MieterEcho
Nr. 275 - August/September 1999

Wenn aus MieterInnen Genossen werden

 

... so dachten die Mieterinnen und Mieter aus den 131 Wohnungen im Wöhlertgarten und machten medienwirksam Ende letzten Jahres auf sich aufmerksam. (Das MierEcho berichtete)

Sie wollten es sich nicht gefallen und noch weniger über sich ergehen lassen, daß Privatisierung und mietpreistreibende Sanierung zum neuen Stadtbild und ihre Wohnungen zum Renditeobjekt von Immobilienhaien werden. Der Altbaukomplex "Wöhlertgarten" - mit dem sich, an der Grenze zum Wedding gelegen, von je her die MieterInnen stark identifizierten - war nämlich ohne Vorwarnung aus dem Besitz der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) an einen Duisburger Investor, der IBC, verkauft worden. Und als diese Immobilienfirma, dessen Geschäftsführer Bernd Segin seine ersten Erfahrungen beim Aufbau einer Siedlungsgenossenschaft im Ruhrgebiet gewonnen hatte, ohne Umschweife Mietspreissteigerung von bis zu 200% begründete und Absichten, die Wohnungen in Eigentum umzuwandeln, kundtat, bekamen es die MieterInnen nicht nur mit der Angst.

Schließlich, so betonte die umgehend ins Leben gerufene Mieterinitiative, wären viele MieterInnen nicht abgeneigt, die Siedlung in der Pflugstraße selbst zu übernehmen. Schließlich, so waren sie sich einig, hätte die WBM auch einen sozialen Anspruch, die Mieten für die BewohnerInnen, zum Teil Rentner oder junge Familien, erschwinglich zu halten. Die in Aussicht gestellten Mietbelastungen nach der Sanierung würden mit Sicherheit 70% der MieterInnen vertreiben.

Und auch der Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Mitte - Herr Schmitt - staunte nicht schlecht über diesen Protest. Händeringend bat er um Verständnis seiner Position, denn schließlich hätte er nur aufgrund der Senatsanweisung diese Wohnungen zum Kauf angeboten und außerdem könnten Wohnungsbaugesellschaften überhaupt nicht so günstig sanieren wie Immobilienfirmen. Das Sanierungsgutachten, das von der WBM in Auftrag gegeben worden war, sah Baukosten von bis zu 2.500 DM/m2 vor, die IBC sprach von 1.500 bis 2.000 DM/m2. Doch selbst das erschien den MieterInnen zu teuer. Sie suchten und bekamen Unterstützung seitens des Bezirkes und des Senates, um den Verkauf ihrer Wohnungen rückgängig zu machen oder wenigstens solange auszusetzen, um über die Gründung einer Genossenschaft und den Kauf in Ruhe nachdenken zu können.

Im Januar 1999 war es dann plötzlich so weit. Ein Mieter wurde schriftlich benachrichtigt, daß die IBC und die WBM den Kauf aussetzten, falls die MieterInnen des Wöhlertgarten einen Mieterkauf ernsthaft in Erwägung zögen.

Warum es dazu kommen konnte? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zwei sind jedoch sicher: Erstens hatten sowohl WBM als auch die IBC nicht mit einem derartigen Mieterprotest und einer derartigen Entschiedenheit, den Komplex in Eigenre-gie zu übernehmen, gerechnet - schließlich beeinträchtigen Mieterproteste die Gewinnaussichten des Investors direkt und erheblich, und zweitens hatte die IBC Anfang 1999 noch keine Wohnung verkaufen können. Der Eigentumswohnungsmarkt - auch für solch attraktive Lagen wie der Mitte Berlins - war offensichtlich gesättigt - zumal auch die steuerlichen Begünstigungen für Käufer im Rahmen der Sonder AFA-Ost seit 1999 nicht mehr gelten. Da kam auch die Anfrage des Senats, warum die WBM insbesondere an bestimmte Investoren verkaufe, gerade recht. Denn die IBC war regelmäßig Kunde bei der WBM und der Wohnungsbaugesellschaft in Friedrichshain. Die IBC baut und saniert viel in Berlin...

 

Nach der Freude kam der Alltag

Die Bewohnerinnen und Bewohner des Wöhlertgarten hatten zwar einen Investor vertrieben, doch wußten sie auch, daß es einer genauen Prüfung bedurfte, inwieweit der Komplex in Eigenregie nicht nur saniert, sondern zu günstigen Konditionen erhalten werden könnte. Einig waren sich die Aktiven darüber, daß nur eine Genossenschaft für den Wöhlergarten in Betracht käme. Sie holten Erkundigungen hinsichtlich der Kreditvergabe bei Banken und Berichte über Erfahrungen bei der Gründung, Verwaltung und beim Bau von anderen Genossenschaften ein. Bald mußten sie feststellen, daß ihre sich an der Miethöhe in Sanierungsgebieten mit Milieuschutz orientierenden Mietvorstellung nach Sanierung nur bei harter Kalkulation möglich werden könnte, denn öffentliche Förderung in nicht Sanierungsgebieten ist selten geworden. Andere Genossenschaften betrachteten gar Mieten zwischen 12 und 14 DM/m2 nicht mehr für überzogen. Da schieden sich erstmals auch genossenschaftliche Geister, schließlich hat die Mieterinitiative die IBC nicht vertrieben, um dann als Genossenschaft die gleichen Mieten zu verlangen. Im Wöhlertgarten gilt noch: daß sie langfristig finanziell günstiger vermieten müssen als gewöhnliche Investoren. Die Aktiven wissen nur zu gut, wo die Schmerzgrenze für sozialschwache MieterInnen erreicht sein wird. Sie rechnen bereits mit Mieterbewegungen um die 50%, wenn die Mieten die für Sanierungsgebiete veranschlagten Preise überschreiten. In jedem Fall wird das ein harter Kampf auch um die finanziellen Resourcen. Denn auch Erfahrungen traditioneller Genossenschaften besagen, daß Genossenschaften nie Wohnmöglichkeiten für die sozial ganz Schwachen bieten konnten.

"Vom Regen in die Jauche"? - die aktiven MieterInnen haben noch nicht den Mut verloren. Bereits bei der Gründungsveranstaltung der Genossenschaft Mitte Juni wurden 44 BewohnerInnen Mitglied, Das sind auf Wohnungen umgerechnet fast 50%. Und immer noch beantragen MieterInnen der Pflugstraße in die Genossenschaft aufgenommen zu werden. Ein guter Schnitt und ein bisher noch in keiner Nachwende Genossenschaft erreichter Organisationsgrad. Er gibt Auskunft darüber, daß sich die Bewohnerinnen und Bewohner stark mit dem Wöhlertgarten identifizieren und hier auf Dauer wohnen wollen. Gleiches gilt für viele ältere BewohnerInnen, die jedoch nicht mehr als Mitglied zur Verfügung stehen. Das durchschnittliche Gründungsmitglied, so die Aktiven, ist eher jung und interessiert an solchen Projekten. So jung wie die Aktiven sind dann auch die Ideen zur Umgestaltung des Wöhlergartens. Sie reichen vom Fitnessraum über begrünte Dachterrassen zu einer Hundertwasserfassade nebst alternativer Hofgestaltung.

Innerhalb eines halben Jahres ist viel passiert, es wurden Sanierungspläne geschmiedet, Genossenschaftssatzungen verglichen, sich über mögliche Strukturen verständigt und letztendlich die Genossenschaft gegründet. Bereits jetzt gibt es mündliche Zusagen von Banken, bei der Sanierung Kredite zu vergeben und zur Zeit werden Gespräche mit Architekten geführt, die verbindliche Angebote zur Sanierung des Wöhlergarten unterbreitet haben. Die WBM - noch Eigentümerin in der Pflugstraße - betrachtet das Vorhaben der Mieterinitiative mittlerweile mit Wohlwollen und auch die Verwaltung läuft zur Zeit - der Übergangszeit - verhältnismäßig reibungslos. Ein großes Problem ist jedoch der Leerstand. Derzeit stehen ca. 10% der Wohnungen längerfristig leer. Ein Problem für die Betroffenen ist, daß eben doch alles sehr viel länger dauert als erwartet. Auch wird ihnen mehr und mehr klar, daß die Interessen der MieterInnen nicht mehr so einheitlich sind, wie während der Vertreibung des Investors. Ein Konflikt wird die zukünftige Miethöhe in jedem Fall werden. Insofern will niemand so recht daran glauben, daß Mietergenossenschaften die Alternative für öffentliche Wohnungsgesellschaften sind. Und wahrlich, schon allein der Kaufpreis von immerhin 7,5 Mio für den Komplex von 11.000 m2 belegt die Genossen mit einer finanziellen Last, die sie über die Miete wieder einbringen müssen. 7.5 Mio, die der Genossenschaft umgerechnet auch zur Sanierung fehlen werden. Da wird von der WBM noch einiges an Entgegenkommen abzuverlangen sein.

AG Umwandlung

 

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