MieterEcho 323/August 2007: Kalkulatorische Kosten

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MieterEcho 323/August 2007

Quadrat BERLIN

Kalkulatorische Kosten

Der konstruierte Zwang zur Privatisierung öffentlichen Eigentums

Daniel Zöllinger

Weil der Berliner Senat die Bezirke zu einer falschen Bewertung ihrer Gebäude zwingt, ist für diese das Anmieten privater Flächen billiger als die Nutzung ihrer eigenen. Die Folge ist ein massiver und konstruierter Privatisierungszwang von öffentlichen Gebäuden. Hiervon sind Schulen, Jugendeinrichtungen, Verwaltungsgebäude betroffen - die komplette öffentliche, soziale Infrastruktur. Der Berliner Senat hat von dem Vorgang angeblich keine Kenntnis.

Seit 2006 müssen die Bezirke für ihre Gebäude eine fiktive Kapitalverzinsung, die sogenannten kalkulatorischen Kosten, an den Senat überweisen. Diese soll nichts anderes darstellen als die von jeder Mietabrechnung allseits bekannte Kaltmiete. Die Idee dahinter ist genauso einfach wie richtig: Der Senat wollte den Bezirken die Entscheidung überlassen, ob sie eine Einrichtung in einem eigenen Gebäude unterbringen oder sich einmieten. Doch leider ist dem Berliner Senat hier ein geradezu fataler Fehler unterlaufen. Während alle privatwirtschaftlichen Immobilienbetriebe sich bei der Berechnung der Kaltmiete immer auf den Marktwert beziehen, kramte der Senat tief in seinen historischen Unterlagen und legte fest, dass die Gebäude nach ihrem historischen Bauwert bewertet werden.

Das hat zur Folge, dass etwa das 1905 fertiggestellte Rathaus Charlottenburg, das damals 4.147.000 Goldmark kostete auch mit diesem Wert in der Anlagenbuchhaltung geführt wird. Hochgerechnet sind das stolze 145 Millionen Euro - und genau auf diesen Wert bezahlt nun Charlottenburg seine fiktiven Kapitalzinsen. Nur zum Vergleich: das Debis-Gebäude am Potsdamer Platz hatte Baukosten in Höhe von 148 Millionen Euro. Für Charlottenburg bedeutet diese Absurdität, dass für eine Nutzung des Rathauses eine monatliche "Kaltmiete" von 20 Euro/qm bezahlt werden muss.

Senat angeblich ahnungslos

Nach Kenntnis der Senatsverwaltung für Finanzen, so der Staatssekretär Klaus Teichert (SPD), gibt es "keine auffälligen Gebäude, die zu einer besonders hohen Belastung durch kalkulatorische Kosten führen. (...) Der Effekt kann durch entsprechend intensive Nutzung nivelliert werden." (Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 16/10 456). Die Antwort, wie bei einem Quadratmeterpreis von 20 Euro noch "nivelliert" werden soll, bleibt jedoch Teicherts Geheimnis. Schließlich ist er ja auch vom Fach und war Projektleiter des Liegenschaftsmanagements der Bundeswehr sowie Geschäftsführer der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM).

Das Ausmaß der absurden Rechenlogik wurde von der Initiative Zukunft Bethanien (IZB) im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Bürgerbegehren gegen die geplante Privatisierung des Bethaniens ausführlich thematisiert. Im Fall des Bethanien-Hauptgebäudes wird der Verkehrswert, also der Preis der sich vermutlich durch einen Verkauf des Gebäudes realisieren lässt auf einen Betrag von 2,6 Millionen Euro bemessen. Der historische Bauwert - oder Wiederbeschaffungswert - hingegen beläuft sich auf 32 Millionen Euro.


Kalkulatorische Kosten Bethanien
Falsch gerechnet oder warum die Bezirke ihre Schulen verkaufen

Die Berliner Bezirke hingegen sind sehr wohl informiert über die vom Berliner Senat getroffene Regelung. So bekommen die Bezirke z.B. für ihre Schulen pro Schulplatz einen bestimmten Betrag zugewiesen, der aus dem Durchschnittswert (Median) der Kosten aller Bezirke ermittelt wird. Die Kosten enthalten dabei einerseits reale Ausgaben wie z.B. Personal- oder Betriebskosten als auch andererseits die kalkulatorischen Kosten. Die Kosten werden, so könnte man sagen, "künstlich" aufgebläht, wandert hier doch ein fiktives Millionenvermögen der Bezirke mit ein, wie z.B. die Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg (55 Millionen Euro), die Fritz-Reuter-Schule in Lichtenberg (45 Millionen Euro) oder die Sophie-Charlotte-Schule in Charlottenburg (30 Millionen Euro). So kommt es, dass von der "falschen" Gebäudebewertung sogar einige Bezirke profitieren, weil dadurch auch der Zuweisungssatz an die Bezirke künstlich anwächst. Dadurch machen genau die Bezirke einen Gewinn, die über wenig öffentliches Eigentum verfügen. Die jeweiligen kalkulatorischen Kapitalkosten eines Bezirks behält der Senat gleich ein. Die Zeche bezahlen demnach Bezirke, die ihre Gebäude behalten und nicht privatisieren. Das hat beträchtliche Auswirkungen: Allein wegen ihrer Schulgebäude (ohne Gymnasien) müssen die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg beträchtliche Einsparungen leisten. Andere Bezirke wie Treptow-Köpenick oder Spandau profitieren. Zufälligerweise sind das genau die Bezirke, die sich derzeit auch mit der Teilprivatisierung von Schulen einen Namen machen. Sie haben wohl gelernt, wie das neue System funktioniert. Anlässlich des Bürgerentscheids gegen die Schließung des Coppi-Gymnasiums ließ die Lichtenberger Bürgermeisterin Emmrich (Linke.PDS) verlautbaren: "Man werde eben ein anderes Gymnasium schließen." Dies ist bei solchen Zahlen durchaus verständlich. Sie hat ihre Ankündigung ja dann auch umgesetzt und einfach das Forster-Gymnasium geschlossen. Ob das von den über 100.000 Lichtenbergern, die sich am Bürgerentscheid gegen die Schließung der Coppi-Schule beteiligten, so gewollt war, sei mal dahingestellt.


Kalkulatorische Kosten Schulen
Der Ausverkauf Berlins hat begonnen

Wer derzeit eine ehemalige Schule kaufen möchte, findet sicherlich ein günstiges Angebot beim Liegenschaftsfonds Berlin, der die öffentlichen Gebäude derzeit dem Kapitalmarkt zur Verfügung stellt. Exakt 637 Objekte verkaufte dieser 2006 für den Preis von 201 Millionen Euro. Nach der falschen Rechnung des Berliner Senats wäre das ein Immobilienpaket von exakt zwei Gebäuden - das Rathaus in Charlottenburg (145 Millionen Euro) und die Carl-von-Ossietzky-Schule in Kreuzberg (55 Millionen Euro). Schade eigentlich, dass diese Preise nur in der Fantasiewelt eines Staatssekretärs Teichert existieren. Das Berliner Haushaltsloch ließe sich jedenfalls schnell schließen. Bei den Kreuzberger Eltern, denen aufgrund der Fantasiepreise und den dadurch entstandenen Haushaltslöchern demnächst wahrscheinlich das Elternzentrum geschlossen wird, hat sich die Fantasiewelt allerdings schnell in ihrem Alltag verankert. Kein Wunder auch, dass die Berliner Bezirke von der falschen Gebäudebewertung im Unterschied zum Senat sehr wohl wissen: Da der Senat die kalkulatorischen Kosten absurderweise auf Basis der Wiederbeschaffungswerte der historischen Gebäude berechnet, führt dies "zu einem überproportionalen Abzug bei der Berechnung des Bezirksbudgets. Weil die Bezirke aber ihre Gebäude (insbesondere Schulen) erhalten müssen, sind (...) Einsparungen im Bereich der Personal und Sachkosten (...) die zwangsläufige Folge", wie in der Drucksache der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf zu lesen war. Die Schlussfolgerung der Charlottenburger, einfach weniger Geld in den Gebäudeunterhalt zu stecken, stimmt allerdings nicht ganz. Man kann sie ja auch einfach privatisieren. Das scheint wohl der "Masterplan Bildung" der Genoss/innen von SPD und Linke.PDS zu sein.

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