MieterEcho 318/Oktober 2006: Proteste gegen die neue Kreuzberger Mischung

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MieterEcho 318/Oktober 2006

Quadrat BERLIN

Proteste gegen die neue Kreuzberger Mischung

 

Peter Nowak

Der rote Teppich war ausgerollt, als am 24.08.2006 im Postbahnhof am Ostbahnhof zur Anhörung über die Planung am Spreeufer geladen wurde. Speziell ging es um das Riesenrad, das die Anschutz Entertainment Group (AEG) dort errichten will.

Für die AEG saß Herr Murphy auf dem Podium. Er kooperiert mit der Steiger Riesenrad GmbH, einem mittelständischen Betrieb, der auf den Bau von Riesenrädern spezialisiert ist. Eingeladen waren Interessierte, speziell aus Friedrichshain-Kreuzberg. Doch schnell war im voll besetzten Saal klar, dass nicht alle, die über den roten Teppich in den Veranstaltungsraum gekommen waren, die schöne neue Media-Spree-Welt bestaunen wollten. Rund ein Drittel der Anwesenden machte mit Transparenten und Flugblättern ihren Protest deutlich. Die Veranstalter waren sichtlich überrascht.

Kaum Proteste in der Vergangenheit

Bisher hatten die Pläne am Spreeufer erstaunlich wenig Protest hervorgerufen, obwohl vor allem Kreuzberg als renitent gilt. Allerdings stand das Thema Stadtumstrukturierung in der letzten Zeit nicht mehr hoch im Kurs. Man hatte sich in linken Kreisen zu sehr der Hoffnung hingegeben, dass schon aus ökonomischen Gründen die Investorenträume zerplatzen werden. Jedoch haben sich 22 Firmen und Konzerne zusammengeschlossen, die das Spreeufer kapitalträchtig verwerten wollen, u. a. Anschutz. In ihren Broschüren werben sie mit dem "tollen Standort Kreuzberg" und denken auch über die Aufwertung der Wrangelstraße und die "Etablierung einer neuen kreativen Kreuzberger Mischung" nach. Aber dagegen formieren sich Proteste. Ein breites Bündnis hatte sich bei der Anhörung im Postbahnhof eingefunden. Bewohner/innen der Wagenburg Schwarzer Kanal, deren Verbleib am Spreeufer nach Einsprüchen von Nachbarn noch immer fraglich ist, waren ebenso vertreten wie Nutzer/innen des Bethanien (siehe Beitrag auf Seite 6, die Red.). Auch Aktivist/innen des Berliner Bündnisses gegen Privatisierung sowie Architekt/innen und Stadtplaner/innen befanden sich im kritischen Publikum. "Hier werden schon feststehende Entscheidungen vorgetragen und das Publikum darf dann Fragen dazu stellen. Direkte Bürgerbeteiligung soll eigentlich heißen, dass die Anwohner/innen gefragt werden, was überhaupt ihre Interessen sind. Es kann nicht angehen, bereits beschlossene Großprojekte abzunicken und vielleicht in einigen Details zu kritisieren", bewertete eine Stadtplanerin die Anhörung.

Geteilte Reaktionen

Unter der übrigen Zuhörerschaft war die Reaktion auf die Proteste geteilt. "Ich wollte mich eigentlich informieren und will nicht agitiert werden", meinte ein Mittsechziger. Aber er wurde nachdenklich, als Herr Murphy vom Riesenrad als Tourismusmagnet schwärmte: "185 Meter hoch soll das Rad werden, 40 geschlossene und klimatisierte Gondeln, die je 28 Personen aufnehmen können". Eine Abflughalle für die Passagiere soll es geben sowie Souvenirläden, Restaurants und Parkhäuser. Mit 1,5 Millionen Besuchern wird gerechnet. Angesichts der Zahlen wurden einige Befürworter/innen stutzig, zumal ihre Nachfragen oft unbeantwortet blieben. So wollte ein Mann wissen, warum denn das Riesenrad am Plänterwald nicht reaktiviert werden könne. Da fiel Herrn Murphy nur ein, dass er eben am Ostbahnhof bauen wolle. Auch Fragen zu den Riesenradplänen am Bahnhof Zoo wurden nicht erschöpfend beantwortet. Am Ende blieben nur wenige wirklich überzeugte Befürworter/innen. Dazu gehörte eine junge Mutter, die mit ihrem 5-jährigen Sohn vor das Mikrofon trat und beteuerte, dass sie ihrem Kind eine Zukunft bieten wolle. Deshalb müsse Kapital in den Stadtteil kommen und Herr Murphy habe es. Deshalb sei sie für den unverzüglichen Bau. Dagegen argumentierten mehrere Kritiker/innen, dass in anderen Ländern solche Riesenräder eher Finanzlöcher hinterlassen, als Investitionen gebracht haben. So erinnerte der Architekt Carsten Joost an das erst hochgelobte "London Eye", das mittlerweile seinen Besitzer gewechselt habe und der Stadt in erster Linie Schulden bereitet habe. Herr Murphy bezeichnete diese Darstellung als tendenziös, ging dann aber darauf nicht weiter ein. Ariane Müller hinterfragte auch das Arbeitsplatzargument, mit dem die AEG bei der Stadtteilbewohnerschaft um Sympathie warb: "Wie werden die Jobs bezahlt? Welche Rechte haben die Arbeiter/innen?" Auch diese Frage wurde nicht beantwortet.

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