MieterEcho
Nr. 278 - März/ April 2000

Der Wohnwert und die Charlotte

 

"Es ist eine erstaunliche Tatsache, dass ein Ideal - das Wohnen in einer Wohnungsbaugenossenschaft - heute noch so hoch eingeschätzt wird wie vor fast 100 Jahren", stellt die Charlottenburger Baugenossenschaft in ihrer Selbstdarstellung fest und fährt fort: "War zunächst der Genossenschaftsgedanke im Wohnungsbau von gegenseitiger Hilfe und Unterstützung getragen, so trat bald die organisierte Selbsthilfe immer stärker in den Vordergrund. Das ist bis heute bei der Charlottenburger Baugenossenschaft eG so geblieben." Und - das muß sich doch ändern lassen, mag sich der Vorstand gedacht haben als unlängst die Mitglieder mit einer aufwendigen Broschüre über "Die WohnWertMiete" überraschte. Diese Publikation verdient Beachtung. Durch die Mitglieder der Genossenschaft sowieso, denn für sie hat, was dort angekündigt wird, unmittelbare Konsequenzen, aber auch durch alle anderen Mieter dieser Stadt.

Zunächst aber sollte man sich vergegenwärtigen, was eine Wohnungsgenossenschaft ist. In einer Wohnungsgenossenschaft finden sich die Mitglieder zum Zweck der Förderung des Erwerbs und der Bewirtschaftung von Wohnungen zusammen. Die Genossenschaft, das heißt die Gesamtheit der Mitglieder, ist Eigentümer der zur Verfügung stehenden Häuser. Damit die erbaut oder erworben werden können, verpflichtet sich jedes Mitglied zur Übernahme eines Geschäftsanteils. Wird eine Wohnung von dem Mitglied bewohnt, muß mindestens ein zweiter Geschäftsanteil erworben werden. DM 1.500,- pro Geschäftsanteil scheint auf den ersten Blick nicht allzu viel - so viel zahlt man üblicherweise für einen Quadratmeter Wohnungseigentum - doch hat es mit diesen Anteilen eine besondere Bewandtnis.

Anders als Aktien oder die Anteile an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts steigen sie nicht im Wert. Alle inflationären Bewegungen gehen an ihnen vorbei und die wertsteigernden sowieso.

Wenn Genossenschaften ihren Mitgliedern Wohnungen überlassen, deren Nutzungskosten unter den marktüblichen Mieten liegen, dann ist es das durch die Beteiligung am Vermögen bereits ökonomisch gerechtfertigt. Eigentlich bräuchte der soziale Auftrag, dem sich die Genossenschaften verpflichtet fühlen und den die "Charlotte" so wacker zu erfüllen vorgibt, gar nicht erst bemüht zu werden. Wenn man ihn dennoch nicht unter den Teppich kehren darf, dann vor allem deshalb, weil sich in ihm sozialstaatliche Fürsorge verwirklicht. Die Genossenschaften haben nämlich ihr "Kapital" nicht allein durch die Einzahlungen ihrer Mitglieder, sondern auch durch beachtliche staatliche Zuwendungen, d.h. die von anderen Mietern zur Verfügung gestellten steuerlichen Mittel bilden können. Niedrige Mieten in genossenschaftlichen Wohnungen sind nun wiederum im Sinne aller Mieter dieser Stadt, auch wenn sie nicht allen unmittelbar zugute kommen.

Ihr mietpreisdämpfender Effekt durch die Berücksichtigung bei der Ermittlung der Mietspiegelwerte bietet einen erfreulichen Ausgleich.

Zur Zeit zahlen die Genossenschaftler der "Charlotte" durchschnittlich ca. DM 6,50. Die Betonung liegt auf durchschnittlich. Die Variationsbreite ist groß, sie reicht von DM 4,30 bis DM 13,20. Ein beachtlicher Unterschied, in der Tat. Den Vorstand veranlasst diese Tatsache zu der Feststellung: "Das ist ja wohl ungerecht!" Wer könnte etwas dagegen haben Ungerechtigkeiten zu beseitigen? Wenn die Spanne also verringert würde, könnte sich vielleicht wirklich ein Zugewinn an Gerechtigkeit erzielen lassen. Ein löbliches Unterfangen für einen Vorstand, der ansonsten unter Beschäftigungsmangel leidet.

Doch jedem ist klar, diese Art von Gerechtigkeit kann nicht gemeint sein. Marktwirtschaftliche Gerechtigkeit ist von anderer Art. Sie stellt sich immer erst dann ein, wenn die Profite stimmen. Die zeitgenössischen Vorständler einer Genossenschaft machen da keine Ausnahme. Den angeprangerten Mißstand pervertieren sie nämlich um die Mieten insgesamt zu erhöhen. Statt DM 6,50 sollen den Genossen demnächst durchschnittlich DM 8,88 abverlangt werden. Und erst um diese höhere Durchschnittsmiete soll die Spanne verringert werden. Das ist die neoliberale Gerechtigkeit der Genossenschaften!

In der oben genannten Broschüre "Die WohnWertMiete (Wohn, Wert und vor allem Miete ganz groß geschrieben): Sicherheit, Gerechtigkeit, Gemeinsamkeit" behandelt der Vorstand die Leser wie Schwachsinnige, wenn er ihnen erklären will, die Charlottenburger Baugenossenschaft sei "eine Art letzter Oase" und würde es auch nach der Einführung der WohnWertMiete bleiben." Die WohnWertMiete ist ein Fernziel", wird treuherzig versichert, doch eines, das mit Eilzugtempo erreicht werden soll. "Alle 15 Monate erfolgt eine Anhebung. Mit 6% geht es los, dann folgen 6,5%, dann 7% und schließlich so lange 7,5% bis die dann gültige WohnWertMiete erreicht ist." Den Genossenschaftern drohen Mieterhöhungen in einer brutalen Art und Weise wie sie diese Stadt im Westteil seit Jahren - ja eigentlich noch nie, nicht einmal beim Übergang von der Mietpreisbindung zum Vergleichsmietensystem - erlebt hat und wie sie allenfalls im Ostteil nach der Wende durchgesetzt wurden.

Der Vorstand kommentiert den geplanten Raubzug nicht ohne Zynismus: "Sie (die WohnWertMiete) sorgt für eine sichere und sorgenfreie Zukunft." Die Antwort auf die Frage "Wessen?" liegt dabei auf der Hand.

Doch könnte der profitbringenden Absicht erhebliche Schwierigkeiten bereitet werden, wenn die z.Zt. im Rahmen der Mietrechtsreform diskutierte Senkung der Kappungsgrenze (siehe ME 277) von 30% auf 20% beschlossen wird. Für die Mitglieder der Genossenschaften gäbe es allerdings auch andere Mittel ihre Zukunft etwas sorgenfreier zu gestalten. Nämlich indem sie die ihres Vorstands zur Disposition stellen.

 

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