MieterEcho
Nr. 289 - Januar/Februar 2002

Nachruf auf den sozialen Wohnungsbau

 

Julia Oppermann

Seit dem 1.1.2002 ist das "Gesetz über die soziale Wohnraumförderung" in Kraft. Es hat das aus dem Jahre 1956 stammende "2. WohnungsbauGesetz", das bisher die rechtliche Grundlage für den sozialen Wohnungsbau bildete, abgelöst. Dieser Gesetzesübergang wurde in der Öffentlichkeit viel weniger beachtet als die Reform des Mietrechts. Zu Unrecht, denn er bringt einen Paradigmenwechsel zum Ausdruck, der das Ergebnis tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen ist.
Der § 1 (1) des alten Gesetzes enthält den klassischen Auftrag an die Politik: "Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände haben den Wohnungsbau unter besonderer Bevorzugung des Baus von Wohnungen, die nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für die breiten Schichten des Volkes bestimmt und geeignet sind (sozialer Wohnungsbau), als vordringliche Aufgabe zu fördern."
Diese Wohnungspolitik für "die breiten Schichten des Volkes" - "eine vordringliche Aufgabe" - war ein eigenständiges Politikfeld, sie war nicht nur ein Teilbereich der Wirtschafts- oder eine Ergänzung der Sozialpolitik, der soziale Wohnungsbau wurde damit zu einer der Säulen der sozialen Marktwirtschaft.
In den ersten Jahren nach dem Krieg stand der Mietwohnungsbau im Vordergrund. Doch bald geriet die programmatische und strategische Ausprägung ganz in die Tradition der "Konservativen Eigentumsideologie", die schon in den 60er Jahren des 19. Jh. als ein Instrument zur Lösung sozialer Probleme diskutiert und formuliert worden war. Als Beispiel soll Victor Aimé Huber, einer der konservativen Befürworter der Wohnungsbaugenosenschaften, dienen:
"Die ganze Zukunft hängt davon ab, daß diese chaotische Masse von Kräften, deren Not und Verstimmung eine Gärung hervorbringt, aus welcher die furchtbarsten Gefahren der Zukunft drohen, zu einem geordneten, organischen Bestandteil der bürgerlichen und gesellschaftlichen Ordnung, daß jene Elemente eines Standes zu einem wirklichen Stand gestaltet werden. (...) Dies kann aber nur auf der Grundlage des Besitzes geschehen. Ein so begründeter Stand besitzender Arbeiter wird aber selbst die sicherste Grundlage derselben Ordnung sein, der seine massenhaft vereinzelten und in der Vereinzelung von der Armut um so mehr bedrohten, der gärenden Verbitterung ausgesetzten Elemente jetzt den Untergang oder doch die furchtbarsten Erschütterungen und Verluste drohen. (...) Der Staat, die Gewalt, die Partei, welcher diese Tat gelingen wird, hat damit zugleich die Bürgschaft ihrer eigenen Zukunft erlangt."1
1952, ein knappes Jahrhundert später, äußerte sich Konrad Adenauer ganz ähnlich:
"Die Schaffung von Eigenheimen muß als sozial wertvollster Zweck staatlicher Wohnungsbau- und Familienpolitik anerkannt werden. Das Eigenheim kann und darf kein Reservat kleiner Schichten sein, im Gegenteil soll gerade der Besitzlose durch Sparen, Selbsthilfe und öffentliche Fördermittel zum Eigentum gelangen und so der Proletarisierung und Vermasssung entrissen werden."2
Und in diesem Sinne fährt auch der § 1 des 2. WohnungsbauGesetzes im zweiten Absatz fort: "Die Förderung des Wohnungsbaus hat das Ziel, den Wohnungsmangel zu beseitigen und für weite Kreise der Bevölkerung breitgestreutes Eigentum zu schaffen."
"In ausreichendem Maße sind solche Wohnungen zu fördern, die der Entfaltung eines gesunden Familienlebens, namentlich für kinderreiche Familien, gewährleisten. Die Förderung des Wohnungsbaus soll überwiegend der Bildung von Einzeleigentum (Familienheimen und eigengenutzten Eigentumswohnungen dienen. Zur Schaffung von Einzeleigentum sollen Sparwille und Bereitschaft zur Selbsthilfe angeregt werden."
In Berlin verknüpft sich mit dem sozialen Wohnungsbau immer die Vorstellung von Mietwohnungsbau durch die großen, teilweise öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften. Dass die Förderung aber ursprünglich politisch, gesellschaftspolitisch, programmatisch etc. primär der Eigentumsbildung zu dienen hatte, ist weniger bewusst. Andrerseits sollte die strategische Ausrichtung auf das Eigentum auch nicht überinterpretiert werden, denn die Beseitigung des Wohnungsmangels und (die Betonung liegt auf "und") die Schaffung von breitgestreutem Eigentum waren parallele Zielstellungen, die Beseitigung des Wohnungsmangels war nicht "nur" an die Bildung von Eigentum gebunden. Wie sich Eigentums- und Mietwohnungsförderung seit 1970 zueinander verhalten ist der nebenstehenden Tabelle zu entnehmen.
Die Familie, die das Gesetz meint, war, auch wenn ihrer kinderreichen Variante besonders gedacht wurde, die Kleinfamilie; jene Familienformation, die nur zwei Generationen: Eltern und Kinder, vereint. Der Vater, Facharbeiter oder Angestellter, im Normalarbeitsverhältnis, "Ernährer" der Familie, ein bis zwei schulpflichtige Kinder und die Mutter, die wenn es das Alter der Kinder erlaubte und sonstige Umstände erforderlich machten "mitverdiente" bildeten die fordistische Normalfamilie. Auf ihre Bedürfnisse war die förderungsfähige Wohnung zwischen 60 und 100 qm mit Wohnzimmer, Elternschlafzimmer, Kinderzimmer, Küche, Flur und Bad zugeschnitten. Die Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus in der Bundesrepublik und die Plattenbausiedlungen in der DDR unterschieden sich nebenbei bemerkt nur geringfügig, verkörperten gleichermaßen eine abgestandene Moderne mit Solitärbauten und Abstandsgrün, schließlich hatten auch beide gesellschaftlichen Systeme den gleichen Familientyp zur Grundlage.
Obgleich in den 70er Jahren die aus dem Kriege stammende Wohnungsnot als überwunden gelten konnte, gewann der soziale Wohnungsbau innerhalb einer von der damaligen sozialdemokratischen Regierung betriebenen, stark nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik seinen Stellenwert und wurde auf relativ hohem Niveau weitergeführt. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre geriet das fordistische Gesellschaftsmodell in die Krise und mit ihm der soziale Wohnungsbau. Nicht zuletzt dem politischen Einfluss der Freien Demokraten ist es geschuldet, dass 1988 mit 38.886 Anträgen fast nur noch ein Zehntel der ursprünglichen Zahlen erreicht wurden.
Nach 1990 kam es zwar wieder zum teilweise deutlichen Ansteigen der Förderung, aber nur weil in den neuen Bundesländern ein politisch gewollter und ideologisch gezüchteter Nachholbedarf für Wohneigentum - koste es, was es wolle - befriedigt werden sollte und weil eine neue, von den Modalitäten der Anfangsjahre weit entfernte, sogenannte "vereinbarte" Förderung eingeführt wurde.
Begleitet war der Niedergangsprozess von Forderungen nach größerer Zielgenauigkeit und Kritik an dem Gießkannenprinzip, den Behauptungen, der soziale Wohnungsbau habe Schieflagen erzeugt, die nun ihrerseits durch Förderung beseitigt werden müssen und der Kritik am bürokratischen Aufwand usw. Derartiger Argumente bedienten und bedienen sich die politischen Kräfte, die seit jeher an staatlicher Deregulierung und totaler Liberalisierung des Wohnungsmarktes interessiert sind. Bereits 1953 führte Thomas Dehler (FDP) im Bundestag aus:
"Wohnungsmarkt! Ja, wer glaubt denn wirklich noch, unsere Wohnungswirtschaft sei sozial! Mein Freund Preusker (seinerzeit Bundesbauminister, Anm. d. A.) hat völlig recht. Es gibt doch nur eines: Dieses Ministerium (das Bundesbauministerium, Anm. d. A.) beseitigt man dadurch , daß man den Wohnungsmarkt und den Wohnungsbau gesundet, nämlich mit marktwirtschaftlichen Gesetzen erfüllt. Wie kann man eine Wohnungszwangswirtschaft als sozial bezeichnen, wenn man den Hausbesitzer unter ein Ausnahmerecht stellt? Wohnungsnot wird erst beseitigt, wenn die Ware Wohnung ihren gerechten Preis hat."
Wenn dennoch die bedauernswerten Immobilienspekulanten auf den "gerechten Preis" für "die Ware Wohnung" verzichten mussten, dann hat das auch an der politisch-gesellschaftlichen Großwetterlage gelegen. Die in den 80er Jahren einsetzende Globalisierung begünstigte auch die Liberalisierung der Wohnungsmärkte und den Abbau staatlicher Regulierung. Das jetzt in Kraft tretende "Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung" liegt weit eher im neoliberalen Trend, bzw. seiner sozialdemokratischen Ausprägung als dritter Weg.
Dem § 1 des neuen Gesetzes, ist zu entnehmen:
§ 1 Zweck und Anwendungsbereich, Zielgruppe
"(1) Dieses Gesetz regelt die Förderung des Wohnungsbaus und anderer Maßnahmen zur Unterstützung von Haushalten bei der Versorgung mit Mietwohnraum, einschließlich genossenschaftlich genutzten Wohnraums und bei der Bildung von selbstgenutztem Wohneigentum (soziale Wohnraumförderung).
(2) Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung sind Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind."
Dass man an die Stelle der Familien "Haushalte" als Begünstigte gesetzt hat, ist sicherlich kein Nachteil des neuen Gesetzes und entspricht dem gesellschaftlichen Wandel. Denn die fordistische Kleinfamilie ist noch einmal deutlich geschrumpft. In Berlin beträgt heute die durchschnittliche Haushaltsgröße ca. 1,9 Personen und 50% der Haushalte sind Singlehaushalte.
Doch ein weiterer Unterschied wird sofort deutlich! Es geht um "Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind." Von "breiten Schichten der Bevölkerung" ist nicht mehr die Rede.
"Unter diesen Voraussetzungen unterstützt", so geht es weiter im Text "1. die Förderung von Mietwohnraum insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen sowie Familien und andere Haushalte mit Kindern, Alleinerziehende, Schwangere, ältere Menschen, behinderte Menschen, Wohnungslose und sonstige hilfebedürftige Personen."
Die "breiten Schichten" sind verschwunden, und dadurch geraten nur noch Gruppen, die man für marginalisiert halten könnte, ins Blickfeld.
Eine bemerkenswerte Sichtweise, die sich womöglich für sozial hält, ohne es zu sein. Der Wohnungsbau wird grundsätzlich dem Markt überlassen, der Staat zieht sich zurück und greift nur dort ein, wo sich der Marktwirtschaft geschuldete soziale Verwerfungen zeigen. Wohnungspolitik als eigenständiges Politikfeld verschwindet mehr und mehr und wird zum Appendix der Sozialpolitik.
Dies ist eine Seite des neuen Gesetzes. Eine weitere zeigt sich sofort:
"Unter diesen Voraussetzungen unterstützt
2. die Förderung der Bildung selbst genutzten Wohneigentums insbesondere Familien und andere Haushalte mit Kindern sowie behinderte Menschen, die unter Berücksichtigung ihres Einkommens und der Eigenheimzulage die Belastungen des Baus oder Erwerbs von Wohnraum ohne soziale Wohnraumförderung nicht tragen können."
Der Satz zwei wendet sich einer anderen Zielgruppe zu. Die Bevölkerung, zu Zeiten des
2. WohnungsbauGesetzes in der Mitte noch breit geschichtet, wird in zwei Hälften geteilt, deren untere Zone jeweils fördernde staatliche Zuwendung erfährt.
Die obere Hälfte der Bevölkerung soll sich Eigentum leisten können und hat dementsprechend zu verdienen. Schwer zu sagen wieviel. Das Wohnen im Eigentum ist teuer. Wer aber der erforderlichen Einkommensgrenze nahe ist, soll sie mit staatlicher Hilfe überspringen können. (Das dies ein Sprung in den wirtschaftlichen Abgrund sein kann, steht auf einem anderen Blatt, bzw. im ME 287)
Der Zweiten, der unteren Hälfte der Gesellschaft gehören die Mieter an, und ihrem unteren Rand, so sieht es das Gesetz vor, wird die soziale Betreuung zuteil.
Dass es sich bei dem Ersatz der "breiten Schichten" durch eine zweigeteilte, polarisierte Gesellschaft nicht nur um einen beliebigen wohnungspolitischen Paradigmenwechsel handelt, sondern eher um die gesetzliche Anpassung an fundamentale gesellschaftliche Veränderungen, belegt der "Erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung". Die untenstehende Tabelle zeigt, dass die fordistischen "breiten Schichten" deutlich schmaler geworden sind. In den letzten 25 Jahren haben sie sich um ca. 30% verringert.
1973 machte der Teil der Bevölkerung, dessen Markteinkommen nicht weniger als 25% unter dem durchschnittlichen und nicht mehr als 25% darüber lag, 35,5% aus. 1998 hatte diese Schicht nur noch einen Anteil von 25% an der Gesamtbevölkerung.
War bisher der Bund für den sozialen Wohnungsbau zuständig, so wird sich auch dies ändern. Das neue Gesetz überlässt dem Bund die Verantwortung für Rahmenrichtlinien innerhalb deren die Länder und neuerdings auch Gemeinden und Gemeindeverbände eigenständig agieren können. Wer damit die Vorstellung von größerer Bürgernähe verbindet, übersieht die eigentliche Intention: nationalstaatliche Deregulierung zu Gunsten des Marktes und zu Lasten der föderalen Basis. Der dritte Förderungsweg, bisher immer noch eher als Ausnahme empfunden, ersetzt zukünftig alle anderen Förderungsformen und wird in seiner Tendenz als Instrument der public-privat Partnership weiter verstärkt. Auswirkungen hat das u.a. auf die Belegungsbindungen. Die können demnächst übertragen werden. D.h. beispielsweise die Förderung von Wohnungen in 1a Lage für eine entsprechend finanziell ausgestattete Klientel wird mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus möglich, bei gleichzeitiger Übertragung der Belegungsbindung auf die Platte am Stadtrand, wenn sie beide demselben Investor gehören.
Das ist hanebüchen, aber leider wahr.
Ob sich allerdings eine ernsthafte Kritik daran lohnt ist zweifelhaft. Der Bund beabsichtigt nämlich sowieso nur 300 Mio. E jährlich für die Förderung des Neubaus von Miet- und Eigentumswohnungen im Rahmen des neuen Gesetzes zur Verfügung zu stellen.
Das ist kaum mehr als gar nichts. Dafür wendet er aber problemlos über 11 Mrd. E für die Eigenheimförderung auf der Grundlage des "EigenheimförderungsGesetzes" auf. Und das sagt eigentlich alles.

1 Victor Aimé Huber: Die ökonomische Association. In: DERS.: Ausgewählte Schriften über Social- und Genossenschaftswesen. Berlin 1894, S. 757-769, 757f.
2 Konrad Adenauer (CDU) 1952, zit. nach: Kathrin Wolff: Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Berlin. Berlin 1996, S. 11

Verteilung des auf jede Person umgerechneten zur Verfügung stehenden Bruttoeinkommens

Relative Einkommensposition
(das Durchschnittseinkommen ist mit dem Faktor 1,00 gekennzeichnet, darüber hinaus gehende Einkommenspositionen mit 1,25 bzw.3,00 und mehr; darunter liegende entsprechend mit 0,75 bzw. 0,5 und weniger)

Verteilung des zur Verfügung stehenden Bruttoeinkommens pro Person1 im früheren Bundesgebiet (in Prozent)
  1973 1998
- 0,5 21,2 31,2
0,50 - 0,75 13,3 13,0
0,75 - 1,00 19,3 13,8
1,00 - 1,25 16,2 11,6
1,25 - 1,50 10,8 9,1
1,50 - 2,00 11,1 11,3
2,00 - 3,00 6,1 7,5
3,00 und mehr 2,0 2,5

Quelle: Erster Armuts- und Reichtumsbericht, Drucksache 14/5990 vom 8.5.2001 der Bundesregierung

1 Das zur Verfügung stehende Bruttoeinkommen für jede Person errechnet sich hier gem. alter OECD-Sklala, wonach das Einkommen und die zum Haushalt gehörenden Personen mit einem entsprechenden Faktor in ein definiertes Verhältnis gesetzt werden, damit das Prokopfeinkommen bestimmt werden kann (das sogenannte Äquivalenzeinkommen).

 

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