MieterEcho 322/Juni 2007: Mangelware: Kleine Wohnungen

MieterEcho

MieterEcho 322/Juni 2007

Quadrat TITEL

Mangelware: Kleine Wohnungen

Der Berliner Mietspiegel 2007 und die Auswirkungen auf die angemessenen Wohnkosten für ALG-II-Beziehende

Andrej Holm

Der Mietspiegel bildet die Entwicklungen auf dem Berliner Mietwohnungsmarkt relativ umfassend ab. In vielen Mietspiegelfeldern sind die Mieten gestiegen. Mit Blick auf die Ausführungsvorschriften, die die Angemessenheit der Wohnkosten für ALG-II-Beziehende regeln, bedeutet dies eine Wohnraumverknappung für Hartz-IV-Betroffene. Der Anteil angemessener Wohnungen im Bereich des Mietspiegels hat sich von 75% (2005) auf 70% (2007) verringert. Bezogen auf den gesamten Berliner Wohnungsmarkt liegen damit nur noch knapp 50% aller Wohnungen unterhalb der festgelegten Höchstmieten. Insbesondere die Wohnungsversorgung der vielen kleinen Bedarfsgemeinschaften wird problematisch.

Haushaltsgröße Maximale Miethöhe bruttowarm
1 Person 360 Euro
2 Personen 444 Euro
3 Personen 542 Euro
4 Personen 619 Euro

AV-Wohnen: Angemessene Wohnkosten für ALG-II-Beziehende

In den Ausführungsvorschriften Wohnen (AV-Wohnen) sind Höchstgrenzen für die Angemessenheit der Wohn- und Unterkunftskosten in Abhängigkeit von der Größe der Bedarfsgemeinschaften festgelegt. Bedarfsgemeinschaften mit zwei oder drei Personen dürfen entsprechend mehr Geld für eine Wohnung ausgeben als Bedarfsgemeinschaften, die nur aus einer Person bestehen.

Der Mietspiegel bildet die Veränderungen der Mietpreise für etwa 1,2 Millionen Wohnungen in Berlin ab. Das entspricht etwa zwei Drittel aller 1,8 Millionen Berliner Wohnungen. Nicht im Mietspiegel berücksichtigt werden Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern, selbstgenutzte Eigentumswohnungen und die preisgebundenen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus. Aufgeschlüsselt nach Baualter, Wohnungsgröße und Lage weist die Mietspiegeltabelle 132 Mietspiegelfelder aus und gibt die jeweils ermittelten Mietpreise an, von denen wir in unserer Untersuchung nur die Mittelwerte einbeziehen.

Wenn man zu den Mittelwerten* die ebenfalls veröffentlichten durchschnittlichen Betriebskosten addiert, erhält man die den Mietspiegelfeldern entsprechenden Bruttomieten* pro Quadratmeter. Es lässt sich nun sehr einfach ermitteln, wie viele Quadratmeter Wohnraum in den jeweiligen Segmenten von ALG-II-Beziehenden bezahlt werden können. Unter Annahme einer linearen Verteilung der Wohnungsgrößen innerhalb der Mietspiegelfelder errechnen wir mithilfe dieser maximalen angemessenen Wohnfläche, wie viele Wohnungen aus einem bestimmten Mietspiegelfeld im Rahmen der Angemessenheit der Ausführungsvorschriften Wohnen (AV-Wohnen) liegen. Können beispielsweise in einer bestimmten Baualtersklasse für 360 Euro maximal 50 qm Wohnfläche angemietet werden, dann gelten die unter 40 qm großen Wohnungen zu 100% als angemessen. Von den 40 bis 60 qm großen Wohnungen sind es nur 50% und größere Wohnungen sind nicht mehr angemessen.

Die mit einem * gekennzeichneten Begriffe werden in unserem Mietspiegel-Glossar erklärt.


Angemessene Bruttowarmmiete

Wie jede Statistik ist auch diese Berechnungsmethode eine Annäherung. Nicht berücksichtigt werden etwa die in den letzten Jahren drastisch gestiegenen Heizkosten, die sich in den Mietspiegeldaten noch nicht niederschlagen konnten, sowie die preistreibenden Sondermerkmale, von denen nicht bekannt ist, für wie viele Wohnungen sie zutreffen. Diese Faktoren sprechen dafür, dass die tatsächliche Wohnungsversorgung schlechter ist als unsere vorliegende Berechnung. Auf der anderen Seite wurden Härtefälle, für die höhere Wohnkosten möglich sind, nicht berücksichtigt. Hier gibt es keine Daten darüber, wie viele Bedarfsgemeinschaften dies betrifft.

Wenn auch die absoluten Zahlen nur eine eingeschränkte Aussagekraft besitzen, verweist unsere Betrachtung, vor allem hinsichtlich der Veränderungen seit dem Mietspiegel 2005, auf zentrale Probleme bei der Wohnungsversorgung unter Hartz IV.

Zuwenig Wohnungen für kleine Bedarfsgemeinschaften

Die zentrale Frage ist, ob zu Mietpreisen unterhalb der festgelegten Höchstgrenzen überhaupt genügend Wohnungen vorhanden sind. Eine Auswertung der neuen Mietspiegeldaten zeigt, dass den über 312.000 Bedarfsgemeinschaften etwa 850.000 Wohnungen innerhalb der Angemessenheitsgrenzen gegenüberstehen. Das sind ca. 70% der im Mietspiegel erfassten Wohnungen und 48% des gesamten Berliner Wohnungsmarkts. Doch die Verteilung auf die verschiedenen Bedarfsgemeinschaftsgrößen ist ebenfalls zu prüfen (Tabelle 1).



So stehen den über 190.000 alleinstehenden ALG-II-Beziehenden zwar knapp 275.000 Wohnungen auf dem gesamten Berliner Wohnungsmarkt zur Verfügung, dennoch muss die Versorgung kleiner Haushalte als äußerst problematisch angesehen werden. Denn in der "Single-Hauptstadt" Berlin konkurriert ein großer Teil der insgesamt etwa 960.000 1-Personen-Haushalte um 333.000 Mietwohnungen, die kleiner als 50 qm sind. Unter der Annahme, dass ein Drittel der Berliner Wohnungen Eigentums- und Sozialwohnungen sind und so ein Drittel der Singlehaushalte versorgen können, bleiben immer noch 630.000 1-Personen-Haushalte übrig. Rein rechnerisch konkurrieren also etwa 1,9 potenzielle Mieter/innen um eine preisgünstige kleine Wohnung. Insbesondere die fast 400.000 1-Personen-Haushalte mit geringem Einkommen (weniger als 900 Euro) können nicht oder nur eingeschränkt auf größere Wohnungen ausweichen**. Nur wenige Mieter/innen wollen zwar in solch kleinen Wohnungen leben - der größte Teil wünscht sich Wohnungen mit großen Küchen und getrennten Wohn-, Schlaf- und Arbeitsbereichen. Die Hartz-IV-Singlehaushalte jedoch müssen mit Kleinrentner/innen, Grundsicherungsbeziehenden, Studierenden und Kleinverdiener/innen um die unattraktiven kleinen Wohnungen konkurrieren.

**) Siehe: www.statistik-berlin.de/statistiken/mikrozensus/mz-faltblatt-2003.pdf

Auch die Versorgungslage der knapp 60.000 Bedarfsgemeinschaften mit zwei Personen stellt sich dramatisch dar. Zwar stehen für diese Gruppe fast 180.000 angemessene Wohnungen zur Verfügung, doch muss auch hier die gesamte Wohnungsnachfrage berücksichtigt werden. Etwa 275.000 Wohnungen zwischen 50 und 65 qm stehen über 220.000 2-Personen-Haushalten und über 290.000 Singlehaushalten gegenüber, die auf diesen Bereich der größeren Wohnungen drängen. Insgesamt konkurrieren auch in diesem Bereich 1,9 Haushalte um eine Wohnung.

Für die knapp 80.000 Bedarfsgemeinschaften mit drei und mehr Personen gestaltet sich die Versorgungslage wesentlich günstiger. Der Mietspiegel weist etwa 585.000 größere Mietwohnungen (ab 65 qm) aus, von denen der größte Teil die Kriterien der Angemessenheit erfüllt. Demgegenüber stehen etwa 270.000 Haushalte mit drei und mehr Personen sowie 235.000 noch nicht versorgte 2-Personen-Haushalte. Das Verhältnis von Wohnungsangebot und Wohnungsnachfrage liegt hier bei etwa 1 zu 0,9.

Für mehr als drei Viertel aller Bedarfsgemeinschaften sind also deutliche Einschränkungen bei der Wohnungssuche zu verzeichnen, weil sie mit anderen - oftmals zahlungskräftigeren - Haushalten um die kleinen preiswerten Wohnungen konkurrieren müssen.

Die durch die Angemessenheitsgrenzen beschränkten Ausweichmöglichkeiten in weniger umkämpfte (größere) Wohnungsmarktsegmente erschwert die Wohnungsversorgung erheblich und führt im Bereich der kleineren Wohnungen zu einem künstlich geschaffenen Nachfragedruck, der sich nicht zuletzt in den deutlichen Mietsteigerungen im Bereich der kleinen Wohnungen widerspiegelt. Damit bestätigt der neue Mietspiegel ein in der Wohnungswirtschaft seit langem bekanntes Phänomen, dass die preiswertesten (und meist auch schlechtesten) Wohnungen die größten Mietsteigerungen aufweisen.

Wer wohnt wo?

Darüber hinaus haben wir die stadträumliche Verteilung und die Qualität der angemessenen Wohnungen untersucht. Eine Übersicht nach Baualtersklassen zeigt eine deutlich ungleiche Verteilung (Tabelle 2). Von den 850.000 angemessenen Wohnungen lassen sich mehr als die Hälfte in den vor 1949 errichteten Häusern verorten. Weitere Schwerpunkte der angemessenen Wohnungen finden sich in den 1956 bis 1964 erbauten ehemaligen Sozialwohnungen (14%) und in den Plattenbausiedlungen der Ostbezirke (19%). Nur eine geringe Rolle beim Angebot von angemessenen Wohnungen spielen hingegen die zwischen 1973 bis 1990 in Westberlin erbauten Wohnungen und die Neubauten nach 1990.

Struktur der angemessenen Bestände

Die angemessenen Wohnungen befinden sich nicht nur verstärkt in den ältesten Beständen der Stadt und in den Ostberliner Plattenbauten, sondern vor allem auch in den minder ausgestatteten Wohnungen. Fast alle der knapp 180.000 Wohnungen mit Substandardmerkmalen - also Wohnungen, die über keine moderne Heizung und/oder kein Bad verfügen - gelten als angemessen im Sinne der AV-Wohnen. Da in diesen schlechter ausgestatteten Beständen die Konkurrenz mit anderen Wohnungssuchenden geringer ist als in den besser ausgestatteten Wohnungen, droht mit der aktuellen Regelung zu den Wohnkosten ein deutlicher Zusammenhang von sozialpolitischer Transferabhängigkeit und schlechter Wohnungsqualität zu entstehen. Die AV-Wohnen läutet die Rückkehr des Zwei-Klassen-Wohnens ein.



Der aktuelle Mietspiegel weist gegenüber dem Mietspiegel von 2005 in den meisten Feldern Steigerungen auf. Ein Vergleich der angemessenen Wohnungen von 2005 und 2007 zeigt, wie sich diese Veränderung auf die Wohnungsversorgung der ALG-II-Bedarfsgemeinschaften in Berlin auswirkt. Die Gesamtzahl der angemessenen Wohnungen hat sich um etwa 45.000 Wohnungen deutlich verringert - das ist ein Rückgang um 5% (Tabelle 3).



Verknappung seit 2005

Gerade bei den prekär versorgten 1-Personen-Haushalten ist ein Rückgang des bezahlbaren Wohnungsbestands um 10% zu verzeichnen. Auch die Zahl der angemessenen Wohnungen für 2-Personen-Haushalte hat sich um 13.000 Wohnungen verringert. Leicht gestiegen ist hingegen die Anzahl der angemessenen Wohnungen für Bedarfsgemeinschaften mit drei und mehr Personen. Die Mietspiegelveränderungen stellen eine Verknappung in den stark angespannten Segmenten der kleinen Wohnungen dar. Die Mieten sind überall dort gestiegen, wo überdurchschnittlich viele Bedarfsgemeinschaften um wenige preiswerte Wohnungen konkurrieren.

Sozialräumliche Verteilung

Ein Blick auf die angemessenen Wohnungen in verschiedenen Wohnungsmarktsegmenten zeigt, dass die Verteilung angemessener Wohnungen in etwa der Gesamtverteilung der Berliner Wohnungsbestände entspricht. Prognosen von entstehenden "Hartz-IV-Ghettos" bestätigen sich zumindest auf dieser Ebene nicht. Im Gegenteil: Durch die weitgehende Angleichung der Mietpreise in den verschiedenen Beständen ist die Versorgungslage von ALG-II-Bedarfsgemeinschaften ein gesamtstädtisches Problem (Tabelle 4).



Sichtbare Konzentrationen

Erst ein Blick auf die angemessenen Wohnungen für verschiedene Bedarfsgemeinschaftsgrößen verweist auf einige Konzentrationstendenzen. So sind mehr als die Hälfte der angemessenen Wohnungen für die großen Bedarfsgemeinschaften (mit 4 und mehr Personen) in den Altbauvierteln zu finden. Auch die angemessenen Wohnungen für 1-Personen-Haushalte sind mit 38% in diesem Bereich überrepräsentiert. Für die Bedarfsgemeinschaften mit zwei und drei Personen hingegen konzentrieren sich die angemessenen Wohnungen in den Kleinfamilienwohnungen der Zwischenkriegszeit und des ehemaligen sozialen Wohnungsbaus. Die Großsiedlungen in den östlichen Bezirken sind für alle Bedarfsgemeinschaftsgrößen gleichermaßen zugänglich.

Verdrängung durch Modernisierungen

Insbesondere die Konzentration der angemessenen Wohnungen auf die Halb- und Substandardbestände* birgt eine deutliche Verdrängungsgefahr. Denn mit jeder Modernisierungsmaßnahme drohen diese Wohnungen die Grenzen der Angemessenheit zu überschreiten. In den Ostberliner Sanierungsgebieten zeigen sich diese Tendenzen bereits jetzt in aller Deutlichkeit. Sanierte Wohnungen sind vor allem für kleinere Bedarfsgemeinschaften dort kaum noch zu finden. Die Beschränkungen der AV-Wohnen haben bereits in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Einschränkung bei der Wohnungssuche von ALG-II-Beziehenden geführt. Diese Schwierigkeiten spitzen sich durch die im Mietspiegel abgebildeten Veränderungen noch zu. Vor allem für kleine Bedarfsgemeinschaften werden Zugangsprobleme deutlich.

Überschreitung der Angemessenheit

Ob und inwieweit die durch den neuen Mietspiegel möglichen Mietsteigerungen (vor allem bei den kleinen Wohnungen) zu einer vermehrten Überschreitung der Angemessenheitsgrenzen führt, kann noch nicht abschließend bewertet werden. Bis zu der notwendigen Anpassung der AV-Wohnen an die neuen Wohnungsmarktverhältnisse sollte von der Senatsverwaltung ein Moratorium für Kostensenkungsaufforderungen gefordert werden - nicht zuletzt, weil preisgünstige Alternativen für die betroffenen Bedarfsgemeinschaften kaum zu finden sein werden.

Zurück zum Inhalt MieterEcho Nr. 322