Mieterecho - Zeitung der Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Nr. 301   Dezember 2003

Mieter bei der GEHAG von weiteren Verkäufen bedroht

Vermietete Reihenhäuser der Hufeisensiedlung sollen an Kapitalanleger veräußert werden

PAUL BÖTTCHER

Die Befürchtungen der Wohnungsgenossenschaft Hufeisensiedlung-Britz Süd haben sich im September dieses Jahres endgültig und im vollen Umfang bestätigt. Der Ausverkauf der vermieteten Einfamilienhäuser in Britz hat nun seine letzte Stufe erreicht.

Vorab für diejenigen, die die Entwicklungen der letzten vier Jahre nicht mitverfolgt haben, eine kurze Chronologie der Ereignisse:

Die Hufeisensiedlung in Berlin-Britz (Bezirk Neukölln) wurde im Zeitraum von 1925 bis 1933 nach den Plänen von Bruno Taut und Martin Wagner errichtet. Die mittlerweile denkmalgeschützte Siedlung aus mehrgeschossigen Häuserzeilen und Einfamilienreihenhäusern wurde konzipiert, um auch Arbeiter-familien bezahlbares Wohnen im Grünen mit eigenem Garten zu ermöglichen. Im Dezember 1999, ca. ein Jahr nach der ersten Teilprivatisierung der GEHAG mit dem Verkauf von 75% der Anteile durch den damaligen Senat, verdichteten sich die Gerüchte über einen Einzelverkauf der Häuser und Wohnungen in der Hufeisensiedlung. Verunsicherte Mieter schlossen sich zusammen und gründeten eine Mieterinitiative, welche zunächst die GEHAG und den Senat mit diversen Schreiben um Auskünfte ersuchte, was denn nun wirklich mit dem Quartier geplant ist. Von keiner Seite gab es konkrete Auskünfte.

Auf Betreiben der Mieterinitiative fand dann am 21.01.2000 in der Aula der Fritz-Karsen-Schule eine Mieterversammlung statt, die von ca. 600 besorgten und empörten Mietern besucht wurde. Auf dem Podium fanden sich neben den Repräsentanten der Initiative auch das frischgebackene Vorstandsmitglied der GEHAG, Jürgen Klemann, Bausenator a.D., sowie Vertreter verschiedener Genossenschaften ein.

Verkauf an Dritte zunächst ausgeschlossen

Erstmalig auf dieser Versammlung wurde von Klemann die Katze aus dem Sack gelassen. Er bestätigte, dass die GEHAG die Reihenhäuser in der Hufeisensiedlung an Mieter verkaufen wolle. Die Häuser mit einer Wohnfläche von 80 bis 100 qm sollten ca. 200.000 bis 300.000 DM kosten.

Auf die Frage der Mieterinitiative, welche Konsequenzen sich aus dem Verkauf für die Mieter ergeben, ob auch ein Verkauf an Dritte beabsichtig sei und inwieweit die Wohnrechte der Mieter vor z.B. Eigenbedarfskündigungen oder Luxusmodernisierungen geschützt seien, gab es von Klemann folgende Versprechungen zur Beschwichtigung: Die GEHAG sei eine Gesellschaft, die von ihrem guten Ruf lebe und sich in besonderer Weise dem Gemeinwohl und insbesondere dem Schutz der Mieterinteressen verpflichtet fühle. Eigentumskündigungen seien schon auf Grund dieser Firmenphilosphie der GEHAG ausgeschlossen, und im Übrigen seien auch die Immobiliengesellschaften RSE (WCM) und die Hamburgische Landesbank (siehe Kasten) als Käufer des 75%igen Anteils auf Grund der Bestimmungen des Kaufvertrags verpflichtet, zumindest für die nächsten 20 Jahre auf Eigenbedarfskündigungen zu verzichten. Diese Verpflichtungen seien auch für etwaige Dritte als Käufer bindend. Im Übrigen, so Klemann, sei nicht beabsichtigt, die Häuser an Dritte zu veräußern, so dass die von der Mieterinitiative geforderten Ergänzungen der Mietverträge, die Eigenbedarfskündigungen, Verwertungskündigungen und Luxusmodernisierungen ausschließen sollten, überhaupt nicht nötig seien.

Genossenschaft gegründet

Durch den öffentlichen Druck, den die Mieterinitiative mit der Versammlung und dem breiten Echo in der Berliner Presse ausübte, gab es dann mit Datum vom 22.02.2000 die erste schriftliche Mitteilung der GEHAG an die Mieter, dass die Reihenhäuser an die Mieter verkauft werden. Auch in diesem Rundschreiben sicherte die GEHAG zu: "Wir beabsichtigen nicht, Reihenfamilienhäuser an Dritte zu veräußern. Insoweit wird sich an den jetzt bestehenden Mietverhältnissen nichts ändern."

Die Mieterinitiative wollte sich jedoch damit nicht zufrieden geben. Im Frühjahr wurde beschlossen, eine Genossenschaft zu gründen, um die Siedlung zu kaufen und im sozial- und wohnungspolitischen Sinne der Gründungsväter zu erhalten. Gleichzeitig fanden im April 2000 die ersten Gespräche zwischen der Mieterinitiative und der GEHAG statt. Die Vertreter der GEHAG zeigten sich zuerst durchaus aufgeschlossen für den Genossenschaftsgedanken und es wurden weitere Verhandlungen vereinbart.

Am 10.05.2000 fand dann die Gründung der Genossenschaft statt, in der sich spontan 75 Mieter zur "Wohnungsgenossenschaft Hufeisensiedlung - Britz-Süd" zusammenschlossen. In den Folgemonaten wuchs die Zahl rapide an, so dass im Herbst eine Mitgliederzahl von 850 erreicht war. Die Gespräche mit der GEHAG gestalteten sich jedoch sehr zäh. Während die Genossenschaft am Kauf des gesamten Viertels mit 3800 Wohneinheiten interessiert war, wollte die GEHAG lediglich einen kleinen Teil der Siedlung an die Genossenschaft verkaufen. Auch über den Preis konnte keine Einigkeit erzielt werden. Die Genossenschaft bot einen durchschnittlichen Preis von 1200 DM/qm, während die GEHAG auf 1700 DM/qm beharrte.

Vollständige Privatisierung

Im Herbst 2000 überschlugen sich dann die Ereignisse. Die Parteien waren sich über einen Teilverkauf fast einig, vom Senat sollten beachtliche Fördergelder für die Genossenschaft bereitgestellt und gleichzeitig die restlichen 25% der Senatsanteile an der GEHAG nun auch verkauft werden. Der Verkauf eines Teils der Siedlung an die Genossenschaft sollte daran gekoppelt werden. Der Verkauf der GEHAG-Anteile scheiterte jedoch an der SPD-Fraktion des Abgeordnetenhauses, welche vor dem Hintergrund der insgesamt unsozialen Wohnungs- und Mieterpolitik der WCM beschloss, keine Verkäufe mehr an die WCM vorzunehmen. Damit verlor auch die WCM schlagartig jedes Interesse, mit der Genossenschaft ins Geschäft zu kommen.

Im Juni 2001 folgte dann das nächste Mieterhöhungsverlangen zum 01.09.2001 Auch hier wurde noch im letzten Moment die Kappungsgrenze von 30% ausgeschöpft. Die Mieter, die sich mit Unterstützung der Mieterorganisationen dagegen wehrten, erreichten gerichtliche Vergleiche, wodurch die Wirksamkeit auf Februar 2002 verschoben und der Erhöhungsbetrag auf 20% reduziert wurde.

Die Genossenschaft kommentierte dies mit der Feststellung, "die Mieter sollten für en bloc Verkäufe reif gemacht werden", was von der GEHAG mit einer anwaltlichen Unterlassungsverfügung beantwortet wurde.

Im September 2001 wurden dann die restlichen 25% der GEHAG an die Hamburgische Landesbank verkauft, wobei der Senat, um sich damit "im Zusammenwirken mit den vertraglichen Vereinbarungen seinen Einfluss auf die künftige Geschäftspolitik zu sichern", eine symbolische Aktie behielt. Der Kaufpreis für diese 25% (von insgesamt über 30.000 Wohnungen) entspricht pikanterweise fast genau dem Angebot der Genossenschaft für die begehrten 3800 Wohnungen. Die weiteren Versuche der Genossenschaft mit der Hamburgischen Landesbank wieder in Verhandlungen einzutreten, scheiterten bis zum heutigen Tage am Desinteresse der jetzigen Eigentümer.

Vermietete Einfamilienhäuser auf dem Immobilienmarkt

Machen wir wieder einen Sprung in die Gegenwart. Am 15.09.2003 fand der Mieter eines der betroffenen Einfamilienhäuser die hier wörtlich wiedergegebene Nachricht auf seinem Anrufbeantworter:

"Ja, Steinberg, von Berliner Wohnimmobilien, schönen guten Tag Herr Menzel*. Herr Menzel, ich hatte Ihnen seinerzeit ein Angebot unterbreitet zum Kauf Ihres Hauses. Da waren wir noch GEHAG Wohnvertriebs- und Verwaltungsgesellschaft, wie gesagt, jetzt sind wir umbenannt worden in die BWi, aber wir verkaufen immer noch die Häuser der GEHAG, und ich biete Ihnen das Haus für 85.000 Euro an. Dieses gleiche Angebot habe ich auch Herrn Birkholz*, Ihrem Nachbarn angeboten, allerdings auch im gegenseitigen Umkehrschluss, das heißt, Sie können ebenfalls das Haus von dem Herrn Birkholz kaufen und Ihr eigenes, oder auch nur sein Haus, oder er kauft nur Ihr Haus. Ich weiß, dass Sie im Rechtsstreit liegen und vielleicht können Sie (hä hä) den ja dahingehend beheben, dass Sie letztlich Herrn Birkholz* und Frau Gehrke* als Ihre eigenen Mieter betrachten können. O.k., Sie erreichen mich unter folgender Telefonnummer (...), die Vorwahl ist dann die (...), ich wiederhole: (...). Definitiv ist es also jetzt soweit, dass die GEHAG uns damit beauftragt hat, auch die vermieteten Reihenhäuser aus der Hufeisensiedlung an Kapitalanleger zu verkaufen. O.k., soweit die Nachricht, machen Sie was draus, rufen Sie mich an, oder es kann ja durchaus sein, dass der Umkehrschluss dann doch zu Stande kommt und ... Na gut, wir werden sehen. O.k., also schönen Tag noch."

Der Mieter Menzel rief also bei dem Herrn Steinberg von der BWi an, um sich über die Konditionen für den Kauf beider Häuser zu erkundigen. Er erhielt am Telefon zunächst die Information, welche Nettomiete sein Nachbar zahlt (293 Euro) damit er eine Kalkulationsgrundlage für die Bank hat. Eine Woche später begegnet ihm ein Zeitungsinserat, in dem er ein baugleiches Haus, welches für eine Nettokaltmiete von 492 Euro monatlich vermietet ist, für 83.200 Euro kaufen kann.

Der Mieter Menzel errechnet messerscharf, dass ihn die Befriedigung des Nachbarschaftsstreits durch den Kauf des Nachbarhauses zusätzliche 1800 Euro kosten würde und er zugleich einen monatlichen Einnahmeverlust von 200 Euro hinnehmen müsste. Ist es das wert?

Die vollmundigen Versprechen des Jahres 2000 sind damit endgültig Schall und Rauch. Das durch die Mieterprivatisierung ohnehin schon stark beeinträchtigte soziale Gefüge wird durch die rigorose und geradezu zynische Art und Weise, wie nun der Kauf vorangetrieben werden soll, wohl endgültig zerstört werden.

Die BWi, welche mit dem Verkauf beauftragt ist, ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der GEHAG. Auf der Führungsebene dieser Firma findet sich ein altbekanntes Gesicht, Herr Boris Töppe, ehemals Vorstandsmitglied der GEHAG. Die Genossenschaft wird die GEHAG befragen, wie sich die gegenwärtigen Machenschaften mit der von Klemann zitierten "Firmenphilosophie" der GEHAG verträgt und wie sie gedenkt, die Interessen der betroffenen Mieter zu schützen.

Der Senat wird sich die Frage gefallen lassen müssen, was er nun mit dem Einfluss auf die künftige Geschäftspolitik, welche er sich durch den Verbleib der symbolischen Aktie gesichert hat, für die Interessen der betroffenen Mieter tun wird.Bisher ist noch keine offizielle Mitteilung an die Mieter von der GEHAG erfolgt. Auf die Antworten sind wird gespannt. Wir werden Sie ggf. in einer der nächsten Ausgaben des MieterEchos informieren.

 

*) Namen von der Redaktion geändert.

Weitere Informationen zur Wohnungsgenossenschaft Hufeisensiedlung-Britz Süd unter www.hufeisensiedlung.de

BWi: Berliner Wohnimmobilien GmbH
GEHAG: GEHAG GmbH (ehemals Gemeinnützige Heimstätten AG)
RSE: RSE Grundbesitz und Beteiligungs-AG (ehemals Rinteln-Stadthagener Eisenbahn AG)
WCM: WCM Beteiligungs- und Grundbesitz-AG (ehemals Württembergische Cattunmanufactur)