MieterEcho 323/August 2007: Der privatisierte Staat

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MieterEcho 323/August 2007

Quadrat PRIVATISIERUNG

Der privatisierte Staat

Wie kommunale Aufgaben ausgelagert werden

Hermann Werle

Privatisierungen kommunaler Unternehmen gehören zum bundesdeutschen Alltag. Dabei kommt Berlin die unrühmliche Rolle zu, als Vorbild für andere Städte zu dienen wie z.B. bei der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe, der Totalprivatisierung von Wohnungsbaugesellschaften oder dem kürzlich beschlossenen Verkauf der Sparkasse. Mit einer ganz speziellen Privatisierung hat sich jedoch kürzlich die nordbayerische Stadt Würzburg in den Vordergrund geschoben. Hier wurde ein Teil der Stadtverwaltung an die Privatwirtschaft abgegeben. Nun sind die Verwaltungen nicht des Bürgers liebstes Kind, aber das sollte nicht von einer kritischen Bewertung dieser Privatisierung abhalten.

Am 16. Mai 2007 war es so weit: Feierlich unterzeichnete Pia Beckmann, die CDU-Oberbürgermeisterin der Stadt Würzburg einen Vertrag, der einen Teil der öffentlichen Verwaltung der "arvato government service" übertrug. "Würzburg integriert" heißt das bahnbrechende Projekt, mit dem arvato "nun auch in Deutschland in den Markt für Dienstleistungen im Bereich der öffentlichen Verwaltung eingestiegen" ist, wie es Rolf Buch, Mitglied des arvato-Vorstands, zum Ausdruck brachte. Bereits 2005 war dem Unternehmen der Einstieg in den hoheitlichen Aufgabenbereich im britischen East Riding gelungen. Dort treibt arvato Steuern ein, verteilt Subventionen und betreibt die 14 Bürgerbüros für die 325.000 Einwohner der Gemeinde. Wie in East Riding kommt auch in Würzburg eine sogenannte "eGovernment-Plattform" zum Einsatz, über die alle Verwaltungsleistungen - vom Einzug der Hundesteuer bis zur Auszahlung des Arbeitslosengelds - zentral erfasst und bearbeitet werden. Im neoliberal-betriebswirtschaftlichen Jargon nennt sich das "Fall- oder Kundenorientierung". So werden aus Bürgern Dienstleistungskunden, die zudem per Mausklick zum völlig gläsernen Kunden werden. "Es ist das erste Projekt bundesweit in dieser Form", bemerkte die Würzburger Oberbürgermeisterin ganz richtig. Zu befürchten ist allerdings, dass es nicht das letzte sein wird.

Strategische Räume

Mit großem Engagement setzt sich seit Jahren auch die Bertelsmann-Stiftung für den Umbau der Verwaltungen ein. Mit nationalen und internationalen Vergleichen, die Effizienzgewinne, sprich Sparpotenziale, sichtbar machen sollen, agiert die Stiftung mit Sitz im provinziellen Gütersloh in der politischen Sphäre - und das sowohl auf Ebene der EU, des Bundes, der Länder und der Kommunen. Dabei wird das Personal der Stiftung von politischen Entscheidungsträgern jeglicher politischer Herkunft hofiert, um den "Reformmotor" gemeinsam in Schwung zu halten. Umschrieben wird das von der Stiftung mit dem Wirken in "strategischen Räumen", wie es im Jahresbericht der Stiftung von 2005 heißt: "In strategischen Räumen wollen wir die Kurzatmigkeit des politischen Tagesgeschäfts hinter uns lassen und gemeinsam mit Entscheidern tragfähige Lösungen erarbeiten, von denen wir alle profitieren."

Doch wer profitiert tatsächlich von den Lösungen aus dem Hause Bertelsmann? Mit einem Anteil von 76,9% ist die Stiftung an der Bertelsmann AG beteiligt, einem der weltgrößten Medienkonzerne. Damit ist gewährleistet, dass Reformvorhaben auch von RTL, Vox und n-tv sowie diverse Tageszeitungen und Magazinen wohlwollend begleitet werden. Dass arvato eine 100%-ige Bertelsmann-Tochtergesellschaft ist, wird angesichts der ideologisch-wirtschaftlichen Machtfülle des "Bewusstseins-Riesen" aus Gütersloh zur Randnotiz. Denn die "strategischen Räume" sind keinesfalls nur auf die Geschäftsfelder des Bertelsmann-Konzerns beschränkt. Vielmehr bereitet die Stiftung das Feld für neoliberale Umstrukturierungen, die den grundsätzlichen Umbau des Staats vorsehen.

Verwaltungsumbau wird zur Machtfrage

Zentraler Bestandteil des Staatsumbaus und der damit einhergehenden Neudefinition seiner Kernfunktionen sind die vielfältigen Privatisierungen. Darunter fallen die Wohnungsbaugesellschaften wie auch die Krankenhäuser als Teile der kommunalen und sozialen Infrastruktur. Eine weitere Etappe der privatwirtschaftlichen Expansion ist die Aushöhlung der solidarischen Versicherungssysteme, die zunehmend durch private Renten- oder Krankenversicherungen ersetzt werden. Um dieses Privatisierungsgeschehen im Interesse der Privatwirtschaft zu ermöglichen, ist es erforderlich, politische und gesellschaftliche Widerstände zu überwinden. Vor allem aber gilt es, die öffentlichen Verwaltungen auf Kurs zu bringen.

"Entkolonisierung des Staates"

In der vielgescholtenen Bürokratie werden Teile des gesellschaftlichen Gefüges geplant und gestaltet. Aus der sozialstaatlichen Tradition des westdeutschen Staatswesens ergibt sich, dass ganze Teilbereiche des staatlichen Personals das Erreichen von "sozialer Gerechtigkeit" und die "Wiederherstellung eines Gleichgewichts zugunsten der Schwachen" immer noch als ihre originäre Aufgabe begreifen. "Sie fordern eine 'Entkolonisierung' des Staates von den mächtigen Wirtschaftsinteressen", wie Nicos Poulantzas Ende der 70er Jahre schrieb. Das genaue Gegenteil erleben wir heute in ausgeprägter Form in Würzburg. Die Kolonisierung des Staatswesens durch Deregulierung und Privatisierung steht und fällt mit der Verwaltungsmodernisierung. Dies bedeutet auch, "dass die interne Verwaltung besser arbeiten soll. Sie ist für uns auch als Voraussetzung für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort unverzichtbar", wie der frühere Ministerpräsident von Sachsen, Kurt Biedenkopf, in einer Rede 2001 betonte. Personalabbau und Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst, wie sie Uwe Januszewski im folgenden Interview beschreibt, sind die ersten Schritte der "Modernisierung". Schlussendlich ist die Wirtschaft aber auch "an einer Privatisierung von Teilbereichen der Verwaltung interessiert", so Biedenkopf. Im Umkehrschluss wird der Erhalt und die bürgernahe Verbesserung der öffentlichen Verwaltungen zu einer zentralen Voraussetzung für die Verhinderung weiterer Privatisierungen und sogenannter Public-Private-Partnership-Projekte, wie sie auch in Berlin in Planung sind. Zuzustimmen ist Biedenkopf lediglich in einem Punkt: Wenn er im Gleichklang mit Bertelsmann, arvato und den generellen Interessen der Privatwirtschaft feststellt, dass wir es "bei der Begrenzung des Staats nicht nur mit einem Organisationsproblem" zu tun haben, "sondern mit einer Machtfrage", so sollte das ernst genommen werden.

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