MieterEcho 319/Dezember 2006: "Ihr Mieter wird uns verstehen"

MieterEcho

MieterEcho 319/Dezember 2006

Quadrat WOHNUNGSMARKT

"Ihr Mieter wird uns verstehen"

Wie die Vermieterlobby Mieter/innen unter Generalverdacht stellt, "betrügerische Mietnomaden" zu sein

Christian Linde

Dass immer mehr Haushalte aufgrund ihrer prekären Einkommenssituation nicht mehr in der Lage sind, ihre Miete pünktlich zu zahlen, ist spätestens seit der Veröffentlichung des ersten Reichtums- und Armutsberichts der Bundesregierung bekannt. Doch anstelle einer Diskussion über gesetzlichen Mindestlohn und über Verteilungsgerechtigkeit stieß das Bundeswirtschaftsministerium in der Folge - seinerzeit noch unter Rot-Grün - mit einem Dossier über "Leistungsmissbrauch" beim ALG II vor allem die Debatte über "Sozialschmarotzer" an. Diese zieht inzwischen eine weitere Debatte nach sich. Forciert von Wohnungsverbänden, steht nun unter Generalverdacht, wer Zahlungsprobleme bei der Miete hat: Nach den "Sozialschmarotzern" gilt es nun, den sogenannten "Mietnomaden" den Garaus zu machen.

"Als Mietnomaden werden in jüngerer Zeit Personen bezeichnet, die von einer Mietwohnung in die nächste ziehen, mit dem Vorsatz, keine Miete zu zahlen. In vielen Fällen werden die Wohnungen in einem verwahrlosten Zustand hinterlassen. Obwohl über solche Vorkommnisse in neuerer Zeit vermehrt in den Medien berichtet worden ist, bleibt offen, ob dem eine tatsächliche Zunahme an Fällen zugrunde liegt oder ob darin nur ein allgemeines Risiko zum Ausdruck kommt, das mit der Vermietung einer Wohnung grundsätzlich verbunden ist", informiert das Internetportal Wikipedia.

Jagd nach einem Phantom

Nach Angaben der Eigentümerschutzgemeinschaft Haus & Grund greift das Phänomen jedoch immer mehr um sich. Haus & Grund schätzt die Zahl der Fälle, in denen sogenannte "Mietnomaden" keine Miete zahlen und den Vermieter auf einem Kostenberg sitzen lassen, auf jährlich 5000 bis 10.000. Die gesamten Einnahmeausfälle durch säumige Mieter beziffert die Organisation allein für 2005 auf 2,2 Milliarden Euro. Dies bedeute eine Steigerung um 10% gegenüber 2004. Dem stehen jährliche Mietzahlungen von 114 Milliarden Euro gegenüber. Überproportional von dem Problem des "Mietbetrugs" seien Vermieter in Ostdeutschland und im Ruhrgebiet betroffen, aber auch in Städten mit hohem Leerstand nehme die Zahl der "Miettouristen" zu. Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) stimmt in das Klagelied ein und beziffert die Mietschuldenhöhe bei seinen Mitgliedern auf rund 164 Millionen Euro. Bei der Frage nach den Ursachen hält sich der BBU allerdings zurück. Zwar habe sich der Betrag seit 1994 um fast 100 Millionen Euro erhöht. Zahlen, die den Anteil der von sogenannten "Mietnomaden" verursachten Mietschulden benennen, existierten allerdings nicht. Obwohl das Einfordern einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, in der der vorherige Vermieter die vertragsgemäße Bezahlung der Miete bestätigt, nicht nur in Berlin gängige Praxis ist, wird inzwischen an allen Fronten gegen Mieter/innen Stimmung gemacht. Dabei hat sich neben den polizeilichen, juristischen und publizistischen Instrumenten, derer sich Vermieter bedienen, ein "Dienstleistungsmarkt" entwickelt, in dem deren Akteure am Rande der Legalität auf Mieter einzuwirken versuchen.

Schlapphüte in Stuttgart

Nach "Hochrechnungen" der Vermieterschutzkanzlei in Stuttgart bleibt jede/r zehnte Mieter/in die Miete schuldig. Um Kosten zu vermeiden scheuen viele Vermieter den Rechtsweg und schalten stattdessen eine Detektei ein, die die Mieter/innen ausfindig machen soll, um dann über einen Strafbefehl das Geld einzutreiben. Vor allem in der baden-württembergischen Hauptstadt Stuttgart hat der Rückgriff auf professionelle Schnüffler Konjunktur. Zwar existiert in Deutschland kein verfassungsrechtlich garantiertes Recht auf Wohnraum. Weil die Wohnung die Grundlage der Existenz bildet, schützt der Gesetzgeber jedoch in besonderem Maß die Rechte der Mieter/innen. Nach der aktuellen Rechtslage können "zahlungsunwillige" oder "zahlungsunfähige" Mieter auch nach einem Räumungsurteil bis zu einem Jahr in der Wohnung verbleiben. Voraussetzung hierfür ist ein Räumungsschutzantrag. Forderungen der Haus- und Grundbesitzerorganisationen nach einer gesetzlichen Aufweichung der Rechtssituation zugunsten der Vermieter lehnt das Bundesjustizministerium mit Verweis auf das besondere Wirtschaftsverhältnis zwischen Vermietern und Mieter/innen bisher ab. Schließlich haben Mieter/innen auch bei Mietrückständen ein vertraglich begründetes Besitzrecht an den Mieträumen.

Kampf vor dem Kadi

Ein Gerichtsurteil des vergangenen Jahres aus Berlin versuchen Vermietervertreter nunmehr als Richterspruch gegen sogenannte "Mietnomaden" zu popularisieren. In dem verhandelten Fall hatte eine Mieterin mit dem Vermieter einen Mietvertrag geschlossen, obwohl ihr, so die Überzeugung des Gerichts, bewusst war, dass sie die zu zahlende Miethöhe nicht aufbringen konnte. Darüber hinaus hatte sie in einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung "wahrheitswidrig" erklärt, keine Schulden aus ihrem früheren Mietverhältnis zu haben. Von Beginn des Mietverhältnisses an zahlte sie die Miete nicht. Daraufhin kündigte der Vermieter und erhob Räumungsklage. Zum Zeitpunkt der Räumung hatten sich 3600 Euro Mietschulden angehäuft. Nachdem dem Vermieter bekannt wurde, dass die Mieterin auch in ihrem vorherigen Mietverhältnis erhebliche Schulden hinterlassen hatte, stellte er Strafanzeige. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte die Mieterin wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung.*

Der Immobilienverband Deutschland (IVD), Bezirk Mitte, begrüßte die Gerichtsentscheidung. "Gerade für private Investoren können Mietnomaden existenzbedrohend sein", erklärte Harald Blumenauer, Vorstandsvorsitzender des Verbands. Es sei an der Zeit, dass solchen Praktiken auch mit Mitteln des Strafrechts Einhalt geboten wird. "Genauso wichtig aber ist, dass auch zivilrechtliche, vor allem mietrechtliche Grundlagen geschaffen werden, damit Mietnomaden nicht ungehindert von Wohnung zu Wohnung vagabundieren können und Vermieter um ihr Geld bringen", so Blumenauer. Der Verband hat es jedoch nicht nur auf die Ahndung ungerechtfertigter Mietrückstände abgesehen. Ein Dorn im Auge scheinen der Organisation vor allem Mieter/innen zu sein, die vom Mietrecht Gebrauch machen. "Wer auf Nummer sicher gehen will", so Johannes Engel, Rechtsanwalt und Syndikus des IVD-Mitte, "der sollte sich mit Einverständnis des Interessenten vor der Vermietung mit dem Vorvermieter in Verbindung setzen und abklären, ob das vorige Mietverhältnis störungsfrei war." Im Klartext: Vorsicht vor sachkundigen Mietern. Schließlich entstehen vermeintliche Mietrückstände häufig dadurch, dass Miet- oder Nebenkostenzahlungen ausdrücklich zurückgehalten werden. "Mietminderung ist das einzige Mittel, um die Beseitigung von Wohnungsmängeln zu forcieren", sagen Mietrechtsanwälte übereinstimmend.

"Zeit für eine härtere Gangart"

Die Bundesregierung sieht, anders als der Präsident von Haus & Grund Deutschland, Rüdiger Dorn, indes keinen Handlungsbedarf, um mit neuen Gesetzen gegen sogenannte "Mietnomaden" vorzugehen. "Es ist Zeit für eine härtere Gangart gegen betrügerische Mietnomaden. Dazu gehört zum Beispiel die Möglichkeit einer Zwangsräumung per einstweiliger Verfügung", hatte Dorn unter anderem verlangt. Das geltende Mietrecht, so die Bundesregierung, gebe Vermietern gegenüber zahlungsunwilligen Mieter/innen einen sachgerechten Schutz. So können sich Vermieter vor Abschluss eines Mietvertrags eine Gehaltsbescheinigung der potenziellen Mieter/innen vorlegen lassen sowie Auskünfte über Schuldnerverzeichniseinträge einholen. Schließlich könnten mögliche Schäden über Kautionen aufgefangen werden. "Das Bundesministerium der Justiz hat im vergangenen Jahr die wichtigsten Verbände der Wohnungswirtschaft, der Mieter und Makler zu einem Erfahrungsaustausch zum Thema 'Mietnomadentum' eingeladen. Die Teilnehmer stimmten überein, dass es sich bei den mit dem Schlagwort des Mietnomadentums bezeichneten Phänomens um Randerscheinungen handelt. 98 bis 99% aller Mietverhältnisse verlaufen störungsfrei", heißt es in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der FDP im Bundestag.

Feldzug gegen Mieter

Dennoch wird der Kampf gegen Mieter/innen mit harten Bandagen fortgesetzt. In offenen Briefen, Aufrufen und Kampagnen ist nicht selten die Rede von "Betrügern, Vandalen und Schweinen". So wetterte z.B. auch Haus & Grund in Reichenbach: Zwar seien die meisten Mieter ehrlich und wollten nicht in betrügerischer Absicht eine Wohnung mieten, versichert die dort ansässige Dependance des Interessenverbands. In einem offenen Brief an alle Vermieter der Region unter dem Titel "Über Mietschuldner, Betrüger & Mietnomaden, Chaoten und menschliche Schweine" hat der Verband Wohnungssuchenden aber den Kampf angesagt. "Die wenigen schwarzen Schafe, welche von Wohnung zu Wohnung ziehen und ein Chaos in der letzten Wohnung hinterlassen, die ihren letzten und vorletzten Vermieter Tausende von Euros schulden und die Wohnung in einen unbewohnbaren Zustand hinterlassen, diesen schwarzen Schafen muss das Leben schwer gemacht werden", heißt es in dem Papier. "Erstens bekommen diese Menschen staatliche Gerichtshilfe und zweitens zahlt das Sozialamt keine Mietschulden ab, wenn der Sozialmieter seine Sozialhilfe oder das Wohngeld für andere, als gesetzlich geplante Dinge verausgabt. Ich denke da nur an Rauchwaren, alkoholische Getränke, Befriedigung des Kaufrausches oder an eigentlich nicht bezahlbare Urlaubsreisen nach dem Motto: Erst reisen, dann bezahlen", wettert D. Wohlleben, Unterzeichner des offenen Briefs. Wohlleben strebt "eine Art Selbstschutz" an und ruft dazu auf, eine "zentrale Sammlung der schlechten Erfahrungen" in Wort und Bild zu erstellen. Haus & Grund Reichenbach will darüber hinaus Wohnungseigentümern eine "Mietschuldnerdatei" zugänglich machen. "Ganz ehrlich, unser Rechtsstaat ist für Betrüger, Schuldner und Wohnungstouristen eine gute Einrichtung. Denn wer kämpft denn wirklich erfolgreich gegen diese Saubande?", heißt es abschließend.

Eine Initiative unter dem Namen "Gegen Mietnomaden" in Halberstadt bei Oldenburg bietet ebenfalls handfeste Hilfe an. "Sie leiden unter Mietschmarotzern oder sog. Mietnomaden? Mahnbescheid erfolglos? Räumungsklage dauert ... und ... dauert? Dann sollten Sie uns anrufen, denn Zeit ist Geld! Ihr Geld! Die Initiative gegen Mietschmarotzer hilft schnell und seriös! Wir verschicken keine Konzepte oder ähnliches, wir sind persönlich vor Ort und stehen Ihnen zur Seite um Ihre Probleme zu lösen!", bietet die "Initiative" auf ihrer Internetseite www.mietschmarotzer.com unverhohlen an.

Die Dienstleistungsangebote gegen unbequeme Mieter entwickeln sich offensichtlich zu einem Markt. Viele Internetpräsenzen, deren Adressen mit "www.entmietung" beginnen, bieten "unkonventionelle" und "unbürokratische" Hilfe an. Eine der Websites preist nicht nur absolute Diskretion gegenüber den Auftraggebern und persönliche Kommunikation mit "Horrormietern" als Erfolgsrezept an, sondern verspricht vollmundig: "Ihr Mieter wird uns verstehen."

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 319