MieterEcho
Nr. 283 - Januar/Februar 2001

Genossenschaften - Clevere Alternative oder Krämerladen?

 

von Hermann Werle

Im Oktober letzten Jahres startete ein Zusammenschluss von 24 Berliner Wohnungsbaugesellschaften in Kooperation mit Stadtentwicklungssenator Strieder die Imagekampagne: "Genossenschaften - die clevere Alternative". Selbstformuliertes Ziel der Kampagne ist, " ... das genossenschaftliche Wohnen als Alternative gegenüber privaten und kommunalen Vermietern zu präsentieren." Die Kampagne soll der massiven Kritik von MieterInneninitiativen, Gewerkschaften, der PDS, den Grünen und Teilen der SPD an der Privatisierungswelle städtischer Wohnungsbaugesellschaften durch den Berliner Senat entgegenwirken.

Mit dem Ziel, sich der sperrigen, verwaltungsaufwendigen städtischen Einrichtungen zu entledigen, soll die Verantwortung den MieterInnen selbst gegeben und deren genossenschaftliches Engagement mit günstigen oder zinslosen Krediten gefördert werden. Bedeutet die Förderung von Genossenschaften durch den Senat in dieser Zeit des neoliberalen Sparzwangs, öffentliche Gelder für eine Organisationsform auszugeben, die Erinnerungen an sozialistische Ansätze weckt?

Strieder unter Sozialismusverdacht

Das Genossenschaftswesen blickt in Deutschland auf eine über hundertjährige Tradition zurück und ist eng verbunden mit den Kämpfen der Arbeiterbewegung um verbesserte Arbeits- und Reproduktionsbedingungen. Positive und negative Aspekte genossenschaftlicher Organisierung wurden von VertreterInnen in der Geschichte immer wieder diskutiert. Von Lenin stammt die Einschätzung: "Die Genossenschaft als kleine Insel in der kapitalistischen Gesellschaft ist ein Krämerladen. Die Genossenschaft ist jedoch Sozialismus, wenn sie die gesamte Gesellschaft umfasst, ..." (Lenin: Ausgewählte Werke, IV, S.320). Stadtentwicklungssenator Strieders Vision erinnert hingegen an Ideen englischer utopischer Sozialisten: "Genossenschaftliches Wohnen ist eine Tradition und ein Zukunftsmodell für die ganze Stadt." Zumindest in Berlin würde nach diesen Worten aus den Krämerläden eine sozialistische Perspektive. Friedrichshainer und Kreuzberger HausbesetzerInnen wären ihren Forderungen nach selbstbestimmtem und bezahlbarem Wohnen ein gutes Stück näher gekommen und Strieder wäre ihre schillernde Gallionsfigur.

Strieder, mit Finanzsenator Kurth einer der Vorkämpfer an der Berliner Privatisierungsfront, ,Seit an Seit' mit Marx, Lenin, Luxemburg und HausbesetzerInnen? Können wir etwa von einem Marxismus-Striederismus sprechen? Der Sozialismusverdacht ist vermutlich unbegründet. Und doch bleibt die Frage nach dem propagandistischen Rückgriff auf das sozialistisch "vorbelastete" Genossenschaftswesen im Raum stehen.

Der aktivierende Staat

Mit globalisierungsbedingten Sachzwängen begründen die gewählten Staats- und Kommunalpolitiker jede Kürzung öffentlicher Sozialausgaben, Reallohnsenkungen oder auch Privatisierungsmaßnahmen. Damit soll nicht nur die Verantwortung auf externe Einflüsse abgeschoben werden, sondern es wird gleichzeitig suggeriert, der Nationalstaat habe keinerlei Regulationsmöglichkeiten mehr, d.h. in dem Maße wie die Globalisierung zunehme, verliere der Staat an Macht und Bedeutung. Oberste Staatsaufgabe sei somit, durch Steuererleichterungen, Druck auf die Löhne, Verschlankung der öffentlichen Verwaltungen und dem Verkauf öffentlichen Eigentums das nationale Kapital im Lande zu halten und internationales Kapital anzulocken. Die sozialstaatliche Regulierung, die dort korrigierend eingreifen sollte, wo der freie Markt versagte, wird ersetzt durch ein neues Beziehungsgeflecht zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen. Staatliche Akteure treten dabei immer häufiger nur noch als Moderatoren auf, die unterschiedliche Interessen gesellschaftlicher Gruppen zusammenführen und deren Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation fördern.

Die Hoffnung ist, dass dieses neue Regulationsmodell, der "aktivierende Staat" wie ihn Bundeskanzler Gerhard Schröder nannte, einerseits in zunehmendem Maße mit den Verwertungsinteressen großer Kapitalgesellschaften korrespondiert und andererseits Eigenverantwortlichkeit bei der Bevölkerung hervorruft. (s. S. 16 f) Hierzu soll sie mit Hilfe von Ehrenämtern, Quartiersmanagement oder Programmen für Existenz- und Genossenschaftsgründungen aktiviert werden.

Vielleicht springt dabei auch das von Strieder vermisste "Engagement der Bewohner für ihre Wohnanlage und das Wohnumfeld" heraus.

Alternative oder Krämerladen?

Die Striedersche Vision des Genossenschaftsmodells verschleiert den skandalösen Ausverkauf sozialer Standards zugunsten von Kapitalgesellschaften. Die derzeit geförderten und imagepolierten eigentumsorientierten Genossenschaften sind ein qualitativer und vorerst unumkehrbarer Rückschritt gegenüber den bisherigen Wohnungsbaugesellschaften, was die Versorgung mit preisgünstigem Wohnraum und die Steuerbarkeit des Wohnungsmarktes betrifft. Sie sind dazu verdammt, ein kümmerliches Anhängsel des kapitalistisch regulierten Wohnungsmarktes zu sein, um dessen Förderung es bei der aktuellen Privatisierungsoffensive im Kern geht. Der Berliner Senat zieht sich aus der politischen Verantwortung und preist BürgerInnen dieser Stadt mit aufwendigen Imagekampagnen schlechte Politik unter dem Aufruf zur Eigenverantwortung an. Die Förderung ihres Engagements bedeutet im Falle der Genossenschaften in erster Linie Verschuldung, höhere Mieten, die Spaltung von Hausgemeinschaften in MieterInnen und GenossInnen und einen immensen bürokratischen Aufwand, der durch ehrenamtliche Tätigkeit bewältigt werden muss.

Ist die Genossenschaft also die clevere Alternative? Ganz sicher nicht! Die Genossenschaft bleibt im kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Umfeld das, was sie schon immer war, "ein Krämerladen, und keinerlei Änderungen, Vervollkommnungen, Reformen werden etwas daran ändern, dass sie ein Krämerladen ist. (Lenin: Ausgewählte Werke, IV, S.319)

Genossenschaftsinitiative Fraenkelufer

Bei jeder Gründung einer Genossenschaft will gut überlegt sein, wie und von wem die immense bürokratische Arbeit bewältigt werden soll. Der "aktivierende Staat" fordert den eigenverantwortlichen und ehrenamtswilligen Bürger. Viel Freizeit, starke Nerven, eine möglichst hohe Anzahl von MieterInnen, die Genossenschaftsanteile erwerben (mindestens 20%) und eine starke und solidarische Hausgemeinschaft sind folglich absolute Voraussetzung für Genossenschaftswillige, die den Sprung ins kalte Wasser wagen wollen. Darüber hinaus bleibt fraglich, wie lange eine eigentumsorientierte Genossenschaft ihre Stabilität erhalten kann. Satzungsgemäß ist die Möglichkeit der Umwandlung in Eigentumswohnungen festgeschrieben und viele werdende GenossInnen spekulieren vielleicht schon heute auf die Idylle in der neuen Eigentumswohnung.

Ob aus einer Initiative allerdings tatsächlich eine Genossenschaft hervorgehen kann, ist außerdem abhängig davon, ob, welche und in welcher Preislage Häuser von Wohnungsbaugesellschaften zum Verkauf an Genossenschaften angeboten werden. (Bei einer derzeitigen Kaltmiete zwischen 5 und 6 DM/m2 dürfte der Kaufpreis 800 bis 1000 DM/m2 nicht übersteigen, um das Mietniveau zu halten. Die Kosten für Kredite bei Sanierungsbedarf sind hierbei nicht berücksichtigt.) Nach einer vorsichtigen Anfrage der Kreuzberger Genossenschaftsinitiative Fraenkelufer an die GSW gab sich diese recht bedeckt. Von einem Preis um die 2.000 DM/m2 war die Rede und außerdem handele es sich in diesem Falle doch um sehr attraktive und sanierte Bestände mit einer ausgezeichneten Lage und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten müsse die GSW das Objekt eigentlich behalten. Diese Aussage entspricht auch den Vorgaben der beratenden Investitionsbank Berlin, wo sich der Passus findet: "Der Förderungsschwerpunkt soll in Gebieten mit besonderem städtebaulichen Entwicklungsbedarf liegen". Die Realität heißt also: Problembestand für Genossenschaften und die Sahnestückchen für den Großinvestor.

 

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