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Bundesverwaltungsgericht kippt Berliner Vorkaufsrechtpraxis

Von Rechtsanwältin Franziska Dams

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2021 zur Nichtigkeit des sogenannten Mietendeckels gibt es erneut schlechte Nachrichten insbesondere für Berliner Mieter/innen:

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 9. November 2021 (BVerwG 4 C 1.20) die in Berlin übliche Vorkaufsrechtspraxis von Grundstücken in Milieuschutzgebieten weitgehend gekippt.

Was war passiert? 

Im Geltungsbereich der sozialen Erhaltungsgebiete (Milieuschutzgebiete) räumt § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB den Bezirken ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken ein, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertigt. Wird dieses ausgeübt, führt dies dazu, dass der Bezirk selbst oder zu Gunsten eines Dritten (beispielsweise städtische Wohnungsgesellschaften oder Genossenschaften) Eigentum an dem Grundstück erwirbt. Um die Bezirke bei der Ausübung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten zu stärken, beschloss der Berliner Senat im Jahr 2017 die Entwicklung eines Leitfadens für die Ausübung des Vorkaufsrechts. Vorrangiges Ziel war dabei nicht die Ausübung des Vorkaufsrechts, sondern der Abschluss von sogenannten Abwendungsvereinbarungen mit den Käufer/innen. Diese sollten sicherstellen, dass auch ohne den Eigentumserwerb durch den Bezirk die Ziele der jeweiligen Milieuschutzverordnung nicht unterlaufen werden.

So verpflichteten sich die Käufer/innen beispielsweise ausdrücklich, auf bestimmte Nutzungen und Maßnahmen auf den Grundstücken zu verzichten. Hierzu zählte u. a. der Verzicht auf die ohnehin eingeschränkte Möglichkeit zur Umwandlung in Eigentumswohnungen aber auch der Verzicht auf die Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen wie beispielsweise den Einbau von Fahrstühlen. Als Gegenleistung verpflichteten sich die Bezirke auf die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verzichten und das erforderliche Negativzeugnis auszustellen. Abgesichert wurden die gegenseitigen Verpflichtungen durch die Vereinbarung von Vertragstrafen in Millionenhöhe.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Bezirk Friedrichshain zugunsten einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft das Vorkaufsrecht für ein Haus in einem Milieuschutzgebiet ausgeübt, nachdem die vom Bezirk angebotene Abwendungsvereinbarung abgelehnt worden war. Gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts wandte sich die so ausgebootete Käuferin und zog vor Gericht. Sowohl das Verwaltungsgericht Berlin als auch die nächst höhere Instanz - das Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg - sahen keine Anhaltspunkte dafür, an der Rechtmäßigkeit des ausgeübten Vorkaufsrechts zu zweifeln. Anders hingegen sah es das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, welches die Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung ausurteilte. Maßgeblich hierfür war dabei nicht die Frage, ab wann denn das Allgemeinwohl die Ausübung des Vorkaufsrechts rechtfertigt. Das Gericht beschäftige sich allein mit den Ausschlussgründen für die Ausübung des Vorkaufsrechts. Nach § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB kommt die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht in Betracht, wenn das Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut ist und bewohnt wird und dieses keine Missstände oder Mängel i. S. d. § 177 Abs. 2 und 3 BauGB aufweist. Entscheidend gehe es um die tatsächlichen Verhältnisse auf dem Grundstück und nicht um erhaltungswidrige Entwicklungen, die in Zukunft zu befürchten seien.

Und was nun?

Das Urteil wirkt sich nicht auf die bereits bestandskräftig ausgeübten Vorkaufsrechte aus. Diese Mieter/innen können also aufatmen. Problematisch können jedoch die Auswirkungen für die Abwendungsvereinbarungen sein, da sich die Rechtswidrigkeit der Vorkaufsrechtsausübung auf diese niederschlägt. Ob diese tatsächlich in Gänze nichtig und/oder kündbar sind, wird sich zeigen. Klar ist, dass durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts der Vorkaufspraxis enge Grenzen gesetzt wurden. Eine Ausübung wie bisher ist nicht mehr möglich. Für eine Stärkung des Vorkaufsrechts ist daher dringend eine Änderung des Baugesetzbuches erforderlich.

Der Berliner Senat hat beschlossen, beim Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB einzubringen. Es bleibt abzuwarten, ob der Antrag angenommen wird und ob die vorgeschlagene Änderung ihren angestrebten Zweck erfüllen kann.
 

Foto: Matthias Coers