MieterEcho 313/Dezember 2005: Neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft

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Neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft

Das Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften trat Anfang September in Kraft

Hermann Werle

Immer wieder und allerorts wird es von den Lobbyverbänden der Industrie, den Beratergesellschaften und kürzlich vom Verein Berliner Kaufleute und Industrieller in die Öffentlichkeit getragen: "Der Staat taugt nicht zum Unternehmer!" Dahingegen mache die Privatwirtschaft nicht nur alles besser, sondern auch noch kostengünstiger. Öffentlich Private Partnerschaften (auch ÖPP oder Public Private Partnership und entsprechend PPP genannt) werden seit einigen Jahren als rettende Innovation dargestellt, wobei es der öffentlichen Hand zukommt, die finanziellen und politischen Risiken zu tragen. ÖPP dienen - wie "normale" Privatisierungen auch - der profitablen Erschließung neuer Verwertungsfelder.

Um den ÖPP Vorschub zu leisten und die Verabschiedung des Gesetzes zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften durchzupeitschen (siehe auch den folgenden Beitrag von Jutta Blume), stellten die Bundestagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bereits im Juli 2003 einen aufschlussreichen Antrag. In ihm wird deutlich, welche Bereiche der öffentlichen Infrastruktur privater Wirtschaft zugänglich gemacht werden sollen und er fordert zugleich auf, "die Chancen von ÖPP-Modellen in den verschiedenen Politikbereichen umfassender nutzbar zu machen." Vorrangig sollen ÖPP im Verkehrsinfrastrukturbereich, im Bereich des öffentlichen Hoch- und Tiefbaus, im Bereich von E-Government, im Bereich sozialer Dienste, im Verteidigungsbereich, im Forschungs- und Bildungsbereich und im Kulturbereich entwickelt werden. Zudem gelte es, "die rechtlichen Rahmenbedingungen für ÖPP zu überprüfen", d.h. das geltende Vergaberecht wie auch das Steuer-, Haushalts-, Kommunal- und Zuwendungsrecht den Erfordernissen der ÖPP anzupassen. Die wenig originelle, geschweige denn realistische Argumentation auch hier: "Mit ÖPP können öffentliche Leistungen nicht nur mit geringeren Kosten schneller und früher, sondern auch in höherer Qualität bereitgestellt werden."

Aufbrechen der "traditionellen Arbeitsteilung"

An anderer Stelle weist der Antrag auf den Kern der strukturellen Veränderungen hin, die mit den Partnerschaften politisch befördert und durchgesetzt werden sollen: "Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) sind ein wichtiger Baustein bei der Modernisierung unseres Staatswesens. Der Finanzierungsbedarf öffentlicher Haushalte auf der einen Seite, das hohe Leistungsniveau des Staates und der erhebliche Bedarf an modernen Infrastrukturen auf der anderen Seite zwingen dazu, über die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft neu nachzudenken." Mit der "Modernisierung des Staatswesens" und dem Aufbrechen der "traditionellen Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft" wurde vom rot-grünen Bündnis stichwortartig der weitergehende Abriss sozialstaatlicher Infrastruktur umrissen, wie ihn konservative und liberale politische Kräfte gemeinsam mit Industrie und Banken seit Jahren einfordern. Mit anderen Worten, der Staat soll sich auf "seine Kernaufgaben" beschränken, wozu an vorderster Stelle die Durchsetzung der außen- und innenpolitischen Rahmenbedingungen für die Entfaltung der freien Kräfte der Marktwirtschaft gehört. Dieser ordnungspolitischen Argumentation aus der Europäischen Kommission, der G 8 oder der Welthandelsorganisation, verhalf die rot-grüne Regierungspolitik ideologisch wie materiell zum endgültigen Durchbruch. Zum einen wird diese Politik in den Parlamenten und Massenmedien selten infrage gestellt, sodass sie weithin als alternativlos akzeptiert wird. Zum anderen wurden die kommunalen Haushalte durch massive Steuerausfälle in die allerorts zu beklagende Schieflage getrieben, was sich aufseiten der Unternehmen - insbesondere den transnationalen Konzernen - als ein Mehr an Gewinn niederschlug. Die Entwicklung in Deutschland folgt damit dem globalen Trend der Finanzarmut der öffentlichen Haushalte bei ansteigender Liquidität der Globalplayer wie Siemens, RWE, E.ON, BASF etc. und international agierender Banken und Investmentgesellschaften, die u.a. die kommunalen Wohnungsgesellschaften als Verwertungsfeld entdeckt haben. Die von der Regierung geschaffene Konstellation von "Sachzwängen" und "Haushaltslöchern" wird somit zum Anlass genommen, "über die traditionelle Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft neu nachzudenken." Stellt sich die Frage, was unter dieser veränderten Arbeitsteilung zu verstehen ist.

Gewinne für die Wirtschaft, Verluste für die öffentliche Hand

Das Verhältnis staatlicher zu privater Arbeitsteilung lässt sich so darstellen, dass die Gewinn versprechenden Wirtschaftsbereiche der privaten Wirtschaft vorbehalten sind, während jene, die keinen Profit oder sogar Verluste versprechen, oder auch jene mit immens hohem Investitionsbedarf, der öffentlichen Hand zufallen. Ausnahmen können Wirtschaftsbereiche darstellen, die durchaus profitabel sind oder sein können, aber deren Handeln und deren Gewinne unter staatliche Kontrolle fallen, oder die unabhängig davon dem Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge zugehörig sind. So gehörten bis zur Wende die Grundversorgung der Bevölkerung mit Wohnraum-, Wasser-, Strom-, und Gasversorgung, öffentlichem Nah- und Fernverkehr, Bildung, Universitäten, Abfallbeseitigung sowie Renten- und Sozialversicherungen etc. zu den Bestandteilen des im nationalen Rahmen geschützten westdeutschen Sozialstaatsmodells. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Entwicklung der weltwirtschaftlich organisierten Kapital- und Güterströme geriet dieses Modell in die Krise. Durch den Verwertungsdrang der Finanzmärkte werden in der aktuellen Phase die profitablen oder profitabel (unter anderem durch Stellenabbau) gemachten Segmente der öffentlichen Versorgung zu attraktiven Anlagesphären, d.h. sie werden kapitalisiert. Ihre Realisierung finden die Finanzanlagen in Form der allgegenwärtigen Privatisierungen oder ÖPP, die nichts anderes als die Enteignung gesellschaftlichen Eigentums darstellen. Hier geht es nicht um Daseinsvorsorge oder die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung, sondern schlicht um Profit.

Gerechte Risikoverteilung fraglich

Eine wahrnehmbare Opposition hat sich beim Gesetz zur Beschleunigung von ÖPP nicht finden lassen, wenngleich verschiedene Ausschüsse des Bundesrats die Gesetzesvorlage u.a. wegen der absehbaren Steuerausfälle bei den Kommunen ablehnten und auch einige Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen verhaltene Kritik äußerten: "Angesichts der schlechten Erfahrungen mit dem Toll-Collect-Vertrag, dem ersten großen ÖPP-Projekt im Verkehrsbereich, wäre das Parlament gut beraten gewesen, den Gesetzesentwurf intensiv zu diskutieren und erst dann zu verabschieden." Bemängelt wurde außerdem die fehlende Klarheit bei der Zuordnung und Verteilung der Risiken bei ÖPP. Fraglich sei, ob mit dem Gesetz tatsächlich "eine faire Risikoallokation zwischen Privaten und öffentlicher Hand" gewährleistet wäre. Wohl in der Hoffnung, dass es bei ÖPP um das Ausloben von Fairplay-Preisen geht, heißt es zum Ende der Erklärung in gewohnt grüner Konsequenz: "Trotz dieser Bedenken werden wir dem Gesetz zustimmen."

Der frühere Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Dr. Manfred Stolpe, könnte als Kronzeuge für das Debakel des Toll-Collect-Vertrags dienen. Die ÖPP bei dem elektronischen LKW-Mautsystem hat aufgrund der Verzögerungen durch die aufgetretenen technischen Mängel die Steuerzahler/innen bereits mit rund 2,5 Milliarden Euro belastet, während sich auf der privaten Partnerseite die Führung von DaimlerChrysler trotz der Pleite am steigenden Aktienkurs erfreuen konnte. Als wenn nichts gewesen wäre, verstärkte Stolpe mit der PPP Task Force dennoch seine Bemühungen, Toll Collect nicht zum Einzelfall werden zu lassen. Ganz in den Fußstapfen seines Vorgängers will offensichtlich Wolfgang Tiefensee als neuer Verkehrsminister weiter voranschreiten. Noch vor seinem Amtsantritt kündigte er Anfang November an, dem ÖPP-Modell hohe Bedeutung beimessen und verstärkt private Investoren für die Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur gewinnen zu wollen.

Die Grenzen von ÖPP

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßt das ÖPP-Beschleunigungsgesetz: "Die nächste Bundesregierung muss das Thema Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) schnell und umfassend voranbringen. Das aktuelle ÖPP-Gesetz ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Mehr aber leider nicht."

Zu den weitergehenden Kernforderungen des BDI gehören die "umfassende Durchsetzung einer neuen Privatisierungspolitik, in der ein grundsätzlicher Vorrang der echten Privatisierung besteht und PPP immer dann gebildet werden, wenn es um eine staatliche oder kommunale Aufgabenverantwortung geht, die zwar nicht delegiert, aber in Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft effizienter wahrgenommen werden kann oder die einer Bedarfsdeckung dient, die die öffentliche Hand finanziell überfordern würde und daher nur privatwirtschaftlich verwirklicht werden kann." Die Grenzen der glückseligen ÖPP macht der BDI genau dort aus, wo "in seinem Sinn vorteilhafte Unternehmungen" nicht möglich sind, nämlich dann, "wenn sich private Lösungen als ineffizient, unwirtschaftlich oder aus anderen Gründen als nicht durchführbar herausgestellt haben."

Dass sich für das Kapital die glückliche Situation einstellt, in Form von ÖPP eine staatliche Risikoabschirmung - wie sie ja auch aus dem Berliner Banken- und Wassergeschäft bekannt ist - gewährleistet zu bekommen, ist mittlerweile ebenso bekannt wie der Umstand, dass eine Schicht von höchst einflussreichen Beratern und ihren Beratungsgesellschaften herangewachsen ist. Die haben ÖPP natürlich längst als Geschäftsfeld entdeckt, wie der Donnerstagskreis der SPD im Nachwort seiner kleinen Schrift "Verdienen an leeren Kassen" aufzeigt und außerdem den antigewerkschaftlichen Charakter von ÖPP benennt: "ÖPP-Vorhaben besitzen für viele, die daran verdienen, viel Charme. (...) Chancen und Risiken müssen jedes Mal neu definiert werden. Und das erfordert viele Berater. Neben Banken und Baufirmen sind hier die Nutznießer dieses Finanzierungsmodells zu finden. Und wie ihre wirklichen Auftraggeber haben sie die Feinde ihrer Projekte ausgemacht. Landrat Walter (ÖPP-Vorantreiber aus Offenbach, H.W.), benennt die Feinde: Absurde Widerstände gäbe es dort, wo ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad vorhanden sei. Dort würden, so Walter, Begriffe wie ‚privat' und ‚Markt' stigmatisiert."

Dieser Hinweis des Landrats Walter sollte von Gewerkschaften und Konsument/innen dankbar aufgegriffen werden, denn er verweist auf die potenziellen gesellschaftlichen Kräfte, die den Verwertungsinteressen durch ÖPP entgegenstehen.


"Privatisierung und Liberalisierung im Bereich öffentlicher Dienstleistung schafft Gewinner/innen und Verlierer/innen auf unterschiedlichen Ebenen: Während bestimmte Nutzer/innengruppen von einer privatisierten Bildung oder Gesundheitsversorgung aufgrund gesellschaftlicher und ökonomischer Privilegien profitieren können, werden andere von bestimmten "Leistungen" ausgeschlossen. Während private Unternehmen und transnationale Konzerne verstärkt in informellen und intransparenten Prozessen Einfluss auf gesellschaftliche Aushandlungsprozesse erhalten, werden die Möglichkeiten öffentlicher, politisch definierter Kontrolle sowie demokratischer Einflussnahme zunehmend eingeengt.
Und während sich die Profite aus der Erbringung ehemals öffentlicher Dienstleistungen in den Kassen privater Anbieter akkumulieren, sehen sich Kommunen wachsenden Haushaltsdefiziten gegenüber. Die Durchsetzung der Privatisierungslogik im Bereich öffentlicher Dienstleistungen führt zum Prinzip 'Private Gain - Public Loss'."

Barbara Dickkaus, Kristina Dietz in rls standpunkte 11/2004

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