MieterEcho 325/Dezember 2007: Abriss statt Mietsenkung

MieterEcho

MieterEcho 325/Dezember 2007

Quadrat TITEL

Abriss statt Mietsenkung

In Berlin werden immer mehr bezahlbare Mietwohnungen vernichtet - jetzt stehen zwei weitere elfgeschossige Plattenbauten in Marzahn vor dem Komplettabriss

Christoph Villinger

Rollen bald die Abrissbagger an den Ringkolonnaden in Marzahn? Seit Monaten sind zwei große Plattenbauten an der Mehrower Allee und in der Ludwig-Renn-Straße mit insgesamt 477 Wohnungen mehr oder weniger entmietet. Während der Bezirk Marzahn-Hellersdorf eine Stadtumbauwerkstatt organisiert und einen behutsamen Rückbau der Gebäude anstrebt, schreibt die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft DEGEWO schon mal die Arbeiten für einen Komplettabriss aus. Sogar die als Symbole der DDR-Architektur geltenden südlichen Ringkolonnaden stehen zur Disposition. In letzter Minute sucht der Bezirk trägfähige Ideen, um die Bagger noch zu stoppen.

Insgesamt fünf Konzepte präsentierten Architekten und Stadtplaner den rund hundert Gästen am ersten Freitag im November. Im Kulturzentrum in den nördlichen Ringkolonnaden suchten die Versammelten, als Zuhörer unter ihnen auch Wolf Schulgen von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, nach Alternativen zu einem Komplettabriss der umliegenden Hochhäuser. Dabei sieht selbst der führend am Bau von Marzahn beteiligte Architekt Wolf-Rüdiger Eisentraut inzwischen, dass "damals oft zu hoch, zu dicht, zu massiv" gebaut wurde. Ein Rückbau ist also unstrittig. Nur wie dieser "wirtschaftlich tragfähig" aussehen kann, ist umstritten.

Steuergelder für Wohnraumvernichtung

Denn nach Meinung der Abrissbefürworter steht der Aufwand für eine Sanierung der "Elfgeschosser" in keinem profitablen Verhältnis zu den danach zu erzielenden Mieten. Mit dem Verweis auf angeblich über 100.000 leer stehende Wohnungen vor allem in den Plattenbauvierteln Berlins werden zurzeit über 4000 Wohnungen im Rahmen des Stadtumbaus Ost "vom Markt genommen". Völlig quer zur Ideologie der Marktbefürworter werden hier mit Steuergeldern sogenannte "Marktbereinigungen" durchgeführt, statt Mieten auch mal sinken zu lassen. Denn mit den "am Markt zu erzielenden Mieten" in den Plattenbauten ist zurzeit einfach kein bedeutender Profit zu machen. Inzwischen arbeiten sich auch in Berlin die städtischen Wohnungsbaugesellschaften im Rahmen ihrer Neuausrichtung an den erhofften Gewinnmarken von privaten Investoren ab.

Umzüge an die Stadtränder

Trotzdem ist es eine Tatsache, dass zurzeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR insgesamt rund eine Million Wohnungen - das sind rund 13% des Bestands - leer stehen. Knapp die Hälfte davon sind Altbauten und waren schon 1990 oftmals nicht mehr bewohnbar und verfallen weiterhin. Die andere Hälfte sind vor allem Wohnungen in den einst in der DDR sehr begehrten Wohnlagen in den Plattenbausiedlungen. Ein Teil der Bewohner/innen zog auf der Suche nach einem Einkommen nach Westdeutschland oder ins Ausland. Ein anderer Teil, und dies ist auch in Berlin ein Problem, zog aus der Platte ins kleine Eigenheim im Umland. Die verbliebenen Bewohner/innen konzentrieren sich in den aufwendig sanierten Plattenbauten, es herrscht ein hoher "Binnenumzug". Dieses Phänomen lässt sich ebenfalls gut im Land Brandenburg beobachten, wo zum Beispiel die Dörfer rund um Frankfurt/Oder wachsen, während die Oder-Stadt selbst unter dauerndem Bevölkerungsrückgang leidet und ganze Viertel fast leer stehen. In den letzten Jahren sind auf dem Gebiet der ehemaligen DDR bereits rund 200.000 Wohnungen abgerissen worden.

Dabei weist laut Umfragen der Bezirk Marzahn-Hellersdorf die höchste Wohnzufriedenheit in der Stadt auf. Denn inzwischen ist ein Großteil der Plattenbauten saniert, ihre Außenhüllen bestehen nicht mehr aus grauem Waschbeton, sondern sind mit Wärmeschutz verkleidet. In leuchtenden Regenbogenfarben passen sie sich gut in die inzwischen zu Parks gewachsenen Grünflächen ein. Insbesondere im Gebiet um die Mehrower Allee und im nördlichen Marzahn zogen in den letzten Jahren viele Spätaussiedler und jüdische Kontingent-Flüchtlinge aus Russland zu und stellen inzwischen rund ein Fünftel der Bevölkerung. Ein besonderes Schmuckstück des Bezirks sind die "Ahrensfelder Terrassen", ehemalige auf drei bis fünf Stockwerke rückgebaute "Platten".

Teilrückbau statt Komplettabriss

Die "Ahrensfelder Terrassen" dienen nun auch als Vorbilder für die Planungen rund um die Ringkolonnaden. Dabei variierten alle fünf Entwürfe letztlich den gleichen Gedanken, nämlich die elfgeschossigen Plattenbauten deutlich auf drei bis sieben Stockwerke abzusenken. Unterschiede waren eher in der Frage der Marktorientierung zu erkennen, besonders tat sich da ein Vertreter der Firma "SARI Business" hervor, der klar den Umbau in Eigentumswohnungen vertrat und von teuer zu verkaufenden "Penthäusern" auf den Dächern träumte. Andere Stadtplaner versuchen zusätzliche Mittel eher durch den Umbau in altersgerechte Wohnungen hereinzubekommen oder die Finanzierung als eigentumsorientierte Genossenschaft zu bewerkstelligen. Das Architekturbüro Krüger, Belz und Günther griff gar das Konzept der innerstädtischen Townhouses auf und entwarf einen Umbau zur "Mini-Haus-Siedlung".

Dagegen ist für Erika Kröber, Pressesprecherin der DEGEWO, "das Thema ausgestanden". Seit 2005 habe ihr Unternehmen vom Senat den Bewilligungsbescheid zum Abriss. "Marzahn hat in den letzten Jahren rund 30.000 Einwohner verloren und dieser Trend ist anders als in Köpenick oder Pankow nicht zu Ende", betont sie gegenüber dem MieterEcho. Dies sehe man auch daran, wie schnell man in den beiden zum Abriss vorgesehenen Gebäuden die letzten Mieter in nahen Wohnungen untergebracht habe. "Heute erwartet man etwas anderes von einer Sanierung", sagt Kröger, und verweist auf die fehlenden Mittel der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. "Viel Geld steckten wir in nahegelegene Fünfgeschosser, die mit bodengleichen Duschen und schwellenfreien Übergängen zu altersgerechten Wohnungen umgebaut wurden", erzählt sie, "und die gehen weg wie warme Semmeln". Die "Ahrensfelder Terrassen" hält sie zwar für "einen städtebaulich schönen Ansatz", aber einen Vergleich nicht für seriös, da diese "als Modellprojekt mit 10 Millionen Euro gefördert wurden". Im Augenblick wird von der Politik nur noch der Komplettabriss subventioniert, "und zwar mit 60 Euro pro Quadratmeter", so Kröger. Für die Sprecherin der DEGEWO wird die ganze "Diskussion nun politisch aufgerollt".

Dies ist soweit richtig, denn für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf geht es um seine Identität als "Platte" im positivem Sinn. Hier greifen sowohl bei den Politikern der Partei DIE LINKE wie der SPD lokale alltagskulturelle Bezüge, die quer zur Politik des rot-roten Senats stehen. Insbesondere das seit zehn Jahren leer stehende Ensemble der südlichen Ringkolonnaden will der Bezirk retten und möglichst über einen Campus mit der nahegelegenen Karl-Friedrich-Friesen-Grundschule verbinden. Diese soll sich zur Stadtteilschule entwickeln und damit ihre Gebäude "für stadtteilbezogene soziale, kulturelle, sportliche und andere Nutzungen" öffnen. Auch eine Erweiterung des Schulkonzepts in Richtung integrationspädagogischer Angebote wird angedacht. Für den Plattenbau an der Mehrower Allee befürwortet der Bezirk einen Rückbau und eine nachfolgende Sanierung zu "preiswerten Eigentumswohnungen".

Positive Identität der "Platte"

Dabei ist dem Bezirk - der seine Presseerklärungen weiterhin nicht als Stellungnahme des verantwortlichen Stadtrats Norbert Lüdtke (DIE LINKE), sondern als Mitteilung des anonymen Bezirksamts veröffentlicht - klar, dass dies nur gelingen kann, "wenn alle Akteure an einem Strang ziehen". Jetzt soll eine "ressortübergreifende Steuerungsgruppe" aus Bezirk und Senat "dem Quartier in naher Zukunft neue Entwicklungsperspektiven verschaffen".

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 325