MieterEcho 313/Dezember 2005: Zugang verboten

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MieterEcho 313/Dezember 2005: Inhalt

 BERLIN

Zugang verboten

Anwohner/innen hatten den Hirschhof von den DDR-Behörden mit zähem Widerstand ertrotzt - jetzt ist er nicht mehr zugänglich

Peter Nowak

Der Hirschhof liegt im Innenbereich des größten Straßenblocks im Prenzlauer Berg, zwischen Oderberger Straße, Eberswalder Straße und Kastanienallee. Vor 1989 grenzte das Gebiet unmittelbar an die Mauer. In den 1980er Jahren sollten die aus der Jahrhundertwende stammenden Altbauten abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt werden. Doch die Behörden hatten ihre Rechnung ohne die Bewohner/innen des Kiezes gemacht, die sich durchaus mit den Mitteln der DDR-Gesetze gegen den Kahlschlag wehrten: Die Wohnbezirksausschüsse (WBA) waren die örtlichen Volksvertretungen der DDR auf Ebene der Wohnbezirke und im WBA in der Oderberger Straße hatten findige und kundige Menschen nicht nur vorgefasste Beschlüsse abgenickt. So konnte das Projekt Hirschhof in der Oderberger Straße entstehen. Den Namen hat der Hirschhof von seinem Wahrzeichen, einem aus Schrottteilen zusammengeschweißten Hirsch.

Im Jahr 1985 wurden auf Initiative des WBA mehrere Hofgrundstücke von Häusern der Oderberger Straße zu einem großen Gartengrundstück zusammengelegt, das fortan gemeinschaftlich als Stadtteiltreffpunkt genutzt wurde. Auch eine Freiluftbühne wurde dort errichtet und es gab Theater- und Filmvorführungen sowie regelmäßig im Sommer ein großes Hirschhoffest. Während die Stasi das Treiben argwöhnisch beobachtete und einige Meter Akten anlegte, unterstützten die Kommunalbehörden den Stadtteilgarten - auch finanziell. Die taz sprach vom "Bündnis zwischen Bürgerinitiativen und lokaler Staatsmacht", das auch die Wende überlebte. Der WBA in der Oderbergerstraße entwickelte sich in den frühen 1990er Jahren zu einem Aktionsbündnis und damit zu einem Kristallisationspunkt des Widerstands gegen Vertreibung. Das Kürzel WBA wurde beibehalten, doch nun stand es für "Wir bleiben alle". Unter diesem Slogan demonstrierten im Sommer 1992 über 20.000 Menschen gegen die anstehende Erhöhung der Mieten in Ostberlin.

Mit den Erfahrungen einer erfolgreichen Interessenvertretung in der DDR versuchte man in den neuen Zeiten weiterzumachen. Doch jetzt hatte man es nicht mehr in erster Linie mit sturen, spießigen Behörden zu tun. Die Gesetze der Marktwirtschaft machten sich gerade im Kiez zwischen Oderberger Straße und Kastanienallee besonders bemerkbar. Nach dem Motto "Kaufen macht glücklich" entstanden nicht nur Läden und Galerien, sondern auch viele Hauseigentümer wandelten Wohnungen in teure Lofts und Eigentumsapartments um. Die Forderung "Wir bleiben alle" ist hier ein verblichener Slogan auf den wenigen noch unsanierten Häuserwänden.

Neue Eigentümer verwehren Zugang

Auch der Hirschhof ist von den Gesetzen der freien Marktwirtschaft gefährdet. Denn seit Oktober 2004 ist er nicht mehr zugänglich, weil die auf Privatbesitz liegenden Zugänge gesperrt sind. Der neue Hausbesitzer der Oderberger Straße 15 hatte angeordnet, dass das große Eingangstor zum Hirschhof verschlossen wird und dabei soll es auch bleiben. Zumindest bis ein Vertrag mit dem Bezirk über das Wegerecht abgeschlossen ist. Dem müssten aber auch die Eigentümer der mittlerweile in dem Haus entstandenen Eigentumswohnungen zustimmen. Offene Türen passen aber nicht so recht in eine Wohngegend, in der sich die vermögende Mittelschicht immer mehr einschließt. Der verbliebene Zugang über die Kastanienallee wurde vom Bezirksamt aus Sicherheitsgründen geschlossen. So gründete sich zum 20-jährigen Jubiläum des Hirschhofs eine neue Anwohnerinitiative, die einen freien Zugang und eine dauerhafte Sicherung des Hirschhofs fordert. Auch die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hat diese Frage schon beschäftigt. "Die Erschließung des Hirschhofs ist zurzeit aufgrund der nicht kooperativen Haltung privater Eigentümer nicht mehr gesichert. Dieser unhaltbare Zustand ist dringend zu beenden und der Hirschhof als öffentliche Grünanlage zu erhalten", heißt es in einem Antrag der Fraktion der Linkspartei in Prenzlauer Berg an die BVV.

Nicht nur mit dem Erhalt des Hirschhofs soll etwas vom Erbe des WBA in der Gegend fortgeführt werden. Ein weiteres Projekt ist das Stadtbad Oderberger Straße, das ebenfalls vom WBA vor und nach 1989 vor dem Verfall und dem Abriss gerettet wurde. Eine Genossenschaft wollte ein Kulturbad in dem Gebäude errichten. Bis 2007 sollte die Sanierung beendet sein. Doch Anfang November beschloss der Berliner Senat, keine Zuschüsse für das Projekt zu leisten. Der Genossenschaft war es nicht gelungen, innerhalb von wenigen Monaten die nötigen 17,5 Millionen Euro für die Finanzierung von den Banken zu erhalten. Thomas Bremen vom Genossenschaftsvorstand ist überzeugt: "Wenn wir acht Wochen mehr Zeit gehabt hätten, wäre das Geld zusammengekommen. Die ehrenamtliche Arbeit von vielen Jahren ist damit in den Sand gesetzt." Jetzt will die Genossenschaft das Gebäude dem Senat zurückgeben. Derweil werden die Gebäudeschäden durch eindringendes Wasser größer. Nur wenige Meter entfernt in der Kastanienallee 82 hingegen macht ein Neubau schnelle Fortschritte. Die ehemalige Gustave-Eiffel-Oberschule wird zum Domizil für das GLS-Sprachenzentrum, einer Managersprachschule. Eine Initiative, welche die Schule als eine Art Gründerzentrum für kleine Kunst- und Kulturprojekte nutzen wollte, hatte das Nachsehen.

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