MieterEcho
Nr. 284 - März/April 2001

'Dritter Weg' zwischen Miete und Eigentum

 

Barbara von Neumann-Cosel

In dem Artikel "Genossenschaften - Clevere Alternative oder Krämerladen?" in Ihrer Zeitschrift (ME 283, die Red.) problematisieren Sie das Engagement in Wohnungsbaugenossenschaften und sprechen dabei aber ausschließlich über die derzeit vom Berliner Senat geförderten eigentumsorientierten Genossenschaften. Nicht erwähnt wird, dass besonders auf dem Berliner Wohnungsmarkt seit mehr als 100 Jahren eine vielfältige Genossenschaftsbewegung aktiv ist, die sich genau gegen die von Ihnen bemängelten Missstände wendet. Typisch für die über 70 Berliner Wohnungsgenossenschaften sind traditionell ein geringes, an den Kostengrenzen und nicht an Renditeaussichten - orientiertes Mietenniveau, schlanke bewohnerorientierte Verwaltungen sowie die Chance, aber nicht die Verpflichtung, zum Engagement im eigenen Wohngebiet. Voraussetzung dafür ist eine - im Vergleich zur privaten Eigentumsbildung - minimale Kapitalbeteiligung mit Genossenschaftsanteilen. Viele Bewohner wissen ihre Vorteile als Genossenschaftsmitglieder zu schätzen, was sich in überdurchschnittlich hoher Wohnzufriedenheit sowie geringen Fluktuationsraten ablesen lässt.

Die Wurzeln dieser genossenschaftlichen Unternehmen sind breit gestreut, sie reichen von sozial- und wohnreformerischen Ansätzen bis zu Versorgungsmodellen für Beamte und Staatsangestellte. Generell wurden hier jedoch die Grundzüge für sozial orientierte Wohnungsunternehmen entwickelt, auf deren Basis vornehmlich in den 20er Jahren die städtischen Wohnungsgesellschaften gegründet wurden, deren momentane Verdrängung Sie in Ihrem Kommentar beklagen.

Vor dem Hintergrund des Wegfalls öffentlichen Engagements im Wohnungsbau und der dominanten Förderung der Eigentumsbildung erscheint uns die Notwendigkeit, diesen "Dritten Weg" der Wohnungsgenossenschaften zwischen Miete und Eigentum zu stärken, dringend geboten. Es geht hier doch um Ansätze zur Stärkung von Bewohnerrechten, sozialer Stabilisierung von Wohnquartieren und Vermeidung von Segregationseffekten.

 

VERDACHT DER MIETPREISTREIBEREI

Eine Antwort an Barbara von Neumann-Cosel - Joachim Oellerich

Mieterorganisationen hatten in der Vergangenheit nicht sehr häufig mit Wohnungsbaugenossenschaften zu tun, entsprechend gering ist ihre Erfahrung. Das mag viele Gründe haben, am naheliegendsten schien uns immer der, dass in Genossenschaften Konflikte seltener sind und dass für sie interne, solidarische Konfliktlösungsstrukturen existieren. Wir wären also bislang gerne bereit gewesen, die von Ihnen den klassischen Genossenschaften zugeschriebenen positiven Eigenschaften unhinterfragt zu lassen. In letzter Zeit werden wir aber immer häufiger mit Ereignissen konfrontiert, die unser bisheriges Genossenschaftsbild arg zu trüben beginnen.

Gestatten Sie mir zunächst einen Hinweis auf die aktuellen, dem Internet entnommenen Wohnungsangebote der Genossenschaften. Ein Abgleich mit dem Mietspiegel ist in der Regel nicht möglich, da nur ausnahmsweise alle erforderlichen Angaben gemacht werden. Häufig fehlt das wichtigste Merkmal: das Baualter. In den wenigen Fällen, in denen aber eine genaue Bestimmung gelingt, mussten wir leider feststellen, dass die Mietpreisforderungen der Genossenschaften deutlich über den Mietspiegelwerten liegen. Ein konkreter Vergleich mit den Angeboten anderer Gesellschaften ist nicht weniger problematisch. Dennoch entsteht durch die Gesamtheit der Angebote ein Eindruck, der leider nicht zugunsten der Genossenschaften ausfällt. Die Wohnungsangebote der GSW z.B. - und wir würden Sie bitten, sich ebenfalls davon zu überzeugen - scheinen deutlich günstiger zu sein, als die der Genossenschaften. Auch der Mietspiegel hebt sich auf den ersten Blick in seiner Gesamtheit nicht negativ gegen die Genossenschaftsangebote ab.

Wir geben aber gerne zu, dass es sich bei diesen Vergleichen tatsächlich nur um Eindrücke handelt, die wir, sollten sie uns entsprechende konkrete Angaben liefern, gerne zu korrigieren bereit wären.

Mieten über dem Mietspiegel

Kein Material für nur kritisch stimmende Eindrücke, sondern ganz im Gegenteil, für bedauerlich konkrete Feststellungen, liefert hingegen die Charlottenburger Baugenossenschaft. Auf der Basis von 1999 hat der Vorstand dieser Genossenschaft - sie gehört mit 6.800 Wohneinheiten zu den größeren und mit 1907 als Gründungsjahr auch zu den älteren und repräsentativen Genossenschaften dieser Stadt - einen zukünftigen Finanzbedarf ermittelt, den er nur durch eine durchschnittliche Netto-Kaltmiete von DM 8,88/m2 decken zu können meint. Um diese Einnahmen zu erzielen, ist ein System von Wohnwertkriterien ermittelt worden, das vollkommen quer zu den Mietspiegelkategorien liegt. Diesem System zufolge sollen zukünftig nur noch fünf wohnwertbegründende Qualitätsstufen Mietpreise zwischen DM 8,35 und 9,41/m2 nettokalt zur Folge haben. An der Tatsache, dass die durchschnittliche Wohnwertmiete den Mietspiegeldurchschnittswert von ca. DM 8,30/m2 kräftig übersteigt, gäbe es nichts zu kritisieren, würde die Qualität der Bestände dies rechtfertigen. Doch gerade die Bestände dieser Genossenschaft sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zum überwiegenden Teil in einfacher bis höchstens mittlerer Wohnlage befinden und - ebenfalls zum großen Teil - der Baualtersklasse von 1919 bis 1948 angehören. Die Mietspiegelspanne in diesem Segment reicht von DM 5,23/m2 (für Wohnungen zwischen 60 und 90 m2 mit Sammelheizung oder Bad) bis DM 9,02/m2 (für Wohnungen unter 40 m2 in einfacher Wohnlage mit Sammelheizung und Bad). Der durchschnittliche Mietpreis liegt bei ca. DM 7,00/m2. Wir möchten der Deutlichkeit halber noch einmal wiederholen: Der Mietspiegel weist für Wohnungen von der Qualität und der Art, wie sie einen großen Teil des Bestandes der Charlottenburger Baugenossenschaft darstellen, Werte aus, die deutlich unter DM 7,50/m2 liegen. Die Baugenossenschaft aber beabsichtigt auch für die-se Bestände Mieten zwischen DM 8,35/m2 und DM 9,41/m2 zu erzielen - und realisiert sie bereits bei Neuvermietungen!!!

'Initiative zur Erhaltung des Genossenschaftsgedankens'

Wen wundert es, dass sich in dieser Genossenschaft - übrigens in voller Übereinstimmung mit Ihrem positiven Urteil über die soziale und demokratische Qualität von Genossenschaften - eine "Initiative zur Erhaltung des Genossenschaftsgedankens" gebildet hat. Diese Initiative hat bisher sehr erfolgreich Aufklärungsveranstaltungen durchgeführt und anlässlich einer Bauausschusssitzung des Bezirks Spandau (dem Bezirk, in dem sich der größte Teil der Bestände der "Charlotte" befindet) eine Presseerklärung versandt, die wir Ihnen, leicht gekürzt, gerne zur Kenntnis bringen möchten:

"Der Vorstandsvorsitzende der Charlottenburger Baugenossenschaft, Herr Breyer, erläuterte vor dem Gremium (Bauausschuss Spandau, die Red.) die Konzeption für die Mieterhöhungen und die dabei vorgenommene Bewertung der einzelnen Wohnverhältnisse nach eigenen Kriterien, die der Mietenspiegel nicht kennt. Thomas Schmidt, Sprecher der Initiative für den Erhalt des Genossenschaftsgedankens - selbst Mitglied der ‚Charlotte' - wörtlich: ‚Die "WohnWertMiete" liegt in vielen Fällen deutlich über dem Mittelwert des Mietenspiegels. Die Genossenschaft droht so vom günstigen Anbieter von Wohnraum zum Preistreiber zu werden. Damit geht wieder einmal günstiger Wohnraum im Bezirk verloren und noch mehr Mitbürger könnten veranlasst werden, ins Umland zu ziehen. Die ‚WohnWertMiete' sollte ausgesetzt werden, Alternativen müssten geprüft und verbandsöffentlich neu diskutiert werden - nicht wie bisher hinter verschlossenen Türen.' 692 Baugenossen haben bisher schon diese Forderungen mit ihrer Unterschrift unterstützt.(...)

Der Ausschuss kam überein, sich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen. Im Rahmen seines Beitrages verleumdete der Vorstandsvorsitzende der Charlottenburger Baugenossenschaft, Herr Breyer, die ‚Initiative für den Erhalt des Genossenschaftsgedankens' als Unruhestifter und unterstellte ihr die Diffamierung des Vorstands in eigennütziger Absicht. Mit dieser Äußerung hat Herr Breyer nicht nur das Engagement besorgter Mitglieder der Genossenschaft diskreditiert, sondern auch dem Ansehen der Genossenschaft in der Öffentlichkeit Schaden zugefügt. Dadurch konnte in dem Ausschuss der Eindruck entstehen, dass in unserer Genossenschaft eine offene, kritische und somit demokratische Diskussion unerwünscht sei. Es ergeht die Aufforderung an Herrn Breyer, sich einer sachlichen und angemessenen Diskussionskultur zu befleißigen und sich für diesen Ausfall zu entschuldigen."

Es scheint also, folgt man dieser Presseerklärung und den oben geschilderten Eindrücken, nicht nur mit dem "traditionell" "an den Kostengrenzen - nicht an Renditeaussichten - orientierte(n) Mietenniveau" der Genossenschaften in letzter Zeit etwas problematisch geworden zu sein, sondern auch und vielleicht vor allem, mit dem Demokratieprinzip. Würde dieses Prinzip noch funktionieren, hätten die Genossen in der "Charlotte" den Verdacht der Mietpreistreiberei sicherlich nicht aufkommen lassen. So aber, ruft die Beschäftigung gerade mit den traditionellen Genossenschaften eine kräftige Moll-Stimmung hervor, die sich fast schmerzhaft durch die Beobachtung verstärkt, dass die Baugenossenschaft von 1892 - eine ebenfalls sehr einflussreiche Genossenschaft - sich anzuschicken scheint, der "Charlotte" in ihrem außerordentlich zweifelhaften Vorgehen nachzueifern.

Dennoch sind wir der Hoffnung, dass es sich in dem Fall der "Charlotte" nur um einen korrigierbaren Ausreißer innerhalb des Genossenschaftswesens und bei der "1892" um einen unbegründeten Verdacht handelt. Der Charlottenburger Baugenossenschaft wünschen wir, dass bald wieder Zustände eintreten, die der von Ihnen gelieferten Darstellung entsprechen. Ihr werden wir uns dann mit großer Erleichterung gerne anschließen.

 

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