MieterEcho 324/Oktober 2007: Hoffnungsträger Kreativwirtschaft

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MieterEcho 324/Oktober 2007

Quadrat TITEL

Hoffnungsträger Kreativwirtschaft

Die Kulturökonomie als weicher Standortfaktor

Oliver Frey

Oliver Frey, Dipl. Ing. Mag., geb. 1971 in Ravensburg, studierte Stadt- und Regionalplanung, Soziologie und Geschichte an der TU Berlin. Seit 2000 ist er Assistent an der TU Wien, Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung im Fachbereich Soziologie. Forschungsschwerpunkte: Urban Governance, Partizipation in der Stadterneuerung, Soziale Ungleichheit, Raumtheorien, Planungstheorien und Kreative Milieus.

Mit Begriffen wie "Kulturökonomie", "Kreativwirtschaft" oder "Cultural Industries" wird die Hoffnung auf einen ökonomischen Aufschwung und eine stadträumliche Aufwertung bei Stadtentwicklungspolitik, Stadtplanung oder Wirtschaftsförderung geweckt. Spätestens seit Tony Blair Mitte der 90er Jahre mit "Cool Britannia" die Kulturökonomie mit ihren flexiblen und eigenverantwortlichen Arbeitsformen als eine Strategie entdeckte, um den Umbau des Sozialstaats positiv auszuschmücken, ist der "Kreativ-Unternehmer" in aller Munde. Einem solchen "Kreativ-Unternehmer" wird zugetraut, durch den Einsatz seiner Kreativität auch wirtschaftlich prekäre Phasen ohne staatliche Unterstützung durchzustehen. Die geforderte und geförderte kulturelle Unternehmensleistung soll in Eigenverantwortung, mit eigenem Risiko und durch eine neue Organisation von Arbeit und Leben erbracht werden.

Mit seinem Buch über die "Kreative Klasse" leistete Richard Florida 2002 der politischen Instrumentalisierung der "kreativen Milieus" wissenschaftliche Schützenhilfe. Er löste damit bei Politikberatern und Marketingstrategen, bei Entwicklern und Wirtschaftsförderern regelrechte Begeisterung aus. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der ökonomische und gesellschaftliche Wandel von der Industriegesellschaft zur Wissensgesellschaft, der die körperliche Arbeit, die Rohstoffe und Kapitalströme durch die Kreativität als Generator für ökonomischen Mehrwert ersetzt habe.

Berlin-Mitte statt Krupp-Stahl

Im Anschluss an Richard Florida hat Charles Landry die Verbindung zwischen städtischer Lebensweise und Kreativität als einen Motor für "weiche" Standortfaktoren als Stadtentwicklungsstrategie formuliert. Die lebendigen urbanen innerstädtischen Stadtquartiere und ihre öffentlichen Räume sind zum entscheidenden Standortfaktor für kreative Stadtregionen geworden. Richard Florida formulierte die prägnante These, dass "der Ort" das Unternehmen als entscheidende Organisationseinheit für eine Standortentscheidung abgelöst habe. Urbane lebendige Orte sind dementsprechend zum Magneten für die "Kreative Klasse" geworden. Dabei wird diesen Orten und ihren öffentlichen Räumen in den innerstädtischen Quartieren aufgrund ihrer städtebaulichen Qualität und ihrer sozialen und kulturellen Heterogenität eine besondere Ressource zugesprochen. Dort finden sich Mischungen von ökonomischen Tätigkeiten, sozialen Lebensstilen und kultureller Unterschiedlichkeit, die den "kulturellen Unternehmer/innen" als Humus für ihre Kreativität dienen.

Rolle der Stadtpolitik

Im Grunde ist die Rolle des kulturellen Kapitals bei Aufwertungsprozessen von Stadtquartieren allerdings schon 1990 von den Stadtforschern Jens Dangschat und Jörg Blasius benannt worden. Die beiden Autoren merkten kritisch an, dass die kulturellen Pioniere mit ihren Formen der Raumproduktion und -aneignung ökonomisch prekäre Räume aufwerten und ansässige Bevölkerungsgruppen verdrängen. Jedoch werden die negativen Folgen der Verdrängung alteingesessener Bevölkerungsgruppen im Rahmen von Gentrifizierungsprozessen von denjenigen kaum mehr angeführt, die in der "Kulturökonomie" einen Motor der Stadtentwicklung sehen. Es bleibt daher nach wie vor die Frage offen, welche Rolle die Stadtpolitik und -planung bei der Verbindung zwischen Kultur und Ökonomie in der Stadt einnimmt.

Verschmelzung von sozialen Strukturen mit dem Ort

Meine empirischen Untersuchungen zu "kreativen Milieus" in Wien und Berlin bestätigen zum einen, dass die weichen Standortfaktoren im Quartier eine wesentliche Ressource darstellen: Durch räumliche Nähe zu kommunikativen öffentlichen oder halböffentlichen Räumen können im direkten Austausch soziale Netzwerke ortsgebunden aufgebaut werden. Offene, flexible und heterogene räumliche Strukturen ermöglichen vielfältige Aktionsräume. Über Vermengung von Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit können solidarische und gemeinschaftsorientierte ökonomische und zivilgesellschaftliche Strukturen entstehen. Das stärkt die Argumentation von Florida und Co. insofern, als sie behaupten, dass der städtische Nahraum für die Produktion und Reproduktion kultureller Tätigkeiten einer urbanen Gruppe, den "kreativen Milieus", an Bedeutung besitzt. "Place matters!", d.h. der Ort ist tatsächlich wichtig, trotz der neuen ortlosen Technik von Informations- und Kommunikationsmedien - so die These.

Mangelnde Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Werte

Zum einen wird in den Untersuchungen deutlich, dass die Stadtplanung für die neuen Entwicklungen einer wissensbasierten und kulturell orientierten Arbeitsweise, die häufig durch prekäre ökonomische Lagen gekennzeichnet ist, keine geeigneten Instrumente und Methoden bereitstellt: Die negativen Folgen einer Gentrifizierung von Stadtteilen, die letztlich auch die kulturellen Pioniere verdrängt, können nicht genügend begrenzt werden. Zum anderen versäumt die Stadtplanung, Räume und Orte bereitzustellen, die offene Strukturen zur Selbstorganisation innerhalb der "kreativen Milieus" ermöglichen. Eigenverantwortlich und selbstständig organisierte (Zwischen-)Nutzungen von altindustriellen Gewerbehöfen, leer stehenden Erdgeschosslokalen, industriellen Brachen usw. scheitern allzu oft an bürokratischen oder finanziellen Hürden. Stadtplanung müsste vielmehr auf die Stärke der Selbstorganisation setzen und dabei nicht nur auf den ökonomischen Mehrwert für die Stadt fixiert sein, sondern auch die zivilgesellschaftlichen und soziokulturellen Werte anerkennen. Das "Zulassen" von Eigenentwicklung an Orten durch die "kreativen Milieus" sollte gleichzeitig begleitet werden von Maßnahmen, die ökonomisch schwächere Bevölkerungsgruppen im Quartier schützen.

Wer definiert Kreativität?

Die Begeisterung um die "Kulturökonomie" in der Stadt hat sicher einen wahren Kern: Die Bedeutung von orts- und personengebundener Kreativität sowie vielfältigen Wissensformen ist in der modernen Dienstleistungsgesellschaft gewachsen. Doch: Wer definiert was oder wer kreativ ist? Kreativität findet sich eben nicht nur bei Grafikdesignern, Modelabels oder Musikproduzenten, sondern auch bei lokalen ethnischen Ökonomien oder bei jugendlichen Besetzern von leer stehenden Häusern.

Das Konzept "Kreative Stadt"

Der amerikanische Stadtforscher und Ökonom Richard Florida hat mit seinem 2002 erschienenen Buch "Der Aufstieg der kreativen Klasse" das Konzept der kreativen Stadt zu einem der zentralen Leitbilder in der Stadtentwicklung gemacht. Seine Hauptthese ist, dass die Attraktivität einer Stadt für eine kreative Bohème und ihr wirtschaftlicher Erfolg zusammenfallen. Anhand der sog. drei "T's" - Talent, Toleranz und Technologie - hat er eine Rangliste US-amerikanischer Städte erstellt. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik muss vor allem, neben harten Faktoren wie Forschung und Ausbildung, auf ein tolerantes und weltoffenes Klima achten, um in dieser Rangliste aufzusteigen. Die große Resonanz auf seine Ideen lässt sich darauf zurückführen, dass er ein einfaches Marketingkonzept für die städtische politische Klasse zur Verfügung gestellt hat, das im Kern auf eine Festivalisierung städtischer Politik und einen Wettbewerb um die städtische Mittelschicht verstanden werden kann. Im Gegensatz zur positiven Aufnahme in Politik und Presse wird sein Konzept auf wissenschaftlicher Ebene weitgehend angegriffen, teils wegen einer starken Vereinfachung wirtschaftlicher Zusammenhänge und teils, weil es als neoliberale Wettbewerbspolitik light betrachtet wird.

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