MieterEcho
Nr. 283 - Januar/Februar 2001

Herr Breyer zieht Bilanz

 

von Alfred Gerhard

Den Lesern des ME ist die Charlottenburger Baugenossenschaft seit längerem ein fester, der Erkenntnis dienender Begriff. Wer zuvor der Meinung war, genossenschaftliches Wohnen habe einen besonderen, vor allem aber einen besonders sozialen Charakter, konnte sich durch die Charlottenburger Baugenossenschaft ohne Schwierigkeiten eines Besseren belehren lassen. Vor Jahren berichtete "Wohnen in Berlin/Brandenburg" über großen Jubel in der Vorstandsetage, denn, so wörtlich: "Künftig wird die Miete nicht mehr von staatlichen Vorgaben abhängen, sondern vom Vorstand und den demokratisch gewählten Vertretern - letztlich also von den Mietern selbst - bestimmt" werden. Dies hielt man für einen großen Fortschritt und ermittelte zu seiner Untermauerung einen Katalog von Wohnkriterien, die man wertmäßig zu verrubeln gedachte. Doch nicht allein das, es war weiter zu lesen: "Gleichzeitig wurde eine Wirtschaftlichkeitsberechnung angestellt, um eine auskömmliche, das heißt kostendeckende Miete zu ermitteln. Sie beträgt bezogen auf das Jahr 1998 DM 8,88 je Quadratmeter netto-kalt. Wenn man aus allen Mieten der Charlottenburger Baugenossenschaft den heutigen (1998/9, A.G.) Durchschnitt errechnet, kommt man auf einen Quadratmeterpreis von 6,49 DM. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, für die Zukunftssicherung der Genossenschaft höhere Einnahmen zu erwirtschaften."

Die WohnWertMiete, so der Name des Kindes, bescherte den Genossen im Durchschnitt ca. 25% Mieterhöhung innerhalb kürzest möglicher Zeit. Das dahinterstehende Konzept wurde zwar von Herrn Breyer, dem Vorstandsvorsitzenden der "Charlotte", nicht erfunden, aber auf eine besonders naiv-treuherzige Weise kommentiert. Über die Notwendigkeit einer veränderten Mietgestaltung sagte Herr Breyer 1999: "Wir haben errechnet, dass die Genossenschaft im Jahre 2004 in die roten Zahlen kommen würde, wenn sie bei dem jetzigen Mietsystem bleibt. Zur Zeit ist die Genossenschaft gesund und es geht uns gut. Aber wir müssen auch Vorsorge betreiben." Sicherlich ein Grund weiterhin Epochemachendes zu versprechen und daran ließ es Herr Breyer nicht fehlen. Die Mietspiegelgrenzen sollten nicht überschritten werden, die Kappungsgrenze würden eingehalten werden und last but really not least: "Bestehende Mietverträge werden nicht verändert!" Bei soviel Verzicht auf illegale Überschreitung des geltenden Mietrechts konnte eigentlich nichts schief gehen.

"Wohnen in Berlin/Brandenburg" berichtete denn auch mit großer Sympathie später in der letzten, der Ausgabe 2/2, 2001 über Herrn Breyers aktuelle Sicht auf die Dinge:

"Wir haben unsere Mieter und Mitglieder (Hoppla, wo ist in diesem Fall der Unterschied, sind wir hier nicht in einer alteingesessenen Genossenschaft? A.G.) sehr intensiv informiert. Wir erhielten daraufhin ca. 120 Briefe von unseren Mitgliedern. In diesen ging es hauptsächlich um Verständnisfragen, kaum um Kritik und nur sehr wenig um Ablehnung." Gab es auch Klagen gegen die Mieterhöhung, wurde Herr Breyer gefragt und antwortete fröhlich: "Wir mussten - wie bei jeder Mieterhöhung nach MHG - die Zustimmung unserer Mitglieder einholen. In 40 Fällen haben wir Prozesse führen müssen."

Sehr viele Genossen haben der Unbefangenheit des Herrn Breyer gegenüber eine deutliche Skepsis entwickelt. Während der Welle der ersten Mieterhöhung - die zweite ist erst in diesem Jahr zu erwarten - bildete sich eine Initiative, die sowohl die Mieterhöhungen als auch die dahinterstehende betriebswirtschaftlich-profitorientierte Denkweise nicht zu akzeptieren bereit war. Sie nannte sich folgerichtig "Initiative zur Erhaltung des Genossenschaftsgedankens". Auf sehr gut besuchten Veranstaltungen in Siemensstadt und in Spandau hat diese Initiative die Vorstandskonzeption überzeugend widerlegt. Um diese Behauptung nicht nur frei im Raume stehen zu lassen, veröffentlichen wir vorab einen Leserbrief an "Wohnen in Berlin/Brandenburg", der, so scheint es, eine realistischere Einstellung zu den Vorgängen um die Einführung der WohnWertMiete in der "Charlotte" ausdrückt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit wahrhaftiger Verwunderung habe ich den o. g. Artikel in Ihrer Zeitung gelesen. Herr Breyer führt dort wissentlich Argumente an, die sachlich falsch sind und eine Gegendarstellung erfordern. Die Einführung der WohnWertMiete in der Charlottenburger Baugenossenschaft e.G. hat innerhalb der Genossenschaft zu einer erheblichen Unruhe geführt, da sie ungerecht und sozial nicht verträglich ist. Die Mitglieder der Genossenschaft wurden nicht (!) ausführlich und intensiv informiert. Es wurde lediglich eine teure Hochglanzbroschüre an die Baugenossen/Innen verteilt, die ohne Informationsgehalt ist und oft ungelesen im Papierkorb endete. Bei den Briefen der Baugenossen/Innen, die bei der Genossenschaft nach der letzten Nutzungsentgelterhöhung eingegangen sind, handele es sich nur "kaum um Kritik" oder Ablehnung. Merkwürdig: In Gesprächen sprechen sich viele Baugenossen/Innen gegen die WohnWertMiete aus. Inzwischen haben Hunderte von Baugenossen/Innen eine Unterschriftensammlung gegen die WohnWertMiete unterschrieben.

Eine mittlerweile gegründete "Initiativgruppe für den Erhalt des Genossenschaftsgedankens" initiiert Informationsveranstaltungen in verschiedenen Bezirken. Herr Breyer wurde letztes Jahr im Oktober als Vorstandsmitglied zur Veranstaltung nach Spandau eingeladen und glänzte durch Abwesenheit. Herrn Breyer wurde schriftlich Sinn und Zweck dieser Veranstaltung mitgeteilt. Daher kann hier absolut nicht von Akzeptanz einer WohnWertMiete durch die Baugenossen/Innen geredet werden, wie es in dem Artikel dargestellt wurde. Neuvermietungen erfolgen nur noch sehr zähflüssig. Durch die Einführung der WohnWertMiete sind die Wohnungen nicht mehr preiswert und günstig. Viele Wohnungen warten schon mehrere Monate auf einen neuen Mieter! Ferner erreichen die Mieten mitunter bereits die ortsübliche Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel oder liegen sogar darüber. Der Genossenschaftsgedanke geht damit verloren.

Herrn Breyer sind o. g. Punkte bekannt. Es ist unglaublich, mit welcher Ignoranz und Arroganz Herr Breyer als Vorstandsmitglied wissentlich Tatsachen bezüglich der WohnWertMiete öffentlich falsch darstellt.

Mit freundlichen Grüßen

Die Initiative setzt ihre Arbeit fort. Am 19.2. findet eine Veranstaltung in Reinickendorf statt. Man kann nur wünschen, dass es gelingt, in der "Charlotte" wieder genossenschaftliche Zustände herzustellen. Nicht zuletzt auch im Interesse der Mieter dieser Stadt, denn die "Nutzungsgebühren" in den Genossenschaften haben sich bisher noch immer mietpreisdämpfend ausgewirkt. Hoffen wir, dass das so bleibt.

 

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