Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Kündigung wegen unwahrer Behauptungen im Prozess

1. a) Ob das Aufstellen bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen durch den Mieter innerhalb eines Rechtsstreits mit seinem Vermieter eine die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB rechtfertigende Pflichtverletzung darstellt, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
b) Dabei ist zum einen die Bedeutung und Tragweite der unwahren Behauptung des Mieters unter Berücksichtigung des gegebenen Sinnzusammenhangs zu bewerten. In die gebotene Würdigung ist zum anderen in der Regel ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einzubeziehen (…). So ist etwa zu berücksichtigen, ob das unredliche Prozessverhalten des Mieters der Abwehr einer unberechtigten Kündigung des Vermieters dienen sollte (…).
2. Die Vorschrift des § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach Kündigungsgründe, die in dem Kündigungsschreiben nicht angegeben wurden, (ausnahmsweise) dann berücksichtigt werden können, wenn sie nachträglich entstanden sind, findet ausschließlich dann Anwendung, wenn die ursprüngliche Kündigungserklärung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war.
Leitsatz 1. b) von der Redaktion MieterEcho gekürzt.

BGH Urteil vom 25.10.2023 – AZ VIII ZR 147/22 –

Eine Vermieterin kündigte ihren Mietern, die bereits seit dem Jahr 2000 in der Wohnung lebten, mit Schreiben vom 24. Juli 2019 wegen einer angeblich vertragswidrigen Hundehaltung. Im Rahmen des Räumungsverfahrens hörte das Amtsgericht Wedding die Mieter persönlich an. Einer der Mieter äußerte dabei unter anderem: „Aus unserer Perspektive geht es gar nicht um den Hund. Wir haben vielmehr das Gefühl, dass wir aus dem Haus heraus gemobbt werden sollen. Wir werden auch von dem Hausverwalter beleidigt, mit Worten wie ‚Scheiß Ausländer’ und ‚Assis’. Ich habe ein Gespräch der Eigentümerin zufällig mitbekommen, aus dem sich ergibt, dass das Haus verkauft werden soll. Der Käufer hat jedoch gesagt, dass ein Verkauf des Hauses nur dann in Betracht kommt, wenn alle Mieter aus dem Haus ausgezogen sind“.

Daraufhin sprach die Vermieterin mit einem Schriftsatz vom 9. Oktober 2020 eine erneute Kündigung wegen der nach ihrer Meinung unwahren und ehrverletzenden Äußerungen des Mieters aus. Das Amtsgericht hat die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht Berlin (Zivilkammer 63)

das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Es kam zu der – auch aus Sicht des Bundesgerichtshofs zutreffenden – Auffassung, dass die Schilderung eines angeblichen Gesprächs zwischen der Vermieterin und einem Kaufinteressenten bewusst unrichtig und damit pflichtwidrig war.

Der Bundesgerichtshof folgte dem Landgericht jedoch nicht in dessen Auffassung, dass daher die Kündigung vom 9. Oktober 2020 das Mietverhältnis beendet hätte. Für die Beurteilung der Erheblichkeit einer Pflichtverletzung des Mieters sei es nämlich auch in einem solchen Fall notwendig, alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, neben der Schwere des Pflichtverstoßes des Mieters auch ein etwaiges vorangegangenes pflichtwidriges Verhalten des Vermieters. Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft das dem Fehlverhalten des Mieters vorangegangene, möglicherweise pflichtwidrige Verhalten der Vermieterin bzw. ihres Hausverwalters nicht hinreichend gewürdigt. Die schuldhafte Pflichtverletzung des Mieters könne nämlich dann „in einem milderen Licht“ erscheinen, wenn sein Vorbringen, von dem Hausverwalter der Vermieterin schwer beleidigt worden zu sein, zuträfe. Es würde sich nämlich dann um eine den Mieter schwer kränkende und diskriminierende Straftat handeln. Mit Blick auf ein solches Vorgeschehen würde sich die Pflichtverletzung des Mieters als weniger schwerwiegend darstellen. Weiter könnte sich das Fehlverhalten des Mieters als weniger gewichtig darstellen, wenn es der Abwehr einer unberechtigten Kündigung durch die Vermieterin gedient haben sollte, weil es dann die Folge einer ihrerseits begangenen Vertragsverletzung wäre. 

Entgegen der von der Vermieterin im Revisionsverfahren vertretenen Auffassung konnten weitere nach Ausspruch der Kündigung vom 9. Oktober 2020 angeblich von den Mietern begangene Vertragsverstöße  diese Kündigung nicht nachträglich wirksam machen. Zwar könnten gemäß § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB im Kündigungsschreiben noch nicht angegebene Kündigungsgründe dann berücksichtigt werden, wenn sie erst nachträglich entstanden sind. Dies jedoch nur, wenn die ursprüngliche Kündigungserklärung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war. Dies betreffe daher nur Fälle, in denen ein zunächst gegebener, möglicherweise aber später weggefallener Kündigungsgrund nachträglich durch einen anderen ersetzt oder ergänzt wird. Der Bundesgerichtshof hob das Räumungsurteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück. Dieses hatte – aus seiner Sicht folgerichtig – die notwendigen Feststellungen zu möglichen schweren Beleidigungen durch den Verwalter ebenso wenig getroffen wie zur möglichen Pflichtwidrigkeit der Kündigung wegen der Hundehaltung.


Teaserspalte

Hinweise zur Urteilssuche

  • Die Gerichtsurteile und -entscheide, die Sie hier finden, wurden überwiegend im „MieterEcho“ veröffentlicht.
  • Sie können nach Urteilen suchen, indem Sie eines oder mehrere der Kästchen (Suchbegriff, Aktenzeichen/AZ, Gericht, Ort) ausfüllen.
  • Wenn Sie speziell auf der Suche nach BGH-Urteilen sind, setzen Sie per Klick ein Häkchen vor „BGH-Urteil?“. BGH-Urteile sind von großer Bedeutung, da sie endgültig über bestimmte Rechtsfragen entscheiden, die zuvor von den unteren Instanzen unterschiedlich beurteilt worden sind.