MieterEcho 330/Oktober 2008: Schöner Wohnen in Marzahn

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MieterEcho 330/Oktober 2008

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Schöner Wohnen in Marzahn

In den östlichen Plattenbaugebieten häufen sich seit langem die sozialen Probleme, deshalb gibt es auch in Marzahn NordWest ein Quartiersmanagement

Christoph Villinger

„In die Platte?“– viele Mieter/innen in den Altbaubezirken rund um die Berliner Innenstadt schütteln bei der Vorstellung, dort zu wohnen, mit dem Kopf. Zu fremd ist ihnen die Welt in den östlichen Außenbezirken. Aber dort hat sich inzwischen viel getan. Über die Hälfte der Hochhäuser sind saniert, Parks durchziehen die Siedlungen und das ehemalige Grau der Platte ist nur noch selten zu sehen. Angesichts des steigenden Verdrängungsdrucks in den Innenstadtgebieten könnte der Umzug nach Marzahn daher für manche eine Alternative bieten. Doch auch in Marzahn sind inzwischen die Mieten weder bedeutend billiger noch ist die soziale Situation besser – und bezahlte Arbeit ist oft noch rarer als in der Innenstadt. Ein Quartiersmanagement-Gebiet und zwei Präventionsgebiete befinden sich im Norden von Marzahn-Hellersdorf. Dort umgesehen hat sich Christoph Villinger.

Kaum hat man am S-Bahnhof Ahrensfelde die vierspurige Märkische Allee überquert, trifft man auf einen Schaukasten, in dem die seit 1983 existierende „Berlin Brandenburgische Wohnungsbaugenossenschaft e.G.“ eine Menge freier 1- bis 5-Zimmer-Wohnungen präsentiert. Doch die Preise unterscheiden sich nicht mehr stark von den Mieten in den innerstädtischen Altbauquartieren. Auch hier in der Platte kostet eine 38-qm-Wohnung inzwischen 280 Euro warm. In der zentralen Einkaufsstraße von Marzahn Nord-West, der Robert-Havemann-Straße, sind neben den üblichen Ketten viele Läden in vietnamesischer Hand, oft bieten Kneipen asiatische Kost und der „Neue Ahrensfelder Krug“ mit seiner „Deutschen Küche“ wirkt wie auf verlorenem Posten. Mehr als zwei Drittel des Viertels sind inzwischen saniert und auf einigen Balkone wachsen bunte Blumen. Als besonderer Lichtblick liegen zwischen den Hochhäusern die Ahrensfelder Terrassen, die wegen ihrer bunten erdfarbenen Fassaden eher an amerikanische Pueblo-Siedlungen erinnern. Hier baute man elfgeschossige Plattenbauten auf meist drei bis vier Stockwerke mit Balkonen und Dachterrassen zurück. Aus rund 1500 Wohnungen wurden etwa 450. Vor dem Supermarkt sprechen die Jugendlichen russisch, genauso wie ein Pärchen, das sich lautstark auf der Straße streitet. Viele der verbliebenen Elfgeschosser sind im Halbkreis um einen begrünten Innenhof herum gebaut. Nach etwa einem Kilometer endet das Viertel mit einer harten Kante und geht sofort über in die grüne Landschaft des Wuhletals, mittendrin ein Kletterturm des Alpinclubs Berlin, dessen 17,5 Meter steil in die Landschaft ragen.

Bevölkerungsschwund gestoppt

Auf den ersten Blick versteht man nicht, warum es sich bei Marzahn NordWest um ein Quartiersmanagement-Gebiet handeln sollte. Doch die von der Senatorin für Stadtentwicklung aufgestellten Bedingungen von „überdurchschnittlich hohen Anteilen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, hohem Ausländeranteil, einer starken Zunahme dieser Anteile sowie einer außergewöhnlich hohen Mobilität der Bewohnerschaft (hohes Wanderungsvolumen, negative Wanderungssalden)“ erfüllt auch dieses Quartier mit seinen rund 22.000 Bewohner/innen. Im Büro des Quartiersmanagements (QM), das in einem etwas morbide wirkenden Dienstleistungsbau mit Atrium liegt, möchte man offiziell gegenüber der Presse nichts sagen. Doch vor der Tür fallen dann doch ein paar Sätze. „Inzwischen ist der Bevölkerungsschwund bei etwa 22.000 Einwohnern gestoppt“, wird nicht ohne Stolz erzählt. Zur Zeit der Wende lebten hier etwa 35.000 Menschen. Auch die Leerstandsquote in den Wohnungen habe sich von einer zweistelligen Zahl noch vor wenigen Jahren deutlich auf einen einstelligen Bereich verringert. Das Viertel besteht quasi nur aus Mietwohnungen, die etwa zur Hälfte in der Hand von zwei, drei großen Genossenschaften sind, die andere Hälfte wird von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Degewo betreut. „Etwa 15 bis 20% der Bevölkerung kommen aus der früheren Sowjetunion“, weitere 5% stammen aus Vietnam und sind überwiegend schon seit den letzten Jahren der DDR hier. „Inzwischen gibt es sogar wieder Zuzug von Familien aus der Innenstadt, die sich die dortigen Mieten nicht mehr leisten können“, heißt es. Diesem Eindruck widerspricht allerdings Erika Kröber, Pressesprecherin der Degewo. „Wir können noch keine Zuzüge aus der Innenstadt feststellen, fast alle Umzüge finden innerhalb Marzahns und innerhalb der Großsiedlungen statt.“ Für die leicht ansteigende Bevölkerungszahl von Marzahn-Hellersdorf macht sie eher Zuzüge in die Einfamilienhaussiedlungen in Biesdorf verantwortlich.

Jugendamt sieht Bedarf

Im Gegensatz zur dortigen Bewohnerschaft – meist Familien des Mittelstands – leben im QM-Gebiet viele alleinerziehende Eltern von Hartz IV. Hier sieht auch ein Marzahner Sozialarbeiter die größten Probleme. Er spricht von einer „psychischen und materiellen Vernachlässigung der Jugend“, die verschiedene soziale Faktoren habe. Einer sei sicher die hohe Erwerbslosigkeit und die fehlenden Ausbildungen der Eltern, die er als „weiße, deutsche Verlierer“ bezeichnet. Aber auch die Zerschlagung vieler öffentlicher Nahversorgungsstrukturen in den letzten 20 Jahren spiele eine Rolle. „Viele sind mit ihren Kindern völlig überfordert“, berichtet er, „doch die Möglichkeiten der öffentlichen Intervention sind viel zu gering“. Denn selbst wo das Jugendamt einen hohen Bedarf zur „Hilfe zur Erziehung“ sieht, darf und kann es nichts machen, da der Berliner Senat die finanziellen Mittel für Familienhelfer runtergefahren hat. In diese Lücke springt seit 1995 das christliche Kinder- und Jugendwerk „Arche“ im nahegelegenen Stadtteil Hellersdorf. In einer umgebauten Schule bietet die „Arche“ neben der alltäglichen Betreuung für viele Bedürftige zumindest mittags eine kostenlose Mahlzeit an. Der Leiter, der wegen seiner pädagogischen Konzepte nicht unumstrittene Pastor Bernd Siggelkow, machte gerade wieder Schlagzeilen mit einem Buch über „Deutschlands sexuelle Tragödie – wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist“, in dem er etwas reißerisch verarbeitet, was er von den Jugendlichen so tagtäglich in seiner Einrichtung zu hören bekommt.

Bürger/innen gegen Abriss der Ringkolonnaden

Welche Repräsentanz und Relevanz die Berichte von Siggelkow für den Stadtteil haben, ist umstritten. Zumindest wirken in dem sich Marzahn NordWest nach Süden anschließenden Viertel rund um die Mehrower Allee sogar die vietnamesischen Zigarettenhändler recht fröhlich. Mit punkig gefärbten Haaren sitzen sie auf einer Parkbank. Ab und zu kommt jemand vorbei, drückt ihnen einen Geldschein in die Hand und zwanzig Meter weiter greift eine junge Frau in einen Papierkorb und übergibt dem Vorbeilaufenden eine Stange Zigaretten. Gleichzeitig kreuzen vier vor sich hinhüpfende russische Mädchen in Ballettkleidung seinen Weg, sie sind auf dem Weg zum Kulturzentrum in den nördlichen Ringkolonnaden. Etwa die Hälfte der am Eingang angeschlagenen Plakate ist auf russisch. Hier ist nach den Kriterien des Senats für Stadtentwicklung ein Präventionsgebiet.

Und es existiert ein Konflikt, der das Selbstbewusstsein der Einwohner wachsen lässt und der in den nächsten Monaten für einige Schlagzeilen gut sein wird. Denn die Bürger haben in den letzten Jahren nicht nu(MieterEcho Nr. 325, Dez. 2007)r den Totalabriss von mehreren Plattenbauten verhindert, sondern sie kämpfen jetzt sogar mit einen Bürgerbegehren für den Erhalt der vom Abriss bedrohten südlichen Ringkolonnaden . Warum sollte, was bei den Ahrensfelder Terrassen so toll gelungen ist, nicht auch einige Straßenzüge weitere südlich möglich sein: der behutsame Rückbau der Platte und der Erhalt der noch aus der DDR stammenden sozialen Zentren. Schön zeigt sich hier, wie die offizielle Zielsetzung des QM, die Bewohner zu ermächtigen, „die Situation des öffentlichen Raums wie auch des Zusammenlebens im Quartier als ihre eigene Sache begreifen und dazu befähigt werden, das Gemeinwesen selbst zu organisieren“, sich gegen die etablierte Politik wenden kann. In diesem Fall wehren sie sich gegen die Pläne des Bezirksamts und der Landespolitiker, die nach einem Totalabriss das Gelände in einen nahegelegenen Schul-Campus integrieren wollen. Bis Ende Februar müssen die Bewohner/innen nun gut 6000 Unterschriften für den Erhalt der südlichen Ringkolonnaden sammeln.

Weitere Infos unter:

www.quartiersmanagement-berlin.de
www.marzahn-nordwest-quartier.de

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