MieterEcho

MieterEcho 306/Oktober 2004

 TITEL

Offene Fragen zu Hartz IV

In den Bezirken wurde noch nicht entschieden, wie viel Geld für Miete an ALG II-Beziehende gezahlt wird

Christoph Villinger

Was ist "angemessener Wohnraum" für einen Erwerbslosen? Sind 50 qm für eine Person schon zu viel? Wie viel darf die Wohnung kosten? Mit diesen Fragen sind allein in Berlin etwa 160.000 Langzeit-Erwerbslose konfrontiert. Und darum wird sich eine der zentralen Auseinandersetzungen um die praktische Auslegung und Umsetzung der Hartz IV-Gesetze drehen. Denn bewusst verzichtete die Bundesregierung auf eine bundesweite Rechtsverordnung zur Höhe der Kostenübernahme bei den Unterkunftskosten. Da diese wie das Wohngeld von den Kommunen ausbezahlt werden, wird nun in Berlin die jeweilige Praxis in den Bezirken entscheiden.

Schon Anfang Juni diesen Jahres wies die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen auf die fehlende gesetzliche Bestimmung hin und befürchtete für tausende von Erwerbslosen den Verlust der Wohnung. Im darauf einsetzenden Sturm der Entrüstung in den Medien sprachen Mieterorganisationen von bis zu "100.000 Umzügen wegen Hartz IV".

"Angemessene" Unterkunft

Denn in der Neufassung des Sozialgesetzbuchs (SGB II), der "Grundsicherung für Arbeitssuchende", heißt es in § 22 eindeutig: "Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind". Nur wenn es dem "Hilfsbedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel die Aufwendungen zu senken", sind sie trotzdem zu bezahlen. Dies gelte aber "in der Regel längstens für sechs Monate". Bei Abschluss eines neuen Mietvertrags ist dieser zuvor dem kommunalen Träger vorzulegen, damit dieser feststellen kann, ob "die neue Unterkunft angemessen" ist.

Nach der ersten Protestwelle ruderten die Politiker/innen sofort zurück. "Zwangsumzüge wird es nicht geben", verkündete Roswitha Steinbrenner, Pressesprecherin von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS). Doch das weiter unten aufgeführte Wörtchen "zunächst" ist nicht zu überlesen. Und so arbeitet die Senatssozialverwaltung zurzeit an einer Richtlinie, die sich an den Regelungen der Sozialhilfe orientiert.

"Angemessene" Wohnungsgrößen

Und diese "Ausführungsvorschriften zur Definition von angemessener Unterkunft in der Sozialhilfe" beinhalten im Augenblick folgende Richtwerte, die notfalls eine Toleranz von 10% zulassen: Als "angemessene" Wohnungsgröße gilt, wenn eine Person bis zu 50 qm bewohnt, zwei Personen bis zu 60 qm haben sowie für drei Personen bis zu 75 qm, vier bis 85 qm und fünf bis zu 97 qm. Für jede weitere Person kommen noch weitere 12 qm hinzu.

Die Mietobergrenzen für Altbauten (bis 1949 erbaut) liegen ohne Betriebskosten und ohne Kosten für Heizung und Warmwasser für eine Person bei 227,50 Euro, für zwei Personen bei 267 Euro, für drei Personen bei 318,75 Euro, für vier Personen bei 361,25 Euro und für fünf Personen bei 407,40 Euro. Für jede weitere Person legt das Sozialamt noch 50,40 Euro drauf.

"Angemessene" Mietkosten

Bei Neubauten (erbaut ab 1950) beträgt die Mietobergrenze, ebenfalls ohne Betriebskosten und ohne Kosten für Heizung und Warmwasser für eine Person 225 Euro, für zwei Personen 270 Euro, für drei Personen 333,75 Euro, für vier Personen 378,25 Euro und für fünf Personen 451,05 Euro. Für jede weitere Person zahlt das Sozialamt bis zu 55,80 Euro mehr.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit geht in seinen im Internet publizierten Berechnungen beispielsweise für Alleinlebende in den alten Bundesländern von Kosten in Höhe von insgesamt 317 Euro für Unterkunft und Heizung aus, bei Alleinerziehenden mit einem Kind rechnet das Ministerium mit 414 Euro.

Liegt die Miete drüber, wird wohl nach einiger Zeit Druck zum Umziehen ausgeübt. Sicher nicht in den ersten Monaten des Jahrs 2005, wenn noch alle Welt über Hartz IV spricht. Aber spätestens nach dem Ablauf der sechsmonatigen Schonfrist sollte man mit einem Anziehen der Zügel rechnen. Als Zuckerbrot zur Peitsche befindet sich im Gesetz ein Paragraf, dass "Wohnungsbeschaffungskosten sowie Mietkautionen und Umzugskosten durch den kommunalen Träger übernommen werden können". Muss man auf Grund des Drucks des kommunalen Trägers umziehen, wird aus "können" sogar ein "sollen".

Die Bezirksämter werden im Sommer 2005 sicher versuchen, zuerst einen besonders krassen Fall, "Alleinstehender mit 102 qm", zu thematisieren, um eine gesellschaftliche Akzeptanz für das Umzugskarussell zu schaffen. Damit soll ein schleichender Prozess in Gang gesetzt werden, der nur durch Widerstand ab dem ersten Fall zu stoppen sein wird. Denn "angemessen" sollte eigentlich ein schönes und bequemes Leben sein.

Infos zu Hartz IV und ALG II

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