MieterEcho 313/Dezember 2005: Tatort Brüssel

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MieterEcho 313/Dezember 2005: Inhalt

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Tatort Brüssel

Wie die Europäische Union den Sozialen Wohnungsbau zerstört

Andrej Holm

Entscheidungen aus Brüssel und die Debatten der EU zu Strukturfonds und Dienstleistungsrichtlinien sind in der politischen Öffentlichkeit der BRD wenig präsent. Auch Europa-Skeptiker können selten konkret benennen, was denn das eigentlich Schlimme an der EU sei. Europa wird als Feld der politischen Auseinandersetzung bisher nur wenig ernst genommen - zu Unrecht. Gerade im Bereich der Wohnungspolitik ist der Trend zu einer Europäisierung nicht zu verkennen.

Vom 11.-13.10.2005 fand in Brüssel die "Social Housing Week", also die "Woche des Sozialen Wohnungsbaus", statt. Dazu eingeladen hatte CECODHAS, der europäische Dachverband der sozialen Wohnungswirtschaft. Aus der Sicht der Veranstalter war es das wichtigste wohnungspolitische Ereignis des Jahres und tatsächlich gaben sich viele Prominente der Wohnungspolitik die Ehre. Wohnungsbauminister, Staatssekretäre und Bürgermeister aus allen möglichen Ländern waren ebenso auf der Konferenz vertreten wie Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Vertreter/innen wohnungspolitischer Interessengruppen.

Das Ziel der Konferenz war, die Perspektiven des Sozialen Wohnungsbaus in Europa zu erkunden und die Visionen einer sozialen Wohnungspolitik in der Europäischen Union zu verankern. Dementsprechend war das Motto der Tagung den Diskussionen der EU-Administrationen angepasst und forderte in EU-konformer Ausdrucksweise den "Zugang zu angemessenen Wohnungen für alle - ein Schlüssel zur sozialen Kohäsion". Hinter dem Kohäsionsbegriff verbirgt sich eines der bisher zentralen Ziele der europäischen Politik: die Stärkung des sozialen Zusammenhalts in den Städten und Ländern der EU. Wenn das Wohnungswesen für diese zentralen Ziele eine wichtige Rolle spiele - so der Leitgedanke der Konferenz -, dann müsse die Wohnungspolitik als zentrales Instrument auch bei der Mittelvergabe der europäischen Fördergelder berücksichtigt werden.

Die Konferenz war thematisch in verschiedene Blöcke aufgeteilt, deren Schwerpunkte einerseits der Selbstverständigung zwischen den Ländervertreter/innen diente und andererseits in der Tradition des Lobbyismus europäische Entscheidungsträger von der Bedeutung des Sozialen Wohnungsbaus zu überzeugen suchte. Dazu dienten insbesondere die so genannten High-Level-Runden, bei denen in der Atmosphäre der Exklusivität eine Bresche für den Sozialen Wohnungsbau in Europa geschlagen werden sollte.

Ob diese Form des Lobbyismus Erfolg haben wird, ist offen. Dass die Zukunft der Wohnungspolitik in Europa ein umkämpftes Feld ist, wurde auf der Konferenz lebhaft deutlich. Schließlich war die Wohnungspolitik bisher die ausschließliche Angelegenheit der Nationalstaaten und der Lokalpolitik. Doch im Zuge der sich ausweitenden Stadtpolitik der EU (MieterEcho Nr. 312 berichtete) und einer Reihe von Richtlinien, die auch die Wohnungswirtschaft betreffen, hat der Soziale Wohnungsbau inzwischen eine europäische Dimension bekommen.

Sozialer Wohnungsbau und die Europäischen Strukturfonds

Die zentralen Förderinstrumente der EU sind die so genannten Strukturfonds. Relevant für die Wohnungswirtschaft sind insbesondere der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und der Europäische Sozialfonds (ESF) sowie einige kleinere Förderprogramme. Jeweils für eine Periode von sieben Jahren werden Förderrichtlinien, Ziele und die Verteilung der Gelder festgelegt. Insgesamt geht es um etwa 200 Milliarden Euro pro Förderperiode. Die nächste beginnt im Jahr 2007 und entsprechend scharf sind die Auseinandersetzungen um Zielregionen und Förderkriterien. Gelingt es, die eigenen Themen in den Programmen der Strukturfonds zu platzieren, können erhebliche Fördersummen abgerufen werden. Der Soziale Wohnungsbau und auch die Modernisierung von Wohnungen fand in den bisherigen Förderrichtlinien keine Berücksichtigung. Die EU-Argumentation war relativ klar: Die europäische Wohnungspolitik endet vor den Staatsgrenzen und das Wohnungswesen ist eine nationale Angelegenheit. Dementsprechend wurden die Fördergelder vor allem für Ausbildungs- und Integrationsprojekte sowie Wirtschaftsförderung ausgegeben.

Die Lobbyisten der europäischen Wohnungswirtschaft hingegen argumentieren, dass die Wohnbedingungen eine zentrale Rolle bei der Frage der Nachhaltigkeit von Entwicklungsmaßnahmen einnehmen. Insbesondere die Ziele des sozialen Ausgleichs und Zusammenhalts seien ohne eine soziale Wohnungspolitik kaum zu erreichen. Entsprechend wird der Zugang zu den Fördertöpfen eingefordert. Insbesondere die neuen Mitglieder in den osteuropäischen Transformationsländern des EU-Beitrittsraums verweisen darüber hinaus auf den katastrophalen Zustand ihres Gebäudebestands und die Dimension der ökologischen Nachhaltigkeit.

Ost-West-Unterschiede bei den Forderungen

Die Motive für den Ruf nach den Europäischen Strukturfonds sind in Ost- und Westeuropa ähnlich: Die nationalen Budgets für den Sozialen Wohnungsbau wurden in der Vergangenheit gekürzt oder gar nicht erst entwickelt und alle Ansätze für eine kommunale oder soziale Wohnungspolitik sitzen finanziell auf dem Trockenen. Doch in den Forderungen gehen die Interessen weit auseinander. Viele westeuropäische Länder (wie etwa Großbritannien, die Niederlande und Österreich) können auf eine lange Tradition des Sozialen Wohnungsbaus zurückblicken und würden EU-Gelder am liebsten zum Ausbau dieser marktfernen Bestände nutzen. In Osteuropa hingegen wurden staatliche und kommunale Wohnungsbestände Anfang der 1990er Jahre zum größten Teil verscherbelt, sodass es faktisch keinen Sozialen Wohnungsbau gibt, der gefördert werden könnte. Stattdessen setzen die Vertreter/innen der ehemals sozialistischen Länder auf eine möglichst flächendeckende Förderung von Wohnungseigentümer/innen. Insofern erschwert die EU-Osterweiterung ein gemeinsames und solidarisches Agieren der wohnungspolitischen Interessenvertretungen - denn nun müssen völlig unterschiedliche Ausgangsbedingungen in einem Förderprogramm untergebracht werden.

Die EU schleift den Sozialen Wohnungsbau

CECODHAS strebt zurzeit nach einem Platz an der europäischen Fördersonne, denn von den künftigen Subventionen erhoffen sich die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen überall in Europa das Weiterbestehen des Sozialen Wohnungsbaus und ihrer eigenen Gesellschaften. Doch im Schatten dieser Auseinandersetzungen verändern sich auch die wohnungspolitischen Ziele. Statt direkt mit der Wohnungsfrage und der Notwendigkeit eines marktfernen Wohnungssektors zu argumentieren, passen sich die Argumente den allgemeinen EU-Diskursen an. Sozialer Wohnungsbau steht dabei nicht mehr vordergründig für die Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung und für eine allgemein mietpreisdämpfende Wirkung auf dem Wohnungsmarkt. Vielmehr verkauft er sich als Instrument der Public Privat Partnership, als universeller Sozialdienstleister und als Instrument der regionalen Wettbewerbsförderung. Denn das sind die Ziele, die in den europäischen Programmen oft an erster Stelle stehen und auch gefördert werden. Faktisch entfernt sich der Soziale Wohnungsbau damit von seinen wohnungspolitischen Kernaufgaben und versucht sich im Feld des neoliberalen Wohlfahrtsstaats zu etablieren. Hier ein bisschen Integrationsarbeit, dort ein wenig Community Policing* und an anderer Stelle die Organisation von Kinderbetreuung oder Pflegediensten - so stellte sich die EU-orientierte Ausrichtung der sozialen Wohnungsunternehmen auf der Konferenz in Brüssel dar. Bedenklich aus der Perspektive von Mieter/innen: Überlegungen zu Mietpreisen blieben in der "Woche des Sozialen Wohnungsbaus" vollkommen außen vor.

So sehr es zu wünschen ist, dass der Soziale Wohnungsbau auf die europäische Agenda kommt und auch zu einem Förderschwerpunkt wird - es wird nicht mehr der Soziale Wohnungsbau sein, den wir kennen.

*) Community Policing ("gemeinwesenorientierte Polizeiarbeit") ist nicht fest definiert, sondern ein heterogener Ansatz basierend auf der Vorstellung, dass durch das Zusammenwirken von Polizei und Bürger/innen Unordnung, Kriminalität und Kriminalitätsfurcht bekämpft werden könne (siehe auch MieterEcho Nr. 286, weitere Informationen: http://www.cilip.de).

CECODHAS, der europäische Verbindungsausschuss zur Koordinierung der sozialen Wohnungswirtschaft, ist ein gemeinnütziger Verband, der seine Mitgliedsorganisationen gegenüber den europäischen und internationalen Institutionen vertritt. Vom 11.-13.10.2005 führte CECODHAS in Brüssel die "Social Housing Week" also die "Woche des Sozialen Wohnungsbaus" durch. http://www.cecodhas.org



Europäische Wettbewerbsorientierung versus Sozialer Wohnungsbau

Die Aufweichung des Sozialen Wohnungsbaus in Europa erfolgt nicht nur durch eine Anpassung an die förderpolitischen Vorgaben, sondern viel direkter durch den Druck verschiedener EU-Richtlinien. Auf der Konferenz in Brüssel wurden drei Beispiele gegeben:

Arjien von Gijssel vom Verband des Sozialen Wohnungsbaus der Niederlande (AEDES) beschrieb eine Auseinandersetzung mit der Europäischen Kommission (die Regierungsebene der EU) um das niederländische Fördersystem im Wohnungsbau. Dieses - so die Argumentation der EU-Beamten - verstoße gegen die Wettbewerbsregeln der EU, weil bestimmte Wohnungsanbieter bevorzugt gefördert würden. Um diesen Konflikt zu verstehen, muss man die Struktur der sozialen Wohnungswirtschaft in den Niederlanden kennen, denn diese besteht aus öffentlich-privaten Wohnungsunternehmen, die unter dem Dach von AEDES bestimmte (soziale) Auflagen bei der Errichtung, Vergabe und Bewirtschaftung der Wohnungen einzuhalten haben. Als Gegenleistung erhalten diese Wohnungsunternehmen Steuererleichterungen, Darlehensgarantien und Beihilfen. Diese Konstellation ist das Resultat einer Umwandlung der kommunalen Wohnungsunternehmen in soziale Wohnungsbauträger, die formal jedoch als (halb)private Unternehmen gelten. Für private Unternehmen jedoch haben - so die Richtlinien der EU - die gleichen Wettbewerbsbedingungen zu gelten. Um diese Wettbewerbsregeln durchzusetzen, stellen die EU-Behörden inzwischen das gesamte System des Sozialen Wohnungsbaus in den Niederlanden infrage. Nur durch eine Intervention der niederländischen Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes ist die Angelegenheit vorläufig auf Eis gelegt.

In Österreich kollidieren Vorschriften zur Eindämmung des Zweitwohnungserwerbs in bestimmten Regionen mit der "Freizügigkeit des Kapitalverkehrs" im europäischen Binnenmarkt. Die österreichischen Behörden schränken - um die weitere Zersiedelung des Landes zu verhindern - den Kauf von Eigentumswohnungen ein, die lediglich als Zweitwohnsitze genutzt werden sollen. Jeder Wohnungskauf muss angezeigt und genehmigt werden. Der Europäische Gerichtshof sieht darin jedoch eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit beim Immobilienerwerb: Zwar sei die Erklärungspflicht beim Wohnungskauf keine Diskriminierung, doch müsse eine Güterabwägung zwischen den beiden Zielen Raumordnung und Wirtschaftsförderung erfolgen. Der Europäische Gerichtshof traf die Entscheidung dann gleich selbst und bewertete die Erklärungspflicht des Hauserwerbs als angemessen, nicht jedoch die behördliche Genehmigung. Damit wurde die österreichische Raumordnungspolitik durch die EU zu einem zahnlosen Tiger degradiert.

Auch Par Svanberg, Direktor des Mieterverbands in Schweden berichtet von einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Kläger in diesem Fall ist die European Property Federation (Bund Europäischer Eigentümer) - angeklagt ist die schwedische Regierung und sozusagen das Mietrechtssystem in Schweden. Um den Streit zu verstehen, auch hier ein kleiner Einblick in die schwedische Wohnungspolitik: Anders als in anderen Ländern gibt es in Schweden keinen Sektor des Sozialen Wohnungsbaus, in dem besondere Regeln gelten. Vielmehr wird versucht, über den hohen Anteil von kommunalen Wohnungen (über 55% des gesamten Wohnungsbestands) die allgemeine Mietentwicklung zu steuern. Dabei gelten die Mieten der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die als Non-Profit-Unternehmen keinen Gewinn erwirtschaften dürfen, als Orientierungspunkt. Die Mieten orientieren sich an der Kostenmiete, werden aber auf lokaler Ebene zwischen den städtischen Wohnungsunternehmen, der Stadtverwaltung und dem Mieterverband ausgehandelt. Die Mieten der privaten Wohnungsunternehmer dürfen diese vereinbarten Mieten um nicht mehr als 5% übersteigen. Und genau darin sieht die europäische Eigentümerlobby das Problem. Wegen einer angenommenen Unvereinbarkeit der Förderung der kommunalen Wohnungsunternehmen und den EU-Wettbewerbsregeln wurde vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Diskriminierung der privaten Eigentümer geklagt. Das Ergebnis steht noch aus. Die Grundlage der Klage wurde durch ein Gutachten von Ernst&Young geliefert - das ist dieselbe Unternehmensberatung, die mit ihrem Gutachten über die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften vor zwei Jahren die Privatisierungsstimmung in Berlin anheizte.

Diese Beispiele zeigen, welche wachsende Relevanz die EU auch für die Wohnungspolitik erlangt hat, und dass Europa-Skepsis allein nicht ausreichen wird, wenn die Reste einer sozialen Wohnungspolitik verteidigt werden sollen. Wohnungswirtschaft und Eigentümerverbände bewegen sich zunehmend routiniert auf der Europäischen Bühne - wie eine adäquate Vertretung von Mieterinteressen aussehen kann, ist bisher noch offen.

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