MieterEcho

MieterEcho 303 - April 2004

 Titel

Am Rande der Stadt und des Rechtsstaats

Sicherheitsdienste schaffen sich ihr eigenes Recht und ein eigene Ordnung

Volker Eick

Ein jugendlicher Asthmatiker wird am Hals gewürgt, einem anderen Jugendlichen reißt man den Arm auf den Rücken, ein weiterer wird mit den Worten "ich habe deine Mutter gefickt" beschimpft, mehrere Kinder werden Treppenstufen hinuntergestoßen, so steht es in einem Gedächtnisprotokoll. Doch nicht von Jugendgewalt ist hier die Rede, sondern vom Verhalten eines kommerziellen Sicherheitsdiensts im Bezirk Hellersdorf.

In einem weiteren Protokoll schreibt die Leiterin eines dortigen Jugendclubs, die von ihr betreuten Jugendlichen sollten bei dem Sicherheitsdienst "ihre Personalien angeben, da es eine Beschwerde von einer älteren Dame aus der Wohnnähe gegeben hat. Die Kinder wurden unter Androhung von ‚Strafarbeiten' zum Erscheinen gezwungen." Beauftragt ist dieser Sicherheitsdienst von der Wohnpark Verwaltungs- und Betreuungsgesellschaft mbH (WVB). WVB wiederum ist im Auftrag der texanischen Immobilienverwertungsgesellschaft Lone Star Funds tätig. Lone Star, mit Hauptsitz in Dallas, hält nach eigenen Angaben in der Bundesrepublik mehrere tausend Wohnungen, davon allein rund 5300 in Berlin. Weiter gehören 15 Hotels und das gesamte Immobilienportfolio des Landesverbands des Berliner Roten Kreuzes zu ihrem Besitz.

Profit vor Recht

Im Dezember 2000 ist das Wohnquartier in Hellersdorf in den Besitz von Lone Star übergegangen. Parallel hat die privatwirtschaftlich arbeitende WVB die Verwaltung vom bisherigen Besitzer, der städtischen WoGeHe Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf, übernommen. Seitdem ist Sicherheit in den privatisierten, aber auch in den öffentlichen Räumen nach dem Gutdünken des Sicherheitsdiensts Trumpf. So sind in der Berliner Großsiedlung im Auftrag der WVB ein Wachschutz aufgebaut und Videosysteme installiert worden, und im Dezember 2002 verdoppelte die Wohnungsbaugesellschaft das im Jahr 2001 eingeführte "Kopfgeld" gegen Graffiti-Sprayer auf 250 Euro. Gleichzeitig häufen sich Übergriffe und Beschwerden gegen Jugendliche.

Über den Verwalter der WBV, bei dem sich die Jugendclubleiterin wegen der permanenten Schikanen gegen die von ihr betreuten Jugendlichen durch den Sicherheitsdienst beschweren will, berichtet sie in ihrem Protokoll. Wörtlich heißt es, der Geschäftsführer habe ihr gesagt, "die Security-Leute dürften in seinem Wohngebiet Taschen kontrollieren, Personalien aufnehmen und Jugendliche anpöbeln, weil und wenn diese zuerst verbal ausfallend würden." Direkt zitiert das Protokoll den Geschäftsführer mit den Worten: "Polizisten würden auch gerne zurückpöbeln, die dürfen das nur nicht, weil die ja Beamte sind. Aber meine Leute sind privat, die machen das in meinem Auftrag. Ich muss mein Wohngebiet sauber halten und für Ruhe sorgen."

Welche Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung hinter dieser Aussage stehen, zeigt sich aus einem weiteren Gedächtnisprotokoll, in dem diesmal ein Jugendlicher so "am Hals hochgehoben" wird, "dass seine Füße den Bodenhalt verlieren". Er wird dann "so losgelassen, dass er hinfällt." Die Vorfälle sind polizei- und gerichtsbekannt. Sämtliche Verfahren werden jedoch eingestellt. Die Übergriffe setzen sich nach Auskunft betroffener Jugendlicher und Eltern fort. Ebenso ist bekannt, dass der Sicherheitsdienst eine EDV-gestützte Personendatei führt, die sich "Wachbericht" nennt. Dort wird, Kalenderwoche (KW) für Kalenderwoche, detailliert dokumentiert, wie der Profit orientierte Wachschutz sonst noch gegen Jugendliche vorgeht. Die nicht anonymisierte Datei wird gar auf einer öffentlichen Veranstaltung durch den Sicherheitsdienst verteilt.

Räume mit eigenem Recht

In dem Bericht aus der Nachsilvesterwoche 2003 (1. KW) heißt es, dass der - auf den Namen "Flash Security" hörende - Sicherheitsdienst Jugendliche mit Böllern "gestellt" habe. Nach eigenen Angaben auf ihrer Homepage seien die Beschäftigten dafür bekannt, dass sie "der Konfrontation nicht aus dem Weg gehen, sondern die Priorität in der Schaffung und Einhaltung der Sicherheit sehen." Weiter wird in dem Wachbericht über die Jugendlichen berichtet, "sie wurden zu ihren Eltern gebracht und ermahnt." Wenig später (4. KW) beschlagnahmt der Sicherheitsdienst einen Filzstift, weil ein Jugendlicher angeblich eine Wand "beschmieren" wollte. Regelmäßig kommt es zu Freiheitsberaubungen, denn Jugendliche werden zu den Wohnungen ihrer Eltern gebracht - eine Praxis, die privaten Sicherheitsdiensten nicht zusteht. In der 30. KW um 20.25 Uhr spielen Jugendliche nach Angaben von Flash Security Fußball auf einem Hof: "Alle sehr uneinsichtig und diskutieren über Ruhezeiten. Der Ball wurde eingezogen und kann im Büro der WVB abgeholt werden."

Das ganze Frühjahr 2003 halten die Schikanen, offenbar gegen ausgewählte Jugendliche, an: Mir selbst berichtet im Juli 2003 ein Jugendlicher, wie er, nachdem er auf den Boden des dortigen öffentlichen Marktplatzes gespuckt hatte, von den Sicherheitskräften gezwungen worden sei, mehrere hundert Meter zu einem Spielplatz zu laufen, um die Spucke mit Sand abzudecken. 15-jährige Mädchen erzählen, wie sie von Bänken vertrieben werden, weil sie auf der Rückenlehne sitzen. Mehrfach werden Jugendliche zu ihren Eltern gebracht und Fußbälle eingezogen. Die Eltern werden mit dem Verlust ihrer Mietverträge bedroht. Der Geschäftsführer der Wohnungsbauverwaltung braucht offenbar auch keinen Ärger mit der Polizei zu fürchten, denn nach seinen Angaben arbeite die Polizei "mit der Securityfirma ja zusammen". Die Jugendclubleiterin bedrohte er, da "vom Schülerzentrum Lärmbelästigung" ausgehe, mit dem Hinweis, "er könne sich mal an den Träger wenden und das Haus schließen lassen." So heißt es jedenfalls in dem Protokoll.

Nach einer vom Jugendclub organisierten öffentlichen Veranstaltung, an der neben Bezirksvertretern auch die Wohnungsbaugesellschaft, der Sicherheitsdienst, kirchliche Träger, die Polizei und Jugendliche mit ihren Eltern teilgenommen haben, hat sich die Situation derzeit etwas beruhigt. Lediglich von Pöbeleien haben Jugendliche noch im vergangenen März berichtet. Bleibt zu hoffen, dass sich die Situation noch weiter beruhigt, dem Sicherheitsdienst noch deutlicher gemacht wird, dass seine Rechte begrenzt sind und auch ihm das Recht als Instanz zu gelten hat.

Wir alle lesen regelmäßig von Übergriffen privater Wachschützer, hören von Konfrontationen mit so genannten Randgruppen, werden aber allenthalben vom Gewerbe, der Politik, selbst der Polizei damit beruhigt, es handele sich lediglich um "schwarze Schafe". Doch selbst wissenschaftliche Publikationen setzen sich mittlerweile mit Übergriffen durch kommerzielle Sicherheitsdienste auseinander. Insofern spricht nicht sehr viel für "Einzelfälle". Vielmehr zeichnet sich in diesen und anderen Fällen etwas ab, das weit über die häufig bemühten einzelnen Übergriffe hinausgeht: Offensichtlich haben wir es zunehmend mit der (gewaltsamen) Durchsetzung partikularer Normen zur Profitmaximierung zu tun - und damit gleichzeitig mit der Zerlegung des staatlichen Gewaltmonopols in oligopolistische Inseln1 von Macht und Machtlosigkeit im rechtlich nicht mehr eingehegten Raum.

Aus grundrechtlicher Sicht lässt sich eine auf den ersten Blick paradoxe Entwicklung beobachten: Mit dem Rückzug des Staats schrumpfen die Freiheitsräume. Und mit der Teilprivatisierung der öffentlichen Sicherheit erlebt die öffentliche Ordnung als Eingriffstitel eine Renaissance. Die privatisierten Vollzugsstrukturen der öffentlichen Ordnung bilden zugleich einen neuen rechtsfreien Raum, denn die rechtsstaatlichen Fesseln der hoheitlichen Gewalt - die Bindung an das öffentliche Recht und Dienstrecht - werden abgelegt. Daran, so zeichnet sich ab, werden sich die Bürger/innen gewöhnen müssen: Wo die Herrschaft im öffentlichen Raum von der res publica2 auf private Investoren übergeht, wird nicht die Ausübung der Grundrechte, sondern eine Profitmaximierung betrieben. Michael Zinganel hat unlängst in einem lesenswerten Band versucht, mit Marx die These zu belegen, dass sich Verbrechen sehr wohl lohne - für das private Sicherheitsgewerbe in Berlins Osten scheint dem nichts hinzuzufügen zu sein.

Der Beitrag erscheint Ende Mai in leicht veränderter Form im von verschiedenen Bürgerrechtsbewegungen herausgegebenen Grundrechte-Report 2004, der eine Vielzahl von Grundrechtsverstößen der bundesrepublikanischen Justiz, von Polizei, Verwaltung und Politik aufdeckt. Wir empfehlen ihn der Leser/innenschaft zur Lektüre.

Nachlese:

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