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Urban 2000

Weltmeister Ulrich Pfeiffer oder der Leichtsinnsfehler

Ein Portät

 

Während noch der Istanbuler Habitat-Kongress den Beschluss gefasst hatte einen "Weltbericht" über die Lage der Städte von den Basis- und Bewohnervertretungen erarbeiten zu lassen, wird in Berlin nun über ein Papier verhandelt, das federführend von einem privaten Wirtschaftsforschungsinstitut namens empirica zusammengestellt worden ist. Dessen Gründer, Ulrich Pfeiffer, erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein besonders interessanter Vertreter der neuen Eliten der Deregulierung. Der studierte Volkswirt war in den endsechziger/ siebziger Jahren der junge liberale Vordenker der SPD und stark auf amerikanische marktwirtschaftliche Modelle fixiert.Pfeiffer gehörte in der SPD lange Zeit zu der Gruppe um den Bundestagsabgeordneten und baupolitischen Experten Peter Conradi und hat mit Berndt, Mühlbauer, Brockhoff und Disch Ende der siebziger Jahre das ökologische Grundsatzpapier (Disch auch das seinerzeit innovative stadtentwicklungspolitische Konzept "Wohnen+") der Partei erarbeitet. Pfeiffers Spezialität waren u.a. Konzepte zur aktiven Mittelstandsförderung, die er unter dem Signum des sozialen Wohnungsbaus anpries, indem er argumentierte, der private Hausbau draußen an der Peripherie trüge letztlich zur Entspannung der Marktlage in der Innenstadt und deren Qualifikation bei.Sein Ansatz war mit der Vorstellung von autarken Siedlungseinheiten für eine homogenisierte Käuferschicht verbunden, wie sie sich zeitgleich auch im amerikanischen New Urbanism durchzusetzen begannen und heute weltweit bis in die Sonderwirtschaftszonen Chinas hinein als "bewachte Gemeinschaften" zur Grundausstattung der aufgespaltenen Stadt gehören. Pfeiffer betrachtete ein möglichst geringes soziales Gefälle und einen ausgewogenen Kontext als wesentliche Garantien für soziale Kontrolle und Sicherheit der Nachbarschaften. Die gegen ursprüngliche Abrissabsichten vollzogenen Stadterneuerung des Kölner Stollwerck-Areals wurde zum wichtigsten Testfall und Erfahrungshintergrund dieses Programmes. Man kann die in diesem Zusammenhang realisierte Vorstadt-Community "Rheiner Hafen" als lupenreine Verkörperung jener "new urbanism"-Prinzipien begreifen. Gestützt und empirisch bestätigt durch das "Gelingen" jenes einen mikroräumlichen Feldexperimentes forcierte Pfeiffer im Laufe der 80er Jahre seine marktliberale Argumentation, wodurch er letztlich in Distanz zur damaligen SPD geriet.1968-1982 war Pfeiffer in verschiedenen Bundesministerien tätig, darunter auch im Wirtschaftsministerium, zuletzt als politischer Beamter Abteilungsleiter für Wohnungswesen im BMBau. Im BMBau-Nachfolgeministerium leitet er heute die Kommission "Zukunft Stadt 2000" und lässt sie zugleich von seiner empirica wissenschaftlich betreuen.Trotz seiner zeitweiligen Distanz zur generellen SPD-Politik, hat er auch nach Gründung jenes Marktwirtschaftsforschungsinstitutes als "Gesellschaft für Struktur- und Marktforschung" mit einflussreichen Kreisen der SPD ununterbrochen eng zusammengearbeitet. In diesem Zusammenhang ist nicht unwichtig, dass Pfeiffer, der sich gern selbst als "Dauerberater der Deutschen Bank" bezeichnet, Sprecher des "Managerkeises" der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ist. Dieser hat angeblich 1.000 Mitglieder und wird von der Stabsabteilung der Stiftung betreut. Pfeiffers Stellvertreter in dieser Funktion ist ein SPD-Genosse, Thilo Sarrazin, der ursprünglich aus dem Bundesfinanzministerium kommt und inzwischen Vorsitzender der Geschäftsführung der TLG Treuhand Liegenschaftsgesellschaft (Berlin) ist. Ein anderer wichtiger Verbündeter ist der "Gesamtverband der Wohnungswirtschaft" (GdW), er ist das grasse Gegenteil von dem, was Martin Wagner in der Weimarerer Republik mit der DEWOG als Trägerinstitution für den beginnenden sozialen Wohnungsbau gegründet hatte. Er fungiert nämlich als Dachverband der überwiegend ehemals gemeinnützigen, nun aber privaten Unternehmen. Präsident jenes Verbandes ist Jürgen Steinert, ehemals Mitarbeiter der Hamburger Behörde für Berufsbildung, der vom Hamburger Landesparteitag der SPD überraschend zunächst für den Posten des Bundesratssenators nominiert wurde. Später wurde er dann Wirtschaftssenator, bevor er sich, wie es hieß, "in die Privatwirtschaft" verabschiedete. Diese Redewendung belegt, dass der GdW längst als privatwirtschaftliche Institution betrachtet wird. Nicht verwunderlich fordert er "weniger Lenkung" auf dem Wohnungsmarkt, verlangt vom Staat aber, dass er sich um die in diesem Prozess anfallenden Bedürftigen kümmern solle. In Anwesenheit Steinerts hielt Pfeiffer 1998 in Braunschweig auf dem letzten Verbandstag der niedersächsischen und bremischen Wohnungswirtschaft die Festrede. Dort verbreitete er Erkenntnisse aus seinem Projekt "Überforderte Nachbarschaften", das er inzwischen im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" fortführt: "Ich solidarisiere mich jedenfalls mit dem Jugendlichen in Stendal, der rechtsextrem wählt und den Stimmzettel sozusagen als symbolischen Steinwurf nutzt." Er solidarisiere sich ebenfalls mit der Mieterin des Hochhauses in Düsseldorf, deren Nachbarn nur Ausländer sind und die "vor Wut kocht", weil ihr einstiges Wohnumfeld kaputt gemacht worden ist. Überforderung heißt im Klartext: "Das Boot ist voll".Der Geschäftserfolg von empirica beruht darauf, dass die Firma als Provokateur zu Diensten ist, wenn einflussreiche Leute irgendwo eine Bresche schlagen wollen, sich selbst aber im Hintergrund halten möchten. Pfeiffer selbst will diese Rolle intellektuell verstanden wissen und bezeichnet sich in diesem Sinne als "struktureller Polemiker". Die Kunstfertigkeit besteht darin, dass er einschließlich Sozialrhetorik einen breiten Kreis von an der Abwicklung gemeinnütziger Institutionen Interessierten bedient, ohne dass die geschäftlich beteiligten SPD-Seilschaften an seiner Loyalität zweifeln müssen. Scheinbar belegt durch harte Strukturdaten in Gestalt von "Sachzwängen", stellt empirica die große Umverteilung öffentlicher Besitzstände in private Hände immer wieder als objektive Modernisierungsnotwendigkeit dar. Auf dieser Linie befindet sich auch Pfeiffers letztes, bei der EVA erschienenes Buch, "Deutschland - Entwicklungspoltik für ein entwickeltes Land", in dem er über die "Realitätsverweigerung" der SPD schimpft. Offensichtlich aber hat er sich in seiner Rolle inzwischen ganz gut eingerichtet: Am Ende der Verlagsankündigung heißt es: "Ulrich Pfeiffer lebt in Bonn, Berlin, London und in der Provence." Infolge von entsprechenden Aufträgen der Friedrich-Ebert-Stiftung und vor allem der Bundesforschungsanstalt für Landes- und Regionalplanung (BfLR) richtet er sein Tätigkeitsspektrum auf immer komplexere und zunehmend makroräumliche Zusammenhänge aus. Von der Stadterneuerung (siehe Stollwerck-Areal) gelangte er mit Studien zur Entwicklung der Peripherien bzw. der Stadt in der Region zu höher aggregierten sozialräumlichen Konfigurationen - um schließlich als Protokollant und Berichterstatter von drei urban-21-Regionalkonferenzen mit dem maßgeblich von empirica verfassten "Weltbericht" gewissermaßen zum "master of the universum" zu avancieren.Hinsichtlich seiner governance-Prinzipien und ,zivilgesellschaftlichen' Moderationserfahrungen, kann Pfeiffer auf mehrere Jahre Mitgliedschaft in der Lenkungsgruppe des Berliner "Stadtforums" zurückgreifen. Ohne Zweifel ist das vielfach gefeierte Instrument "Stadtforum", das sich regelmäßig auf die flachen Hierarchien der Runden Tische zu berufen pflegte, ein wesentlicher Ausgangspunkt für das im vorliegenden "Weltbericht" idealisierte Zentralgestirn good governance. Vermutlich ist Pfeiffer von der Vorstellung geleitet, das Berliner Großexperiment einer schlagartig deregulierten urbanen Landschaft könne weltweit als best practise für Globalisierungscrashs empfohlen werden. Zur Erinnerung: Das "Stadtforum" war anlässlich des "Urknalles" der unvermittelten Wiedervereinigung durch Senator Volker Hassemer eingerichtet worden. Das aus verschiedenen symbolischen Repräsentanten einer angenommenen Zivilgesellschaft - "Expertenbänken", "Querdenkern" und institutionalisierten "Zwischenrufern" (Pfarrer Duntz gab die Rolle) - konstruierte und theatralisch inszenierte Gremium hatte eine Doppelfunktion. Einerseits ermöglichte es der Verwaltung, angesichts der tiefgreifenden Regellosigkeit des weltweiten Handels mit vor allem Ostberliner und Brandenburger Liegenschaften, einigermaßen politisch beraten und regierungsfähig zu bleiben, und auf der anderen Seite schätzte die Fachöffentlichkeit das Forum zumindest wegen der hier erhältlichen Informationen. Zwar konnte von der gepriesenen Transparenz der Deals und Planungen keine Rede sein, doch konstituierte das vierzehntäglich stattfindende Ritual tatsächlich etwas wie ein diskursives Berliner Subjekt, das sich bemüht einen Willen zu artikulieren. Hard Walter Hämer beschrieb das seinerzeit so: "Jetzt weiß ich, warum es mich immer wieder zum ‚Stadtforum' zieht: Hier werden wenigstens alle diese Ungeheuerlichkeiten ausgesprochen, die so merklich im Schwange sind. Man muss einfach hierher, um es mit eigenen Ohren zu hören."Besonders faszinierend war es Ulrich Pfeiffer zuzuhören, wenn er Berlin seine Zukunft vorrechnete. Er hatte die Leitgedanken des Stadtforums formuliert und den Anspruch erhoben: "Politik sollte vorab, natürlich nach gründlicher öffentlicher Diskussion, [den Weg] festlegen und den privaten Investoren, den Planern und Architekten als Vorgabe Rahmenbedingung setzen ... [das heißt], die Hierarchie von Straßen und Plätzen, die wesentlichen Dichteerscheinungen, die Entscheidung über Baumassen, Blockgrößen oder die Ausnutzung von Blöcken politisch vorgeben." Dies zu bewerkstelligen war empirca vor allem verantwortlich für die Ermittlung des Gewerbeflächenbedarfes und verkalkulierte sich auf Grund von Mehrfachzählungen der jeweils mehrere Maklerbüros kontaktierenden Investoren gleich um eine Million Quadratmeter, die in "Dichteerscheinungen" als Projekt und in politischen Vorgaben zum Flächennutzungsplan wurden. "Leichtsinnsfehler" nannte Pfeiffer das bereits 1994 und sprach selbstkritisch davon, dass man in der "Euphoriephase" die Aufnahmefähigkeit der Märkte überschätzt hätte.1 Die Zuhörer von damals erinnern sich noch gut, dass die empirica-Expertisen, die Berlin über das strategische Instrument von metropolitanen Großinvestionen zur "global city" und damit zu einem Wettbewerbsgewinner machen wollten, schon damals nicht unwidersprochen geblieben waren. Während Pfeiffer seinerzeit von einem kurzfristigen Bevölkerungswachstum auf mehr als vier Millionen Einwohner im Jahr 2000 sprach (und damit den Bau der "Neuen Städte" Wasserstadt, Karow, Französisch-Buchholz et alia initierte), dämpfte Eberhard von Einem diese Art Erwartungen mit dem Hinweis auf langfristig austarierte Standortkonkurrenzen im deutschen Städtenetz. Berlin könne im Zuge der Deindustrialisierung unmöglich Zuwächse erzielen, denn die für Tertiärisierung anfälligen weichen Standortfaktoren würden weiterhin Städte wie München, Hamburg und selbst noch Stuttgart begünstigen. Wenn Berlin überhaupt Migrationsgewinne zu gewärtigen habe, dann nur durch ein "Polonisierungsszenario" über den EU-Beitritt des Nachbarlandes - ließ von Einem immerhin schon 1991 vernehmen.Gerade die geringe Beachtung makroökonomischer Bewegungen und struktureller Wechselwirkungen machte Pfeiffer auch als vom Bund beauftragter Evaluierer von ostdeutschen Kommunen wie Leipzig in fortgeschrittener Instanz immer ratloser. Zunächst hatten die ostdeutschen Städte seinen Empfehlungen zufolge voll auf den Ausbau ihrer interregionalen Wettbewerbsfähigkeit gesetzt und um die Wette die immer selben Gewerbeparks, Vorstädte und großkörnigen innerstädtischen Büro- und Kaufhauscluster ausgewiesen, was im Gegenteil aber zu einer Art substanzauflösender Selbstkonkurrenz führte. Der Neubauzuwachs "killte" unversehens mehr als die Hälfte des Altbestandes und Kleinhandels. Der Wettbewerb um auswärtige Investitionen zerstörte die endogenen Potentiale. Auch der Exodus der Innenstadtbevölkerung (infolge modernisierungs- und spekulationsbedingter Preisentwicklung sowie gefördertem Eigenheimbau an den Peripherien) führte zu extrem schrumpfenden Bevölkerungszahlen. Statt etwa ihre seit Jahrhunderten tradierte innerstädtische Messe als nachhaltigen Standortvorteil zu betrachten, entschied sich die auf Wettbewerb mit Hannover orientierte Stadt Leipzig für den Neubau eines Messeplatzes auf der grünen Wiese - zweifellos eine der spektakulärsten Weltarchitekturen ihrer Zeit. Aber Hannover hatte ja die Expo in der Tasche. Heute nun liegt diese Neue Messe als gestrandetes Raumschiff in der Leipziger Tiefebene und man könnte die gefiederten Bewohner der nahegelegenen Müllkippe für lauernde Pleitegeier halten.Im ganzen "Weltbericht" kommen schrumpfende Regionen (mit demographischen Effekten wie sonst nur nach Kriegen) oder von den Zentralregierungen aufgegebene Städte wie Odessa (eine Fähre verlässt pro Woche noch den einst wichtigsten Zivilhafen am Schwarzen Meer) - nicht vor. Das es evidentermaßen auch Verliererschicksale geben könnte, wo Wettbewerb allein bestimmt und dass als Entrepreneure betrachtete Städte schlicht auch "krachen" können - diese Nachricht wird empirica uns wie im Fall des Berliner "Leichtsinns" vielleicht in vier Jahren überbringen. Bis dahin ist einfach Vorsicht geboten: "Cities should definititly not believe in a Berlin-Deklaration since the meeting place istself prooved to be a case of wrong-practise." Oder anders - trau keinem Propheten aus Berlin.1 - Ulrich Pfeiffer, Viele Projekte - wenig Informationen. Risikomarkt Berlin?, StadtforumJournal, Nr. 17, November 1994