Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter
MieterEcho 439 / März 2024

Wenig erforschter Aspekt des NS-Terrors

Die Ausstellung „Zwangsräume Berlin“ dokumentiert die Massenvertreibung jüdischer Mieter/innen aus ihren Wohnungen

Von Peter Nowak

Wenn man „Zwangsräume“ in eine Suchmaschine eingibt, wird man zunächst auf den Begriff Zwangsräumung verwiesen. Tatsächlich handelt es sich bei der digitalen Ausstellung „Zwangsräume Berlin“ um die größte staatlich betriebene Zwangsräumung der deutschen Geschichte. Es geht um die Vertreibung von Berliner Juden aus ihren Wohnungen in den Jahren 1939 bis 1945. Und es geht darum, dass die NS-Behörden von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt wurden. Vor allem von jenen, die in die Wohnungen einziehen konnten, aus denen ihre jüdischen Nachbar/innen gerade vertrieben worden waren.    

Bisher ist wenig dazu geforscht worden. Darum ist es umso verdienstvoller, dass das „Aktive Museum“ Berlin mit der digitalen Ausstellung „Zwangsräume Berlin“ diese antisemitische Massenvertreibung, von der über die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Berlins betroffen war, anschaulich darstellt. Dazu gehören auch die knapp 800 Häuser mit sogenannten Judenwohnungen, in denen die zwangsgeräumten Menschen unterkamen, bis sie meistens in die Vernichtungslager deportiert wurden. Eine „Judenwohnung“ bedeutete, dass mehrere Familien oder Einzelpersonen zwangsweise in einer Wohnung beengt leben mussten. 

In der digitalen Ausstellung kann man einige dieser Häuser anklicken. Da wird die Kluckstraße 3 (ehemals Blumhof ) beschrieben, wo heute eine Jugendherberge steht. „Im ehemaligen Bezirk Tiergarten, zwischen dem Landwehrkanal und der Lützowstraße – unweit der damals mondänen Potsdamer Straße – stand das stattliche Haus mit der Hausnummer 15 in Blumhof. Mindestens zehn Wohnungen wurden als Zwangswohnungen für Jüdinnen und Juden genutzt. Von den 78 jüdischen Mieter/innen an dieser Adresse wurden 50 von hier aus deportiert“, lesen wir dort. 

Besonders traurig ist die Geschichte des Hauses Großgörschenstraße 24 in Berlin-Schöneberg, das zwischen zwei Bahntrassen am Rande der „Roten Insel“ lag, einem Viertel, das lange Zeit als Hochburg der linken Arbeiterbewegung galt. Die Ausstellung informiert über seine Geschichte: „Laut einem handschriftlichen Vermerk galt es im Mai 1940 offiziell als ‚Judenhaus‘. Die Namen von 71 Menschen, die in dem Gebäude wohnen mussten, sind bekannt. Aus dem Haus sind mindestens 69 Menschen deportiert worden. Sie wurden fast alle ermordet.“  

Sehr detailliert werden auch die Zwangsräume in der Holsteinischen Straße 2 im Bezirk Wilmersdorf geschildert. Dort wohnten zwischen 1942 und 1944 mehrere jüdische Familien. Einige konnten noch auswandern, andere fielen der faschistischen Vernichtungsmaschinerie zum Opfer.

Neue Form der Gedenkpolitik

Die interaktive Ausstellung Zwangsräume Berlin ist ein Beispiel für eine neue Form der Gedenkpolitik. „Wir wurden schon von aktuellen Bewohner/innen der Häuser kontaktiert, die mit einen Stolperstein oder einer Tafel an die Menschen erinnern wollen, die vor über 80 Jahren dort lebten“, sagt Kaspar Nürnberg vom Aktiven Museum gegenüber dem MieterEcho. Für viele Menschen sei es ein Schock, wenn sie sehen, dass die Vorgeschichte zur Shoah auch direkt in ihrem Haus begonnen hat.  

Die digitale Ausstellung macht auch deutlich, wie viel es über den eliminatorischen deutschen Antisemitismus noch zu erforschen gibt. Sie ist ein klares Zeichen gegen alle Politiker/innen, die am liebsten einen Schlussstrich unter die NS-Geschichte ziehen wollen. Denn in der Forschung ist die Zwangsräumung jüdischer Menschen bisher wenig behandelt worden. So ist bisher nicht bekannt, wie viele der wenigen überlebenden jüdischen Bewohner/innen wieder in ihre alten Wohnungen einziehen konnten. Bekannt ist bislang nur, dass es sich um sehr wenige Fälle handelt. Und die waren dann oft auch mit dem Hass der Menschen konfrontiert, die jetzt in ihren „arisierten“ Wohnungen lebten.  

Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist in der Ausstellung „Der Tod ist ständig unter uns“ dokumentiert, die noch bis zum 24. März in der Topografie des Terrors zu sehen ist. Die Shoah-Überlebende Marianne Winter wurde von den Bewohnern ihrer ehemaligen Wohnung mit den Worten begrüßt. „Wenn die nicht im KZ verreckt ist, verreckt sie hier. Dann schmeißen wir sie die Treppe runter.“ 

 

Die interaktive Ausstellung Zwangsräume Berlin kann man hier besuchen: zwangsraeume.berlin


MieterEcho 439 / März 2024

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