MieterEcho
Nr. 289 - Januar/Februar 2002

Keine Verdrängung?

 

Hermann Werle

Im letzten MieterEcho beschäftigte sich Barbara König mit der Bürgerstadt AG und formulierte zum Schluss ihres Artikels die Hoffnung, die Bürgerstadt könne unter Beweis stellen, dass sie etwas anderes sei, als ein Immobilienfonds für einkommensstarke Geldanleger, die die "Verdrängung zahlungsschwächerer Bewohner ggf. in Kauf nimmt (...)".

Der folgenden Beitrag betrachtet einige Verlautbarungen - nachzulesen unter www.buergerstadt.de -, die aufzeigen, dass diese Hoffnung grundlos ist.

Die Bürgerstadt AG geht davon aus, dass der Lebensunterhalt in Berlin mit einem Einkommen zu bewerkstelligen sei, welches um 17% niedriger liege als im Bundesdurchschnitt. Möglich sei dies, weil staatliche "Transferleistungen das Defizit ausgleichen." Zu den Transferleistungen gehören - nach ihrer Einschätzung - u.a. jene Zuwendungen, die das Wohnen in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten bislang preisgünstig gestaltet haben. Da die kommunalen Haushalte damit überfordert seien, fordert die Bürgerstadt einen umfassenden Transformationsprozess, der sich mit der steigenden Wirtschaftskraft Berlins, sowie dem Umbau der Transferleistungen zwangsläufig ergeben müsste. Von einer gestärkten Wirtschaftskraft kann indes kaum die Rede sein: "Deutschlands Abschwung verschärft sich" titelte die Financial Times am 11. Januar 2002 und die wirtschaftliche Krise in Form von rückläufigem Konsum und schrumpfenden Investitionen geht auch an Berlin nicht vorbei.
Die Bürgerstadt analysiert, dass es "zu einer sozialen Neuzusammensetzung in vielen Stadtteilen kommen" wird. Wie sich Bürgerstädter diese Neuzusammensetzung vorstellen, bzw. mit wem sie nicht im Stadtteil zusammenwohnen wollen, erläutern sie u.a. in der "Berlin-Erklärung 2001", welche von der Bürgerstadt AG unterstützt und mitinitiiert wurde. Zu den Ursachen der Krise formulieren diese Bürger, dass Politik lokal an die Wurzel gehen müsse. Am Beispiel des Gesundheitswesens bedeutet es: "Lokale Gesundheitspolitik muss die Wurzeln angehen: den überproportionalen Alkoholismus, den unverantwortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit und Arbeitskraft, Krankfeiern, Mitnehmen von Kassenleistungen, weil sie gratis sind, usw. Probleme, die zugleich die des Wirtschafts- und Verwaltungsstandorts sind." Die Ausgaben für krankfeiernde und alkoholtrinkende Arbeiter und Arbeiterinnen sind nach dieser Lesart nicht nur die Ursache der vielzitierten "Kostenexplosion" im Gesundheitsbereich, sondern auch mitverantwortlich für den vermeintlichen Standortnachteil Deutschlands und die Benachteiligung des Stadtteils. Wie sich die Bürgerstädter den Umbau der Transferleistungen und die soziale Struktur eines Stadtteils vorstellen, sei im Folgenden grob skizziert.

Geförderte Umwandlung

Versteckt hinter der Floskel, "den Filz lichten" zu wollen, fordert die Bürgerstadt die Privatisierung aller städtischen Betriebe. "Sie sind Domänen der Klientelwirtschaft und Selbstbedienungsläden und stehen selbstverantwortlichem bürgerschaftlichem Handeln entgegen." Am Berliner Parteienfilz gibt es nichts zu beschönigen und die Profiteure eines Selbstbedienungsladen wie der Bankgesellschaft Berlin gehören zur Verantwortung gezogen. Aber was die Bürgerstädter wollen, geht weit darüber hinaus. Mit selbstverantwortlichem, bürgerschaftlichem Handeln verbinden sie die höheren Einkommensschichten, die de facto unabhängig von staatlichen Transferleistungen sind, d.h. sie beziehen sich auf die "fitte Mitte". Quasi als Dankeschön für ihre materielle Unabhängigkeit, sollen besser Verdienende verstärkt in den Genuss z.B. der staatlichen Wohneigentumsförderung kommen. Auf Grund der "interessanten Förderung für Kauf und Sanierung" nutzt die Bürgerstadt die Zuschüsse des Berliner Senats für eigentumsorientierte Genossenschaften. Das diese nicht mehr viel mit althergebrachten Genossenschaften zu tun haben erklärt die Bürgerstadt ohne Umschweife. "Wenn die Förderdarlehen abbezahlt sind, erfolgt in etwa 15 Jahren die Teilung in Eigentumswohnungen." Eigentumsorientierte Genossenschaften dienen in diesem Falle ausschließlich der Eigentumsbildung - eine neue Form der vom Senat geförderten Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen für besser Verdienende.

Mieten müssen steigen

Dieses Konzept der Umwandlung entspricht vollständig den Vorstellungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und ihres obersten Chefs, Peter Strieder. Private Investoren sollen den Staat als Bauherrn ablösen, wie es FOYER, das offizielle Organ der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, beschreibt. In der Ausgabe vom Oktober 2000 klagt der damalige Senatsbaudirektor Hans Stimmann im Einklang mit der Bürgerstadt über die niedrige Eigentumsquote Berlins. Die große Mehrheit der BerlinerInnen wohnt zu Miete, in etwa 90%. Grund hierfür seien die "billigen Mieten", die durch den sozialen Wohnungsbau "extrem hoch subventioniert" wären. Diese Subventionierungen seien wiederum "ein Grund dafür, dass Berlin heute pleite ist", meinen Dr. Dieter Hoffmann-Axthelm und Dr. Ludovica Scarpa, Mitbegründer der Bürgerstadt AG. Der soziale Wohnungsbau, mit "der fast grenzenlosen Subventionierung" (Strieder) solle deshalb abgewickelt werden, damit die Mieten steigen können und wie es die Bürgerstädter ausdrücken: "wieder eine Normalität in den Berliner Wohnungsmarkt" eingeführt wird. Diese "Normalität" schafft den Anreiz für das Wohneigentum, es ist "desto rationaler, desto höher die Mieten durchschnittlich steigen." "Und wer damit tatsächlich überfordert ist, für den zahlt weiter das Sozialamt die Miete." Mieterberatung sei somit hinfällig, meint die Bürgerstadt, notwendig sei "eine wirtschaftliche und mentale Transformation". Zu dieser mentalen Transformation gehört jener Aspekt, den Barbara König lediglich nebenbei erwähnt: Mieter in Wohnungen städtischer Wohnungsbaugesellschaften "müssten theoretisch genau so von Schuldgefühlen geplagt sein wie Schwarzfahrer in der U-Bahn. Das wären sie wahrscheinlich ja auch, wenn sie es nur wüssten. Zum Glück für sie wissen sie es nicht." Die Bürgerstädter und mit ihnen die Protagonisten der "fitten Mitte" wollen aber durchaus, dass MieterInnen im sozialen Wohnungsbau zur Kenntnis nehmen, dass sie als Schmarotzer, Faulenzer oder Alkoholiker angesehen werden. Diese psychologische Stigmatisierung stellt den Amboß dar, auf den der Hammer des Zwangs erhöhter Mieten schlagen soll. Der Gang zum Wohnungs- oder Sozialamt ist - im Gegensatz zum breit angelegten sozialen Mietwohnungsbau und städtischer Wohnungsbaugesellschaften - ein individueller Schritt, den viele Menschen aus Scham oder um ihrer Würde willen nicht vollziehen.
Die Berliner MieterGemeinschaft wird der Aufforderung der Hoffmann-Axthelms und Scarpas nicht nachkommen und auch weiterhin für die Mieter- und Mieterinneninteressen im sozialen oder privaten Wohnungsbestand einstehen.

 

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