MieterEcho 325/Dezember 2007: Aufstand der Mittelklasse

MieterEcho

MieterEcho 325/Dezember 2007

Quadrat BERLIN

Aufstand der Mittelklasse

Erfolgreiche Bürgerinitiativen in den sanierten Altbauvierteln

Andrej Holm

In den aufgewerteten Viertel von Mitte und Prenzlauer Berg haben in den letzten Jahren weitgehende Verdrängungsprozesse stattgefunden. Aufwendig sanierte Wohnungen, luxuriöse Dachgeschossausbauten und Eigentumswohnungen sind Ausdruck einer neuen Attraktivität für Haushalte mit höheren Einkommen. Die neue Bewohnerschaft hat aber auch eigene Ansprüche an das Wohnumfeld und die städtische Infrastruktur. Entsprechend thematisieren Nachbarschaftsmobilisierungen in diesen Gebieten nicht mehr die steigenden Mieten der Wohnungen, sondern vor allem die Lebensqualität im Kiez.

Dass sich die Neuzusammensetzung der Bewohnerschaft auch auf die nachbarschaftlichen Ansprüche an den Stadtraum auswirkt, ist eigentlich ein alter Hut. Mit der Etablierung der neuen Mittelklasse in den sanierten Altbauquartieren geht eine umfassende Veränderung der Gewerbestruktur einher. Neue Gastronomien, Bioläden und Edelgeschäfte stehen für die dominierenden Konsummuster in den Gebieten. Doch die Gestaltungsansprüche der neuen Bewohner/innen beziehen sich auf fast alle Aspekte der Nachbarschaft. Von der Gestaltung des unmittelbaren Wohnumfelds über die Ausstattung mit öffentlicher Infrastruktur bis hin zur Bebauung - kaum ein Feld der Stadtplanung, das nicht von den selbstbewussten Anwohner/innen kritisch beäugt wird und das sie mitgestalten wollen. In Mitte und Prenzlauer Berg ist ein regelrechter Boom von Nachbarschaftsprotesten zu beobachten - insbesondere die akademisch geprägten Mittelschichten verfügen dabei über ein hohes Maß an Artikulations- und Mobilisierungsfähigkeit. Weitgehend unabhängig von den traditionellen Stadtteilinitiativen und Betroffenenvertretungen wird für die eigenen Interessen gestritten. Und statt für den Erhalt bezahlbaren Wohnraums wird nun für den Erhalt eines selbstgestalteten Straßenbiotops, gegen die Ausweisung von Bauland auf Friedhofsflächen und für die Eröffnung neuer Grundschulen gefochten.

Oderberger Straße: Sie soll bleiben, wie sie ist ...

"Wir bleiben Alle!", so lautete Anfang der 90er Jahre die Losung der Mieterorganisationen und Stadtteilinitiativen, die sich gegen die drohende Aufwertung und Verdrängung in Prenzlauer Berg wehren wollten. Die Oderberger Straße entwickelte sich schnell zum Hauptquartier der Protestbewegungen, denn viele der Aktiven wohnten hier und hatten sich schon zu DDR-Zeiten den Abrissplänen entgegengestellt. Vom damaligen Protest und auch von den Aktiven ist nur wenig geblieben - allenfalls erinnern Blumenkübel, selbstgepflanzte Bäume und auf eigene Faust aufgestellte Sitzbänke entlang der Straße an die Zeit des Aufbruchs und der Selbstorganisation. Dieser chaotisch dörfliche Charakter prägt bis heute das Flair der Oderberger Straße und gilt auch bei vielen Zugezogenen als Sinnbild für die Besonderheit des neuen Wohnorts. Kein Wunder also, dass sich die Anwohner/innen gegen Pläne des Pankower Tiefbauamts empörten, dem illegalen Wildwuchs auf öffentlichem Straßenland ein Ende zu bereiten. Für 2,5 Millionen Euro sollen ab 2009 Straße und Gehwege saniert werden. Die Anwohner/innen befürchteten den Verlust ihrer urbanen Grünoase und die Geschäftsführer der 28 anliegenden Kneipen, Restaurants und Cafés bangten um den "besonderen Charme" und um ihre Kundschaft. Aus den Lifestyle-Ansprüchen der einen und dem Geschäftsinteresse der anderen war schnell eine aktionsfähige Nachbarschaftsinitiative entstanden. Versammlungen wurden organisiert, Flugblätter geschrieben und Plakate entworfen. Mit einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit wurden Tageszeitungen und Bezirkspolitik gleichermaßen mit den Forderungen konfrontiert. Der zuständige Stadtrat Jens-Holger Kirchner (Bündnis 90/Grüne) sah sich mit seiner ureigenen Wählerklientel konfrontiert, ruderte zurück und versprach, die Anwohner/innen in die Planungen einzubeziehen. Doch die Bürgerinitiative Oderberger Straße (BIOS) kommt gerade erst so richtig in Fahrt. Eine eigene Webseite, neun verschiedene Arbeitsgruppen und regelmäßige Treffen stehen für die neue Mobilisierungsfähigkeit der Nachbarschaft. Nach Jahren einer für viele Mieter/innen wenig behutsamen Stadterneuerung wird nun an eben diese Behutsamkeit appelliert. Auf einem Flugblatt heißt es: "Bürgerinitiative Oderberger Straße fordert behutsame Sanierung!" Fast wie vor 15 Jahren - nur geht es diesmal um Sträucher, Bäume und Holzbänke und nicht um die Bewohner/innen.

Klassenkampf in Mitte

Auch ein anderer Konflikt weckt die Erinnerung an frühere und längst verlorene Auseinandersetzungen: der Kampf um die Schulen. Vor knapp zehn Jahren bestimmte das Thema schon einmal die bezirkspolitischen Debatten in den Ostberliner Innenstadtbezirken. Geburtenknick und Stadterneuerung hatten zu drastisch verringerten Schülerzahlen geführt. Viele Familien zogen aus Furcht oder infolge von Modernisierungsarbeiten aus dem Gebiet und neue Kinder kamen kaum hinzu. Die Bezirksämter versuchten damals, die dadurch fehlende Auslastung der Schulen mit Schulschließungen zu kompensieren. Der Protest der Eltern und Lehrer/innen wie etwa gegen die Schließung der Struwwelpeter-Schule in der Senefelder Straße blieb damals erfolglos. Ausgehandelt wurden lediglich Übergangslösungen wie die Beibehaltung der Klassenzusammensetzung beim Wechsel auf eine andere Schule. Um den bezirklichen Haushalt nicht mit den Unterhaltskosten der leer stehenden Schulgebäude zu belasten, wurden die meisten verkauft oder langfristig vermietet. Eine kurzfristige Reaktivierung der Schulen war damit ausgeschlossen und eben dies sollte sich als eine ausgesprochen kurzsichtige Entscheidung erweisen. Denn durch die anhaltenden Verdrängungsprozesse in den Sanierungsgebieten veränderte sich die Sozialstruktur so nachhaltig, dass sich die Anzahl der 25- bis 45-Jährigen nahezu verdoppelte. Da dies eben jene Altersgruppe ist, die üblicherweise Kinder in die Welt setzt, konnte auch der angebliche Kinderboom von Prenzlauer Berg - den es übrigens auch in Mitte gibt - nicht verwundern. Die steigenden Geburtenzahlen seit der Jahrtausendwende stellen heute - als deutlich gestiegene Schülerzahlen - für die Schulämter ein ernstes Problem dar. In einigen Schuleinzugsbereichen hat sich die Anzahl der Schulanfänger innerhalb weniger Jahre verdoppelt. Zu geringe Schulkapazitäten in den sanierten Altbauvierteln - und das, wo doch gerade die kurzen Wege einen wesentlichen Anreiz für das innerstädtische Wohnen darstellen. Die Eltern jedenfalls sind empört und fordern die Neugründung von Grundschulen in Wohnortnähe. Insbesondere in Mitte zeigt der Protest bereits erste Erfolge. Das Schulamt erwägt die Einrichtung einer Schulfiliale im Gebäude der vor Jahren geschlossenen Schule am Koppenplatz. Das ist für die Elterninitiative "Schule im Kiez" zumindest ein Teilerfolg. Denn das Schulamt Mitte versuchte das Problem der steigenden Schülerzahlen zunächst durch eine Neugestaltung der Einzugsbereiche zu lösen. Dies war aber ein Problem für viele Mitte-Eltern: Ihre Wohnadressen wurden den Schuleinzugsbereichen von Weddinger Schulen zugeordnet. Insbesondere der hohe Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft (85 bis 90%) wirkte auf die überwiegend bildungsbürgerlich sozialisierten Eltern in Mitte abschreckend und löste einen kleinen Aufstand aus.

Wie die Bürgerinitiative Oderberger Straße, ist auch die Elterninitiative durch eine effektive und erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit geprägt. Protestbriefe, Veranstaltungen und eine Reihe von Zeitungsartikeln qualifizierten die protestierenden Eltern zu einem ernstzunehmenden Ansprechpartner für die Schulstadträtin, die sich auf öffentlichen Versammlungen verpflichtete, die Forderungen und Vorschläge der Initiative zumindest zu prüfen. Während vor zehn Jahren die verdrängungsbedingten Schulschließungen nicht verhindert werden konnten, gelingt es den Eltern der aktuellen Schulanfänger, eine neue Schule durchzusetzen. Und falls es mit der neuen Grundschule am Koppenplatz doch nicht klappen sollte, so bleibt für viele immer noch die Alternative Privatschule. In den Sanierungsgebieten von Mitte stehen den fünf öffentlichen Grundschulen schon jetzt vier Privatschulen gegenüber. So oder so, die Mitte-Eltern werden ihre Bildungsvorstellungen für die eigenen Kinder erfolgreich durchsetzen.

Friedhofsruhe als Lifestylefaktor

Ein völlig neuartiger Konflikt hat sich in den letzten Monaten in der Heinrich-Roller-Straße zugetragen. Grund dafür sind die Bestrebungen der Kirchengemeinde St.-Petri-St.-Marien, Teile des gleichnamigen Friedhofs in Bauland umzuwandeln und meistbietend an einen Investor zu verkaufen. Die Bewohner/innen der gegenüberliegenden Häuserzeile würden den Blick ins Grüne verlieren und auch die wilden und verwachsenen Wege des Friedhofs wären nicht mehr so zugänglich wie bisher. Möglich wird der geplante Verkauf der Friedhofsfläche durch den 2006 veröffentlichten Friedhofentwicklungsplan der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Demnach seien Friedhöfe "aufgrund ihrer Zweckbestimmung (...) langlebige Einrichtungen", die auch über die Dauer der Mindestruhefrist hinausgehend als unantastbar gelten. Doch die Veränderungen der Einwohnerzahl, der Sterberate und des Bestattungsverhaltens haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einer drastischen Verringerung des Bedarfs an Friedhofsflächen geführt - so die Senatsverwaltung. Aus diesem Grund wurde ein Friedhofsentwicklungsplan aufgestellt, der die vorhandene Versorgung mit Friedhofsflächen ermittelt und eine langfristige Nutzungsänderung der überschüssigen Friedhofsflächen ermöglichen soll. Friedhöfe sollen dabei auch langfristig Grünflächen bleiben: "Eine spätere bauliche oder sonstige, mit der ehemaligen Friedhofsnutzung nicht harmonierende Nutzung ist aus Gründen der Pietät grundsätzlich nicht zulässig. Eine andere Folgenutzung kann nur aus zwingendem öffentlichen Interesse (...) zugelassen werden." Eine grüne Folgenutzung als Friedhofspark oder Grünfläche ist im Friedhofsentwicklungsplan auch für die meisten der zu schließenden Friedhofsflächen vorgesehen. Aber wie so oft, sind es die Ausnahmen, die die Gemüter erregen: Ein Teil der Flächen wird im Friedhofsentwicklungsplan mit der Kategorie "sonstige Nutzung" ausgewiesen. Konkret ermöglicht dies eine gewerbliche, infrastrukturelle, bauliche oder andere wirtschaftliche Nutzung der ehemaligen Friedhofsflächen, jedoch ist eine solche Nutzung nur möglich, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse an einer "sonstigen Nutzung" vorliegt. Warum die finanzielle Situation der Friedhofsträger, also der Kirchengemeinden, ein solches zwingendes öffentliches Interesse darstellen, bleibt Geheimnis der Senatsverwaltung - aber die Wege des Herrn sind ja bekanntlich unergründlich.

Den Anwohner/innen der Heinrich-Roller-Straße jedenfalls sind die finanziellen Sorgen der Kirchengemeinde reichlich egal - sie wollen die Bebauung der gegenüberliegenden Straßenseite verhindern. Auch hier - wie schon in den beiden anderen Beispielen - zeigen sich die Mobilisierungsqualitäten der neuen Mittelschichten. Schon kurz nach dem Bekanntwerden der Verkaufspläne gründete sich die "Bürgerinitiative Rollerfriedhof" und entfaltete das gesamte Programm einer nachbarschaftlichen Lobbyarbeit. Presseartikel wurden platziert, die Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung kontaktiert und Bündnispartner wie die Grüne Liga gewonnen. Ein offener Brief an den Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg appelliert an den Erhalt der Natur und der Schöpfung und kritisiert den Pfarrer der St.-Petri-St.-Marien-Gemeinde als neoliberalen Manager, der die Interessen seiner Gemeinde über die des Allgemeinwohls stelle. Wirkungsvoller als dieser Appell an die oberste Kirchenleitung war jedoch, dass die bezirkspolitische Präsenz der Proteste gegen die Friedhofsbebauung zu einer Versagung einer Baulandausweisung führten. Zwar bleibt die Umnutzungsperspektive einer "sonstigen Nutzung" bestehen, doch Angst vor einer Bebauung ist erst einmal gebannt.

Effektiv und durchsetzungsfähig

Die drei Beispiele stehen für ein buntes Kaleidoskop von effektiven und erfolgreichen Interessenkämpfen und Bürgerinitiativen in den aufgewerteten Nachbarschaften. Dort, wo eine Verdrängung der Altmieter/innen nicht zu verhindern war, hat sich eine junge, gebildete und auch durchsetzungsfähige Bewohnerschaft etabliert, die ihre eigenen Interessen durchzusetzen weiß. Insbesondere für die steigende Zahl der Wohnungseigentümer in den Sanierungsgebieten geht es dabei um mehr als nur die Durchsetzung und Sicherung der eigenen Lebensstilvorstellungen. Die Aufwertung des Wohnumfelds, der freie Blick über die Grünfläche eines Friedhofs und auch die ausreichende Versorgung mit hochwertigen Bildungsangeboten prägen die Nachbarschafts- und Lagequalität und damit den Wert des eigenen Besitzes.

Die Initiativen im Internet:
www.oderberger.org
www.rollerfriedhof.de

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 325