung von den Zwängen der Lohnarbeit begann, ließ mit der Zeit ein neues Prekariat entstehen

Christoph Villinger

„Arbeiten, wo, wie und wann man will.“ Macht die Alternativbewegung jetzt auch schon Werbung, fragten sich zur Arbeit hetzende Berliner/innen, als sie diesen Slogan vor wenigen Monaten auf vielen Plakatwänden in der Stadt entdeckten. Dazu gehörte das Bild einer auf einem Berggipfel sitzenden jungen Frau, auf dem Schoß ein Notebook. Doch hinter dieser Werbung steckte eine Imagekampagne aus dem Unternehmerlager für die „neue Selbstständigkeit“. Denn von den Wünschen einer ganzen Generation aus den 70er und 80er Jahren, endlich über Inhalt, Ort und Produktionsweise der Arbeit selbst bestimmen zu können, ist wenig geblieben.

Das Schlimmste war ein geregelter Beruf für die nächsten 45 Jahre, jeden Tag von 9 bis 17 Uhr, immer das Gleiche, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Dafür winkte zwar eine ausreichende Rente, doch wartete am Ende nicht auf alle der gleiche Tod, egal ob man sich anpasste oder das Leben genoss? Deshalb rebellierten seit Mitte der 70er Jahre Millionen von Menschen in der westlichen Welt gegen dieses Lebensmodell, brachen Schule und Ausbildungen ab und experimentierten mit neuen Lebensformen jenseits von Lohnarbeit, Leistung und Kleinfamilie. Rund 20% der jungen Erwachsenen rechnete die berühmte Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 1980 diesem alternativen Milieu zu. Man befürchtete fast schon den Zusammenbruch des Kapitalismus. Wer Geld brauchte, ging „jobben“ und mit dem Einkommen von drei Monaten Arbeit in der Fabrik konnte man halbwegs übers Jahr kommen. Man bekam problemlos einen unbefristeten Arbeitsvertrag, den man, für die Chefs völlig unverständlich, nach wenigen Monaten selbst kündigte.

Sozialabbau und Arbeitsmarktveränderungen

Rund 30 Jahre später sieht in Deutschland die Realität anderes aus. Nur noch 44% des „Erwerbskräftepotenzials“, also alle, die arbeiten oder arbeiten könnten, haben laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine feste, unbefristete und sozialversicherte Arbeitsstelle, die sie zudem noch gut ernährt. Verweigern sich die übrigen 56% einer lebenslangen Ausbeutung?

Ohne Zweifel gelang es den verschiedenen sozialen Bewegungen seit Mitte der 70er Jahre, das „Modell Deutschland“ aufzubrechen. Man benutzte die damals noch ohne Gegenleistung erhältlichen staatlichen Sozialleistungen und hohe Löhne, um sich arbeitsfreie Zeit zu erkämpfen. Doch schon zu Beginn der 80er Jahre begann die Kohl-Regierung, den Zugang zu Sozialgeldern Schritt für Schritt zu erschweren. Gleichzeitig entwickelte sich weltweit mit der Computertechnologie die dritte industrielle Revolution. Diese machte viele Berufe von der Sparkassenangestellten bis hin zum Setzer einer Zeitung schlichtweg überflüssig. Noch Mitte der 80er Jahre wurden alle bürgerlichen Zeitungen in Berlin per Bleisatz gesetzt. Ausnahmen waren linke Zeitungsprojekte wie die taz, die sich undogmatisch und ohne Widerstand der Gewerkschaften mit den neuen Techniken anfreunden konnten. Gerade aus dem alternativen Milieu heraus entwickelte sich die neue flexibilisierte Arbeitswelt. Das Bedürfnis nach Eigenverantwortung kehrte mit den Hartz-Gesetzen kapitalistisch verfasst zurück als „Ich-AG“ und „neue Selbstständigkeit“.

Konkurrenz durch Globalisierung

Auch in den Fabriken gerieten die Arbeiter/innen durch die heute Globalisierung genannte weltweite Entwicklung immer mehr mit ihren Kolleg/innen in Brasilien in Konkurrenz, die für ein Zehntel des Lohns arbeiteten. Da heute etwa der Transport einer Flasche Wein von Argentinien nach Deutschland nur 8 Cent kostet, spielt es nahezu keine Rolle mehr, wo etwas produziert wird. So verlagerten sich Produktionsstätten in die sogenannten Billiglohnländer.

Und auf dem Bau tauchten spätestens seit dem Fall der Mauer Millionen von Konkurrenten von östlich der Oder auf. Ähnlich wie früher deutsche Jugendliche bei der Weinernte in Südfrankreich, malochten sie kurzfristig bis zu zwölf Stunden am Tag, um sich dann mit dem verdienten Geld in ihrem Land eine Existenz aufzubauen. Nur näherten sich infolge dieser Entwicklung die Löhne auf dem Bau in Deutschland eher denen in Polen an. Nicht wenige der Arbeitenden antworteten mit rassistischem Verhalten. Statt gemeinsam mit den Zuwanderern Mindestlöhne und -standards durchzusetzen, versuchten sie die Konkurrenten auszugrenzen. Sind Mindestlöhne in den meisten anderen europäischen Ländern normal, war dies bis vor wenigen Monaten hier noch ein Fremdwort.

Im Ergebnis jobbt man heute nicht mehr drei Monate, sondern zwölf Monate im Jahr – ohne Urlaub. Es ist nicht mehr die eigene Entscheidung, diesen oder jenen Job zu machen, sondern die ökonomischen Verhältnisse zwingen dazu, fast alle anzunehmen. So layoutet man tagsüber auf Honorarbasis Werbebroschüren, um abends zusätzlich in einer Kneipe zu arbeiten. Die working poor, die man lange nur aus Erzählungen aus den USA oder aus südeuropäischen Ländern kannte, sind inzwischen mitten in Berlin angekommen.

Selbst die sozialdemokratische Friedrich-Ebert-Stiftung entdeckte letztes Jahr die „neue Unterschicht“ und das „Prekariat“. Dabei ist zu unterscheiden zwischen denjenigen, die aufgrund der „fehlenden Bildung“ ins Abseits gedrängt wurden – sie machen rund 8% der Bevölkerung aus – und denjenigen, die schlicht mit einem Monatseinkommen unterhalb der Armutsgrenze, also maximal 938 Euro auskommen müssen. Zu Letzteren zählen inzwischen auch bedeutende Teile der akademisch Ausgebildeten. Voller Hoffnung auf den tollen gutbezahlten Job, den auch hin und wieder einer kriegt, streiten sie sich um schlecht oder gar unbezahlte Praktikumsplätze. Für eine normale Stelle als Sekretärin oder Sekretär verlangen die Unternehmen heutzutage oft ein abgeschlossenes Studium, dafür gibt es dann einen höchstens zwölfmonatigen Zeitvertrag. Und so verschieben sich die Träume – weg von der Befreiung vom Arbeitszwang hin zum unbefristeten Arbeitsvertrag.

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