MieterEcho
Nr. 285 - Mai/ Juni 2001

Sondernutzung für das Gleisdreieck

 

Beate Winzer

Bei Spaziergängen durch die neue Mitte fällt neben den ehrgeizigen Wohnanlagen und Projekten der Mangel an Grün auf. Dabei existieren viele Brachen direkt neben den entstehenden Stadtquartieren, aber vieles davon ist Gelände der Deutschen Bahn AG (DB AG) und der Zutritt ist Unbefugten verboten. Solchen unbefugten Eindringlingen waren in den vergangenen Jahren die Rundgänge auf dem Gleisdreieck eine Erholung. Inmitten der verwilderten Techniklandschaft der Gleise unter U- und S-Bahnhöfen konnten die Wanderer vergessen, inmitten einer Großstadt zu sein. Heute ist auch diese Möglichkeit verschlossen: Wo noch vor acht Jahren Vögel sangen und seltene Baumarten standen, hat die DB AG das brachliegende Gelände für die Baulogistik der Baustellen am Potsdamer Platz und am Lehrter Bahnhof genutzt. Riesige Flächen sind für den Tunnelbau aufgerissen und dem Herumstreifen, nachdem man die locker verundenen Bauzäune geöffnet und überwunden hat, ist damit ein Ende gesetzt.

Große Pläne haben die DB AG und die von ihr beauftragte Immobilienfirma, Vivico Management GmbH, die das Gelände am Gleisdreieck entwickelt, vor einigen Jahren vorgelegt. Demnach soll auf der Fläche eine Weiterentwicklung des Potsdamer Platzes entstehen: Weitere eindrucksvolle Gebilde aus Stahl, Glas und Marmor, optische Sichtachsen und in den Hinterhöfen geordnete Grünstreifen. Die Forderungen des Bezirks Kreuzberg und der städtebauliche Vertrag mit der Ausgleichsfläche zum Potsdamer Platz sehen indes mindestens 16 Hektar Park vor, von dem allerdings nie ausgewiesen wurde, in welcher Form dieser entstehen soll. Somit existieren für die alte vernarbte Techniklandschaft zwei Planungen: die des Entwicklers mit hochwertigen Büro- und Wohnkomplexen und die des Bezirkes und der Anwohner, die sich einen mehr als 16 Hektar großen zusammenhängenden Park wünschen. Trotz aller Argumente, die für den Park sprechen, zeigt sich die Vivico nicht zugänglich. Das Ziel ist, dem Bund, dem die Bahnflächen letztlich gehören, möglichst teuer zu verkaufen, um Geld in die leeren Kassen fließen zu lassen. Und da das Konzept des Potsdamer Platzes so gut aufgegangen ist, soll dies möglichst fortgeführt werden.

Die Innenstadt wird dichter. Auch für ihre anderen großen Brachen in der Innenstadt, wie Ostbahnhof, Reichsausbesserungswerke oder Ostkreuz, hat die DB AG ähnliche Pläne. Dort ist zwar kaum Wildwuchs oder Park vorhanden, aber dafür Möglichkeiten für alternative Nutzungen jenseits vom Big Business. Alle Ideen und Konzepte auf den Flächen der Reichsausbesserungswerke sind auf den guten Willen der Vivico angewiesen, solange im Bundesverkehrsministerium nicht doch noch ein Topf gefunden wird, um die teilweise hochgradig kontaminierten Flächen zu reinigen.

Beim Gleisdreieck ist die Vivico auf eine andere Form der Zwischennutzung verfallen. Die Begehrlichkeiten des Potsdamer Platzes und der dort versammelten Kaufkraft veranlasste die Vivico, ein anderes Projekt am Gleisdreieck anzusiedeln: Der Zirkus Pomp Duck and Circumstances, ein Restaurant mit Theater, wurde auf genau jene Fläche geschoben, auf der der Bezirk und die Bürgerbeteiligung seit Jahren den Park fordern. Diese Art der Zwischennutzung birgt noch eine zusätzliche Brisanz, denn geplant sind mitten im Gelände noch 1500 Parkplätze. Dieser Vertrag bewegt sich auf schmalen juristischen Grad. Die Ansiedlung des Zirkus und die Bauvorhaben zeigen deutlich, an welcher Nutzung die Vivico kein Interesse hat und gleichzeitig, dass eine Entwidmung ohne dass ein Antrag vorläge, längst Realität ist. Vor einer Realisierung welcher Planung auch immer muss ein Gelände von der DB AG dem bisherigen Zweck endwidmet werden, ein Antrag, den nur die DB AG stellen kann. Bislang spielt die Vivico auf Zeit und kann es sich leisten. Die Immobilienpreise in Berlin sind am Boden, neben der DB AG gehören dem Land und weiteren Großeigentümern riesige Grundstücke, die gleichfalls bebaut und auf den Markt geworfen werden sollen. Solange also das Interesse der Bahn nicht in der Planung umgesetzt wird, muss auch keine Umwidmung beantragt werden. Beim Gleisdreieck verstößt die Vivico damit möglicherweise gegen geltendes Recht: laut Rudolf Schäfer, Professor für Baurecht an der Technischen Universität Berlin, muss umgewidmet werden, wenn eine Zweckentfremdung vorliegt. Und als Bahngelände nutzt die Bahn das Gleisdreieck seit 1960 nicht mehr. Ein Lagerungsort für Baumaterialien, Zementwerke und Logistikzentrum für den Potsdamer Platz dürfte mit Bahnzwecken allerdings nichts mehr gemein haben. Und damit sollte auch der Bezirk Kreuzberg als Kommune wieder das Planungsrecht in der Hand haben und das riesige Gelände nicht als Bauland ausweisen.

Das aber wäre eine tatsächliche Aufwertung der Innenstadt, die sich die DB AG für ihre weiteren Großflächen genauso überlegen sollte.

 

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