MieterEcho

MieterEcho 333/April 2009

Quadrat TITEL

„Stadt der kreativen Talente“

Kultur- und Kreativwirtschaft als Motor der Berliner Stadtentwicklung?

Janet Merkel

Janet Merkel, geb. 1978 in Görlitz, studierte Geschichte und Politikwissenschaften an der FU Berlin und der TU Dresden sowie Sozialwissenschaften an der HU Berlin und schrieb ihre Diplomarbeit zum Thema Kreativökonomien (s. u.). Zusammen mit Alexandra Manske erarbeitete sie eine qualitative Studie über „Kreative in Berlin“. Sie ist zurzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

Auf die Frage, wie Berlin wirtschaftlich stark werden soll, antwortete der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit im November 2007 mit der Zukunftsvision: „Stadt der kreativen Talente“. Mit 160.000 Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft – über 10% aller Beschäftigten Berlins – scheint die Stadt auf einem guten Weg, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.

Die verschiedenen Kreativbranchen in Berlin genießen seit ein paar Jahren besondere politische Aufmerksamkeit. Im Januar 2009 wurde bereits der zweite Bericht „Kulturwirtschaft in Berlin, Entwicklungen und Potenziale“ veröffentlicht. Als gemeinsame Herausgeber werden die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und die Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten genannt. Allein die Beteiligung von drei Senatsverwaltungen zeigt, dass das Thema Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin für mehrere politische Ressorts von besonderer Bedeutung ist. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat erhebliches Interesse an diesen Branchen, weil sich die entsprechenden Unternehmen in innerstädtischen Gebieten ansiedeln und damit die Hoffnung auf deren Aufwertung nähren. In Berlin sind es bevorzugt die Gründerzeitquartiere in Mitte (Spandauer Vorstadt), Prenzlauer Berg (Teutoburger Platz) und Kreuzberg (Heine-Viertel, Oranienplatz, Wrangel-Kiez), aber auch die in Charlottenburg, Wedding oder Neukölln.

Wie Kultur- und Kreativwirtschaft in Berlin definiert wird

Die kreativwirtschaftlichen Branchen gelten als dynamisch und innovativ. Ihnen werden Erneuerungs- und Wachstumspotenziale für die städtische Wirtschaft zugeschrieben, die im internationalen Image- und Städtewettbewerb um Investitionen, Unternehmen, qualifizierte Arbeitskräfte und Wissen als unerlässlich gelten. Doch was ist unter Kreativwirtschaft zu verstehen, was ist ihr spezifisches Produkt und was verbindet die verschiedenen Branchen? Die Kreativwirtschaft ist kein homogener Wirtschaftszweig wie etwa die Chemische Industrie, sondern sie vereint eine Vielzahl heterogener Branchen. So definiert der Berliner Bericht, dass unter den Begriffen Kultur- bzw. Kreativwirtschaft diejenigen Unternehmen erfasst werden, „welche überwiegend erwerbswirtschaftlich orientiert sind und sich mit der Schaffung, Produktion, Verteilung und/oder medialen Verbreitung von kulturellen/kreativen Gütern und Dienstleistungen befassen“. Insgesamt werden über diese Definition elf zugehörige Teilmärkte und Branchen identifiziert: Musikwirtschaft, Buch- und Kunstmarkt, Film- und Rundfunkwirtschaft, der Bereich Darstellende Kunst, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Presse- und Werbemarkt sowie die Bereiche Softwareentwicklung, Telekommunikationsdienstleistungen und Spieleindustrie. Der Bericht legt detailliert dar, wie sich die einzelnen Branchen in den letzten Jahren in Berlin entwickelt haben.

Kultur- und Kreativwirtschaft als Wirtschaftsfaktor

Die Berliner Kultur- und Kreativwirtschaft setzt sich – ähnlich wie in anderen Städten – überwiegend aus kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammen. Im Jahr 2006 erwirtschafteten diese über 17,5 Milliarden Euro und damit knapp 21% des Berliner Bruttoinlandsprodukts. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist daher nicht nur ein weicher Aktivposten im internationalen Standortwettbewerb, sondern ein harter Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Insgesamt 22.934 Unternehmen wurden 2006 umsatzsteuerpflichtig erfasst und in die Berechnungen des Kulturwirtschaftsberichts einbezogen. Diejenigen Unternehmen, die meist von Solo-Selbstständigen (Selbstständige ohne weitere Angestellte in Kultur- und Kreativberufen) betrieben werden und unterhalb der Umsatzsteuergrenze von 17.500 Euro im Jahr wirtschaften, sind dabei noch nicht einmal mitgerechnet. Besonders viele Arbeitsplätze entfallen in Berlin auf die Branchen Buch / Presse sowie Software / Games / IT mit jeweils über 22.000 Beschäftigten. Sie gehören neben dem Kunstmarkt, der Architektur und der Designwirtschaft zu jenen Kreativbranchen, in denen mehr sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte arbeiten als freie Mitarbeiter. In den restlichen sechs Branchen übersteigt die Zahl der freiberuflich Tätigen die der abhängig Beschäftigten bei Weitem.

Impulsgeber Berlin

Berlin sieht sich als nationalen Impulsgeber. Das Land hat gegenwärtig den Vorsitz der Arbeitsgruppe Kulturwirtschaft der Wirtschaftsministerkonferenz inne und ist Berichterstatter für Kulturwirtschaft im Kulturausschuss der Kultusministerkonferenz. Dabei ist Berlin nicht das erste Bundesland, das Kultur- und Kreativwirtschaft als ökonomisches Potenzial erkannt hat. Bereits 1992 ließ Nordrhein-Westfalen die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Bedeutung dieser Branchen untersuchen. Trotzdem fehlte bislang die Anerkennung als eigenständiger Wirtschaftsfaktor. Mit der Vorlage des Schlussberichts der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ Ende 2007 wurde das Thema erstmals auf der bundespolitischen Agenda sichtbar.

Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt

Die Kreativbranchen gelten als beispielhaft für den Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt: Der Rückgang der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei gleichzeitig starkem Anstieg der Selbstständigenzahlen ist ein Indikator. Gegenwärtig ist in Berlin eine Verschärfung der kreativwirtschaftlichen Erwerbsbedingungen zu beobachten, was die wachsenden Unternehmenszahlen bei vergleichsweise niedrigem Anstieg des Gesamtumsatzes zeigen. Immer mehr Unternehmen kämpfen ums Überleben. Im Vergleich mit den anderen Bundesländern hat die Berliner Kreativwirtschaft mit 53% den höchsten Anteil an Selbstständigen. Allerdings wirtschaften viele der Selbstständigen unterhalb des Existenzminimums und sind oft nur mangelhaft oder gar nicht in die sozialen Sicherungssysteme eingebunden. Die Frage nach dem Umgang mit diesen prekären Erwerbsverhältnissen hat die Politik bisher noch nicht beantwortet.

Wachsender Ökonomisierungsdruck

Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eng verbunden mit dem öffentlichen und gemeinnützigen Kultursektor in den Städten und es bestehen ein gegenseitiger Austausch und vielfältige Abhängigkeiten. So bilden die Bereiche z.B. für Selbstständige und Freiberufler einen gemeinsamen Arbeits- und Auftragsmarkt. Im Kulturwirtschaftsbericht wird lediglich erklärt, dass der öffentliche Kultursektor eine starke umsatzsteigernde Wirkung auf die Kreativwirtschaft hat. Welche zukünftige Rolle dem geförderten Kunst- und Kulturbereich zukommt und welche Auswirkungen ein stärkeres wirtschaftspolitisches Interesse – hervorgerufen durch die Kreativwirtschaftsdiskussion – haben wird, bleibt offen. Es kann aber vermutet werden, dass sich hier ebenfalls ein stärkerer Ökonomisierungsdruck einstellen wird, der in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen (Gesundheit, Soziales) bereits zu einer drastischen Ausrichtung auf die Logik des freien Markts geführt hat. Die stetig sinkenden Zahlen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter im öffentlichen Kultursektor sprechen dafür.

Hoffnungsträger Kreativwirtschaft

Offen ist bislang auch, welche konkreten positiven Wirkungen die Kultur- und Kreativwirtschaft auf der Stadtteilebene auslösen kann und wie kreativwirtschaftliche Akteure in städtische Entwicklungsprozesse produktiv einbezogen werden können. So greifen fast alle innerstädtischen Quartiersmanagements laut Kulturwirtschaftsbericht auf die Kultur- und Kreativwirtschaft zurück, etwa indem sie die Zwischennutzung von leer stehenden Ladenlokalen anregen. Jedoch sind die bisherigen Ergebnisse ambivalent. Während sich im Wrangel-Kiez langfristige Veränderungen beobachten lassen, gab es in Lichtenberg keinerlei nachhaltige Effekte durch solche Maßnahmen.

Mittlerweile findet sich kaum noch eine Großstadt, die nicht Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft fördern will, dafür Strategien entwickelt, spezielle „Task Forces“ einrichtet und ökonomische Potenziale in Kulturwirtschaftsberichten dokumentiert. Der Grund hierfür liegt in der außerordentlichen Wachstumsdynamik dieser Branchen, den Beschäftigungseffekten, der innerstädtischen Ansiedlung und den damit verbundenen Hoffnungen auf eine Aufwertung einzelner Stadtquartiere sowie verschiedene soziale Wirkungen. Gegenüber dieser Wachstumseuphorie konstatiert der Berliner Kulturwirtschaftsbericht realistischer: „Die kreative Klasse/Unternehmen sind nicht das Allheilmittel für ökonomische und soziale Transformationsprozesse.“

Kreatives Berlin

In Berlin ist jeder 53. Einwohner ein Urheber bzw. Interpret, im Bundesdurchschnitt nur jeder 135. Gemessen wird dies anhand von Anmeldungen bei Verwertungsgesellschaften, welche die Schutzrechte zum geistigen Eigentum und künstlerischer Interpretation sichern. Dazu gehören die GEMA (Komponisten, Textdichter), VG Bild-Kunst (bildende/angewandte Kunst, Verleger, Film- und Fernsehberufe), VG Wort (Autoren) oder der GVL (vertritt Zweitverwertungsrechte von Musikern, Sängern etc.).

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