MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat TITEL

Prekarisierung auf hohem Niveau

Arbeiten in der Kreativwirtschaft

Alexandra Manske

Dr. phil. Alexandra Manske ist Soziologin und Politikwissenschaftlerin. Sie promovierte 2005 zur sozialen Lage von freiberuflichen Webdesignern nach dem Zusammenbruch der New Economy. Sie erarbeitete zusammen mit Janet Merkel eine Studie über „Kreative in Berlin“. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften der HU Berlin.

Kunst und Kultur hatten schon immer volkswirtschaftliche Bedeutung. Aber spätestens seit Ende der 80er Jahre gilt die Kulturwirtschaft als einer der dynamischsten Wirtschaftsbereiche, was die Entwicklung von Umsatz und Beschäftigung betrifft. Etliche Studien bestätigen, dass die ökonomische und kulturelle Wertschöpfung in der Kultur- und Kreativwirtschaft ein Standortvorteil ist. Laut dem Bericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ lag der Anteil der Kultur- und Kreativwirtschaft an der Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik im Jahr 2004 mit 36 Milliarden Euro zwischen der Chemischen Industrie und der Energiewirtschaft. Die Gesamtzahl der Erwerbstätigen im Kultursektor betrug im Jahr 2003 rund 800.000 Personen und steigt beständig an – seit 1995 um rund 33%.

Kein Zweifel also, die Kulturwirtschaft ist ein boomendes Wirtschaftssegment. Zugleich aber breiten sich hier instabile, berufliche Existenzen aus. So könnte man fast sagen, dass im Schatten der Euphorie über das kreativwirtschaftliche Wachstum ein Heer von hochqualifizierten Geringverdiener/innen entsteht, die vielfach wie Tagelöhner/innen von der Hand in den Mund leben. Dies betrifft insbesondere die Alleinunternehmer/innen, immerhin ca. 40% aller Kreativen, von denen wiederum ein Viertel mit einem Jahreseinkommen unter 10.000 Euro zurechtkommen muss – und somit unter materiell prekären Bedingungen lebt. Was sich in der Kreativwirtschaft beobachten lässt, ist eine besondere Spielart von Prekarität, nämlich eine Prekarisierung auf hohem Niveau: Hohe Bildung trifft mit starker künstlerisch-kreativer Motivation zusammen und verbindet sich zu einer spezifischen Mischung von wirtschaftlichen Armutsrisiken und subjektiven Autonomiegewinnen.

Verschärfung der Entwicklung

Bemerkenswert ist, dass die Stadtpolitik die Kreativwirtschaft just in dem Moment als dynamischen Wirtschaftsfaktor entdeckte, als sich dort die Konkurrenzverhältnisse verschärften und sich der Markt bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Dynamik radikalisierte. So setzen Privatisierungen und die Schließung vieler öffentlicher Kultureinrichtungen immer mehr Akteure dem freien Markt aus. Während bis zu Beginn der 90er Jahre der öffentliche Kultur- und Medienbetrieb der wichtigste Arbeitgeber war, ist es nun die Privatwirtschaft. Dennoch ist der Wandel der Arbeitsstrukturen in der Kreativwirtschaft nicht neu. Er vollzieht sich bereits seit mehr als 20 Jahren. Doch seit etwa zehn Jahren verschärft sich seine Entwicklungsdynamik. Das Resultat ist eine Radikalisierung der Arbeits- und Marktbedingungen in der Kreativwirtschaft und eine zunehmende Wettbewerbslogik.

Kraftzentrum Kreativwirtschaft

Seit Mai 2008 existiert eine Initiative zur Unterstützung und Weiterentwicklung der „Kultur- und Kreativwirtschaft“ mit dem Titel „Created in Germany“, die die Bundesregierung ins Leben gerufen hat. Unbenommen der labilen wirtschaftlichen und sozialen Lage der Mehrheit der „Kreativen“ erhielt Berlin – die kreativwirtschaftliche Drehscheibe der Bundesrepublik – von der Unesco als erste Stadt in Europa im Januar 2006 die Auszeichnung „Stadt des Designs“ und wurde in das weltweite „Creative Cities Network“ der Unesco aufgenommen. Auch erklärte der Enquete-Bericht „Kultur in Deutschland“ die Klein- und Kleinstunternehmer zum „Kraftzentrum“ der Kreativwirtschaft, von dem die wichtigsten wirtschaftlichen Impulse ausgingen.

Mit all diesen Maßnahmen werden Alleinunternehmer/innen der Kreativwirtschaft zu politischen Adressaten der wirtschaftlichen Expansion des „Zukunftsfelds“ Kreativwirtschaft erkoren, während sich ihre Lage ganz anders darstellt.

Generation der Knappheit

Es kristallisiert sich eine Trennlinie zwischen zwei generationellen Gruppen heraus. Je früher die Akteure in die Kulturwirtschaft eingestiegen sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Lebensunterhalt eigenständig als Kreative bestreiten können.

Die jüngeren Kreativen, etwa ab dem Geburtsjahrgang 1970 gehören der Generation der Knappheit und damit jener Kohorte an, die in den 90er Jahren in die Kreativwirtschaft eingestiegen sind und folglich in der Phase sich verschlechternder Arbeitsmarktbedingungen ihren beruflichen Werdegang begonnen haben. Verschärfend für die Generation der Knappheit kommt die Superstar-Logik hinzu. Dies meint, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf wenige, prestigeträchtige Superstars konzentriert. Dadurch kommt es zu einer Monopolisierung des Reputationsgewinns, ohne dass die Wettbewerber notwendig weniger originell oder qualitativ schlechter, kurz weniger „kreativ“ wären. Charakteristisch für eine solche Superstar-Logik ist vielmehr, dass sich die messbaren künstlerisch-kreativen Leistungen der Akteure, wenn überhaupt, nur graduell voneinander unterscheiden, während ihre Einkommen erheblich auseinanderklaffen.

Vereinzelung und wirtschaftliche Lage

Ein grundlegendes Problem und Kennzeichen der Arbeit in der Kreativwirtschaft ist außerdem die funktionale Vereinzelung. Dieser Begriff beschreibt die Arbeitssituation, die als unmittelbare Folge aus der projektbestimmten Auftragsstruktur betrachtet werden kann. Viele Kreative arbeiten vereinzelt und werden statistisch kaum sichtbar, weil sie häufig die umsatzsteuerpflichtige Grenze von 17.500 Euro Jahreseinkommen unterschreiten. Da zudem häufig auf Rechnung gearbeitet wird und das Honorar erst lange Zeit nach Fertigstellung gezahlt wird, müssen die Kreativen regelmäßig in Vorleistung gehen. Die häufig ausgedehnten Auftragslücken zwischen den Projekten führen dazu, dass man „chronisch unterfinanziert ist und alle Risiken allein trägt“, so ein Betroffener. Insgesamt sind die Einkommensbedingungen in der Kreativwirtschaft äußerst disparat und polarisiert. Mindestens ein Fünftel der kreativen Solo-Selbstständigen unterschreitet die derzeitige Armutsrisikogrenze. Ein großer Anteil der kreativen Alleinunternehmer/innen jedoch lebt in materieller Hinsicht nicht unter prekären Bedingungen. In der Werbe- und Softwarebranche oder im Bereich der Videogames sind z. B. die Verdienstchancen nach der Überwindung der New-Economy-Krise wieder gestiegen, während die Verdienstchancen in den klassischen Kultursektoren gering ausfallen. Oft zahlt sich die Arbeit insbesondere dann kaum aus, wenn Kreative auf öffentliche Förderung bzw. auf Engagements in öffentlichen Kultureinrichtungen angewiesen sind.

Sozialpolitische Statuslosigkeit

Arbeiten in der Kreativwirtschaft ist trotz des Hypes für die Mehrheit mit wenig politisch-institutioneller Anerkennung verbunden. Mit der Künstlersozialkasse (KSK) existiert zwar eine gesetzliche Mindestabsicherung für Künstler/innen und Publizist/innen; diese erfasst jedoch nicht alle der neuen Kulturberufe wie Kurator/innen oder Webentwickler/innen und beinhaltet keine Absicherung im Fall von Arbeitslosigkeit. Für die Alleinselbstständigen bleibt nur der individuelle private Versicherungs- und Vorsorgeschutz, der aus finanziellen Gründen meist nur unzureichend und häufig gar nicht erfolgt. Die sozialpolitische Statuslosigkeit wiegt für die Befragten oftmals schwerer als die unsichere finanzielle Lage. Sie fühlen sich in ihrer Tätigkeit weder gesellschaftlich wahrgenommen noch anerkannt. Vor diesem Hintergrund wächst etwa die Mitgliedschaft in der KSK über den Stellenwert einer günstigen Kranken- und Rentenversicherung hinaus und dient der institutionellen Anerkennung und der Gewissheit „dazuzugehören“.

„Brotjobs“ und schleichende Dequalifizierung

Viele Kreative übernehmen zusätzliche „Brotjobs“. Diese bessern zwar das Einkommen auf, liegen häufig aber in einem anderen Berufsbereich. „Brotjobs“ verhindern somit eine individuelle Weiterqualifizierung in dem eigentlichen Arbeitsfeld der Befragten. Sie tragen zu einer schleichenden Dequalifizierung bei, die nur durch entsprechende Mehrarbeit, einen höheren Zeitaufwand etc. abgefangen werden kann.

Kosten des Wachstums

Es zeigt sich: Die Kreativwirtschaft gewinnt nicht nur als wirtschaftspolitischer Faktor, sondern auch als Arbeitsmarkt an Bedeutung. Der Arbeitsmarkt Kreativwirtschaft durchläuft jedoch eine widersprüchliche Entwicklung: Während seine wirtschaftliche Dynamik steigt und ihn zu einem politischen Hoffnungsträger macht, verringern sich die erzielten Gesamteinkommen sowie die Anzahl der abhängigen Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse. Zugleich steigt die Anzahl der Alleinunternehmer/innen drastisch an. Es verändert sich folglich zum einen die Struktur des Arbeitsmarkts „Kreativwirtschaft“ hin zu einem von Solo-Selbstständigen dominierten Erwerbsfeld. Zum anderen ist mit diesem Trend eine Marktradikalisierung der kreativwirtschaftlichen Erwerbsbedingungen verbunden. Indikatoren für die verschärfte marktradikale Situation sind neben den steigenden Alleinunternehmerzahlen die ungewisse materielle Lage, eine arbeitspolitische Vereinzelung sowie die sozialpolitische Statuslosigkeit der Mehrheit der Kreativen. Dass also ausgerechnet die Kreativwirtschaft als Wachstumsmotor der Wissensgesellschaft inszeniert wird, ist mit hohen gesellschaftlichen Kosten verbunden, die zuvorderst jene Kreativen erbringen müssen, die sich als Alleinunternehmer/innen verdingen.

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