MieterEcho
Nr. 288 - November/ Dezember 2001

Wer will schon gleich die ganze Stadt?

 

Das Modell Bürgerstadt AG krankt an der Wirklichkeit

von Barbara König

Im Februar 2000 rief eine Gruppe Berliner ein in Deutschland neuartiges Wohneigentumsmodell ins Leben - die Bürgerstadt Aktiengesellschaft. Der Wahlspruch der Begründer, die sich im Umfeld des Stadtforums zusammenfanden, lautet: "Bürger, kauft eure Stadt!"

Die Idee ist simpel: Die Bürgerstadt AG gibt Aktien aus, mit deren Erlös sie Immobilien in der Innenstadt kauft oder erbaut. Die so erstellten Wohnungen und Gewerberäume verkauft sie wieder; Aktieninhaber erhalten ein Vorkaufsrecht und möglicherweise einen guten Preis. Den Wunsch nach möglichst hoher Rendite und das Interesse an einer günstigen Wohnung müssen die Aktionäre dabei selbst gegeneinander abwägen.

Diese Form der Anlagegesellschaft klingt erst einmal nicht viel anders als ein normaler Beteiligungsfonds. Hinter der Bürgerstadt AG stehen aber keine Banken oder Immobilienhändler, sondern eine bunte Mischung an der Stadt interessierter Intellektueller. In der Gruppe der Gründer fanden sich vom Soziologen über die Stadthistorikerin bis zum Wissenschaftler ein weites Feld städtischer Akteure. Auch waren ein, zwei Architekten dabei.

Das Ziel der Gründer war es, mit einem Bauträgermodell, das sich nicht nur gewinnmaximierenden Prinzipien verschreibt, gleich mehrere Probleme der Stadt zu beheben. Die Bürgerstadt AG will Wohneigentum auch für kleinere Geldbeutel schaffen, die Lücken in der Stadt historisch sensibel ergänzen, Bürgerengagement anregen und der Abwanderung ins Umland entgegenwirken. Mit den Aktien erkaufen sich die Geldanleger nicht nur die Aussicht auf Wohneigentum, sondern auch ihren Anteil an der bewusst gesteuerten Stadtentwicklung.

Konzept und Realität

Dem Gedanken einer verdichteten, lebenswerten und lebendigen (Innen-)Stadt verschrieben, sehen die Gründer in ihrer Gesellschaft einen ersten Schritt in die Richtung, die das Planwerk Innenstadt vorgibt. Ihre Anfangseuphorie sah großzügig über die Widersprüche des Modells hinweg: innerstädtische Wohnlagen sollen auch für untere Einkommen kaufbar werden (von Studentenwohnungen ist beispielsweise die Rede) und Bürgerengagement soll motiviert werden, aber die Aktien sollen gleichzeitig eine möglichst hohe Rendite abwerfen. Tendenzen zum Kommunitarismus sind aus den Bekenntnissen der Bürgerstadt-Gründer herauszulesen, wenn sie staatliche Eingriffe in die Wohnraumversorgung als grundsätzliche Fehlentwicklung anprangern und dazu aufrufen, die Dinge besser selbst in die Hand zu nehmen. Vor lauter Überschwang werden da die Bewohner von Sozialwohnungen schon mal mit Schwarzfahrern verglichen und Mieter, die ihre Wohnungen nicht kaufen, als zurückgeblieben hingestellt.

Ganz so glänzend und vielversprechend, wie die Euphorie der Gründungsstunde erwarten ließ, entwickelt sich die Bürgerstadt AG in der Realität jedoch nicht. In den vergangenen eineinhalb Jahren haben die Geschäftsführer der neuen Aktiengesellschaft zwar einiges versucht, aber nur weniges erreicht. Die Massen der Anleger konnten wider Erwarten nicht begeistert werden: noch keine 100 Aktionäre sind bisher Teilhaber geworden. Besitzer von dicken Portemonnaies legen ihr Geld an anderer Stelle gewinnbringender an, und die Überzeugten, die das Bürgerstädtische Ideal der urbanen Stadt mitverfolgen, haben häufig kein Geld übrig. Viele warten erst einmal ab, bis das Modell Bürgerstadt AG seine Wirklichkeitstauglichkeit mit ein oder zwei Projekten unter Beweis gestellt hat.

Doch davon ist die Bürgerstadt AG noch fern. In letzter Zeit musste sie eher Rückschläge erleiden. Vor kurzem fiel die lang erwartete Entscheidung des Senats über das begehrte Baugrundstück am Friedrichswerder in Mitte. Sie fiel nicht für die Idealisten der Bürgerstadt AG, die doch das vom Land proklamierte Planwerk Innenstadt in die Tat umsetzen wollen, sondern für den meistbietenden Investor, der dort nun wohl ein weiteres Büro-Hotel-Dienstleistungs-Projekt erbauen wird.

Aber auch das bisher einzig reale Projekt der Bürgerstadt AG, ein Neubau auf dem kürzlich erworbenen Grundstück Neue Grünstraße 16 in Mitte, geht nicht so sorglos voran wie erhofft. Noch sind fast die Hälfte der Wohnungen unverkauft, die Planungsphase erweist sich als zäh. Studentisches Wohnen und andere hehre Ziele verblassen angesichts der Kosten eines Wohnungsneubaus in zentraler Lage. Immerhin soll mit dem Bau eine anspruchsvolle, avantgardistische Architektur verwirklicht werden, was ja in der Mitte Berlins schon durchaus als Teilerfolg verbucht werden könnte.

Wohneigentum als Ziel

Bis das eigene Projekt so weit ist, versucht die Bürgerstadt AG die Mieterprivatisierung eines Altbaus durchzuführen, um wenigstens hiermit ein erstes Ergebnis aufweisen zu können. Im letzten Jahr bot die Wohnungsbaugesellschaft WBG Mitte der Bürgerstadt AG als Zwischenerwerberin ein Wohnhaus an der Choriner / Ecke Fehrbelliner Straße zum Kauf an. Die Bürgerstadt AG entschied sich gegen den Kauf. Stattdessen mobilisierte sie die Bewohner, eine eigentumsorientierte Wohnungsgenossenschaft zu gründen und als solche selbst das Haus zu kaufen - mit Erfolg. Die Genossenschaft wurde gegründet, die Bürgerstadt AG erhielt einen Beratervertrag, der Kaufvertrag mit der WBG Mitte muss nur noch unterzeichnet werden. Aber auch dieses Projekt leidet noch an Kinderkrankheiten. Die Finanzierung ist noch nicht gesichert, diverse Unwägbarkeiten liegen auf dem Weg zum Wohneigentum. Bisher wurde gut die Hälfte der Mieter vom Eintritt in die Genossenschaft und damit vom Kauf ihrer Wohnung überzeugt; leere Wohnungen sind an neue Mitglieder vergeben. Es bleibt noch etwa ein Drittel der Mieter, das nicht kaufen will - oder kann. Die Genossenschaftsanteile für diese Wohnungen werden an außenstehende Interessenten verkauft, mit der Zusage, dass sie später in "ihre" Wohnungen ziehen können. Nach Erfahrung von Ludovica Scarpa, Vorstandsmitglied der Genossenschaft und Mitbegründerin der Bürgerstadt AG, ziehen jene Mieter, die heute nicht kaufen wollen, sowieso irgendwann aus. Zwingen kann man sie ja nicht. Im Interesse der Genossenschaft sollten sie jedoch besser schon innerhalb der nächsten Jahre ihre Wohnungen aufgeben, damit die neuen Mitglieder zum Zuge - und in den Genuss von öffentlicher Förderung kommen können.

Trotz ihrer Kritik an öffentlicher Unterstützung von Wohnungsbau würden die ‚Bürgerstädtler' bei diesem potenziellen Vorzeigeprojekt nämlich gerne Förderung in Anspruch nehmen. Die Rechtsform der eigentumsorientierten Wohnungsgenossenschaft wurde gerade wegen des frisch geschaffenen Förderprogramms des Landes Berlin gewählt, das insbesondere neue Genossenschaften finanzkräftig unterstützt. So steht und fällt das Projekt mit der Zusage der landeseigenen Investitionsbank, nicht nur die Sanierung, sondern auch den Kauf des Hauses zu finanzieren. Die Genossenschaftsmitglieder können ihre hochsubventionierten Wohnungen dann kaufen und gewinnbringend wieder verkaufen - zusätzlich gefördert durch eine Eigenheimzulage des Bundes. Voraussetzung ist allerdings, dass sie nach acht Jahren höchstpersönlich ihre Wohnungen bewohnen - ggf. anstelle der jetzigen Mieter.

Einzeln oder gemeinschaftlich?

Mit einer an der Gemeinschaft orientierten Wohnungsgenossenschaft hat dieses Eigentumsmodell auf Umwegen wenig zu tun. Die Rechtsform der Genossenschaft lehnen die Berater von der Bürgerstadt AG eigentlich auch als zu schwerfällig ab. Ihnen ist die Rendite wichtig und der Besitz von einer Wohnung oberstes Ziel. Zu diesem dient die eigentumsorientierte Genossenschaft nur als Mittel zum Zweck- und wer auf diesem Weg nicht mit will, stört.

Am Mangel des Gemeinsamen offenbart sich das Dilemma der Bürgerstadt AG: Sie tritt ein für die große Community der sogenannten Urbaniten, für das Abstraktum der innerstädtischen Lebenswelt. Sie baut dabei jedoch auf individuelles Engagement, orientiert an ganz persönlichen Interessen. Dazwischen steht kein vermittelndes, gemeinsames Ziel, das die Erwartungen zusammenführt. Es fehlt eine Vorstellung des Zusammenwirkens und des Füreinanders. Die konkrete nachbarschaftliche Gemeinschaft wie in einer traditionellen Wohnungsgenossenschaft, die ein Anlass für individuellen Einsatz sein kann, hat im Modell der Aktiengesellschaft keine Relevanz. Das gemeinsame Ziel, lebendige Urbanität zu rekonstruieren, ist den meisten Anlegern jedoch zu abstrakt für ihr konkretes Geld.

Dennoch, als Sammelstelle privater Gelder, die einem sensiblen und nicht primär profitorientierten Stadtausbau gewidmet werden, ist die Bürgerstadt AG interessant. Unter diesen erhabenen Zielen ist sie jedoch lediglich eine Anlagegesellschaft für Wohneigentum in der Innenstadt, die denselben ökonomischen Zwängen unterworfen ist, wie jeder andere Anbieter auf dem Immobilienmarkt. Die Zielsetzung einer breiten, sozialen Mischung der Nutzer bleibt dabei nicht mehr als ein politisch korrektes Vorhängeschild, solange für die Umsetzung keine Konzepte existieren. In einer Aktiengesellschaft ist Solidarität mit den Schwächeren in der Regel ein Fremdwort.

Ob die Bürgerstadt AG als Eigentumsmodell für Stadtbürger Erfolg hat, muss sich erst noch zeigen. Längst sind die Beteiligten nicht mehr so euphorisch wie zur Gründerzeit. Ob eine erfolgreiche Bürgerstadt-Aktiengesellschaft langfristig anderes bewirken wird, als ein Immobilienfonds für einkommensstarke Geldanleger, der Verdrängung zahlungsschwächerer Bewohner ggf. in Kauf nimmt, muss dann die Frage sein. Die Gelegenheit, dass die Bürgerstadt AG dieses unter Beweis stellt, kann man sich nur wünschen. N

 

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