MieterEcho 325/Dezember 2007: Von der Erotik eines Bezirkshaushalts

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MieterEcho 325/Dezember 2007

Quadrat PRIVATISIERUNG

Von der Erotik eines Bezirkshaushalts

Zum ersten Mal stritten sich Bezirkspolitiker und Finanzverwaltung öffentlich um das System der kalkulatorischen Kosten bei Bezirksimmobilien

Christoph Villinger

Sie beherrschen heimlich die Bezirkshaushalte und ihretwegen werden Schulen zusammengelegt sowie Bibliotheken und Kulturzentren geschlossen: die sogenannten kalkulatorischen Kosten. In den letzten Jahren von der Finanzverwaltung des Senats schrittweise eingeführt, sollen sie ab nächstes Jahr voll zur Anwendung kommen. Ursprünglich gedacht, um die Bezirke zum wirtschaftlichen Umgang mit ihren Gebäuden zu zwingen, produzieren sie nur einen Verkaufsdruck und sabotieren jede vorausschauende Politik.

Sofort verkaufen! Dies beschloss vor rund drei Jahren der Bezirk Pankow und bot die leer stehende Schule in der Kastanienallee 82 auf dem Markt an. Rund zwei Millionen Euro waren der privaten GLS-Sprachschule die fünf Gebäude wert. Heute sucht der Bezirk verzweifelt Schulräume, weil - eigentlich wenig überraschend - die Kinder des Baby-Booms rund um den Kollwitzplatz ins schulpflichtige Alter gekommen sind.

Geschichten wie diese finden sich zu Dutzenden in den letzten Jahren in der Stadt. "Leider ist dies kein so erotisches Thema", begrüßte Franz Schulz (Grüne), Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, die rund 50 Zuhörer/innen einer Podiumsdiskussion zum Thema in der Aula der O. E. Plauen Schule am Kreuzberger Mariannenplatz. Moderiert von Andrej Holm wollte man an diesem Abend Ende Oktober dem System der kalkulatorischen Kosten auf die Spur kommen. Doch das Problem ist einigermaßen vertrackt: Gezwungen zum Verkauf des Schulkomplexes wurde der Bezirk Pankow durch die sogenannten kalkulatorischen Zinsen und Abschreibungen. Diese Kosten zieht das Land den Bezirken aus dem zugewiesenen Globalbudget für Immobilien für das ungenutzte Schulgebäude ab. Damit haben die Bezirke finanztechnisch keine Möglichkeit, einen gewissen Vorrat an Gebäuden bereitzuhalten, weil sie den Leerstand extra bezahlen müssen. Zudem beziehen sich diese Kosten prozentual nicht auf den am Markt zu erzielenden Verkaufspreis, sondern auf den Wiederbeschaffungswert, und der lag bei dieser Schule mit knapp 20 Millionen Euro rund zehnmal höher als der Verkaufspreis. Ebenso wie beim Kreuzberger Bethanien, das trotz eines Verkehrswerts von rund 2,7 Millionen Euro mit rund 32 Millionen Euro in den Büchern des Bezirks steht. So suchte Bezirksbürgermeister Schulz den ganzen Abend den "gesunden Menschenverstand" und nach Lösungen, wie sein Bezirk zurzeit nicht ausgelastete Schulen für den neuen Baby-Boom rund um den Boxhagener Platz geöffnet halten kann.

Mieten für den Bezirk billiger

Dagegen erinnerte Torsten Puhst, Referatsleiter beim Finanzsenator und dort zuständig für die Zuweisung der Gelder an die Bezirke, an die Vorgeschichte. "Wir wollten das alte System ändern", erklärte er, "früher kriegte wer viel Gebäude oder Personal hatte auch viel Geld" (sic!) und meinte damit, dass früher die Bezirke, die viele Gebäude oder viel Personal hatten, entsprechend viel Geld bekamen. Dies habe zu "merkwürdigen Finanzierungsschwerpunkten geführt, die mit den sozialen Realitäten nicht mehr übereinstimmten". Auch sei der Wiederherstellungswert der Gebäude, auf den sich die kalkulatorischen Kosten beziehen, nicht von Zufällen wie Marktschwankungen oder der geografischen Lage innerhalb Berlins abhängig, betonte Puhst. Kalkulatorische Kosten seien dazu da, gerechte Kostenvergleiche zwischen den Bezirken zu ermöglichen. "Und nicht das Marterinstrument des Senats, um aus den Bezirken den letzten Euro rauszuquetschen", argumentierte der Vertreter der Finanzverwaltung. "Sondern endlich werden für die Bezirke die Kosten für ihre Gebäude sicht- und spürbar, und sie beginnen nun, mit ihnen wirtschaftlich umzugehen". So könne eben eine Volkshochschule ihre Kurse am Abend in einer Grundschule abhalten und Sporthallen würden effizienter genutzt, freute sich Puhst.

Diesen grundsätzlichen Anliegen widersprach keiner der Anwesenden, doch fragten sie sich, ob das System der kalkulatorischen Kosten nicht eine falsche Antwort auf richtige Fragen sei und neue Absurditäten schaffe. "Zurzeit ist es für den Bezirk billiger, ein Gebäude zu mieten, als ein eigenes zu nutzen", sagte Schulz. Und Daniel Zöllinger, Volkswirt und Mitglied der Initiative Zukunft Bethanien führte per Dia-Projektion die schönsten absurden Beispiele aus der Stadt vor (MieterEcho Nr. 323 berichtete, die Red.). So ist das Rathaus Charlottenburg in den Büchern des Bezirks fast so viel "wert" wie das debis-Gebäude am Potsdamer Platz. Runtergebrochen "kostet" in der Kreuzberger Hunsrück-Schule ein Quadratmeter 17,32 Euro - "nettokalt", so Zöllinger. Mit "in der Privatwirtschaft würde man da von Bilanzbetrug sprechen", endete der Vortrag.

Daran anknüpfend unterstützte auch Prof. Richard Stehle von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität Zöllingers Argumentation. Wenn schon, dann "müssen sich kalkulatorische Kosten natürlich auf den Marktwert beziehen", sagte er und beklagte den fehlenden Umgang in Deutschland mit der Unterhaltung von öffentlichem Eigentum. "Eine Schule kostet die laufenden Instandhaltungsmaßnahmen, alle 20 Jahre eine Generalsanierung und alle 50 Jahre ein neues Dach, dies lässt sich ohne Probleme in ein jährliches Budget umrechnen". Auch seien die zum Teil 100 Jahre alten öffentlichen Gebäude inzwischen mehr als einmal abbezahlt und dürften nicht immer wieder neu in Rechnung gestellt werden. Daran anknüpfend fragte Bezirksbürgermeister Schulz am Ende der sehr sachlich geführten Debatte, "was würde es dem Land ausmachen, die kalkulatorischen Kosten zu streichen und einfach die realen Bewirtschaftungskosten zur Grundlage zu machen?" Dann könnten die Bezirke handeln und innovativ sein und in einen Wettbewerb um die wirtschaftlichste Gebäudeverwaltung einsteigen.

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