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Mietrecht

Urteile

Politisches Transparent der Mieter/innen an der Fassade

Der Vermieter kann im Einzelfall verpflichtet sein, die Aufhängung von Transparenten mit politischen Meinungsäußerungen an Balkonbrüstungen zu dulden.

AG Neukölln, Urteil vom 09.01.2018 – AZ 10 C 344/17 –

Infolge der Kündigung des Kiezladens „Friedel 54“ durch den damaligen Vermieter im Jahr 2015 hängten die Mieter/innen einer Wohnung im 1. Obergeschoss des Hauses ein 4 Meter breites und 1,50 Meter hohes Transparent mit der Aufschrift „Friedel54/M99/Rigaer/Köpi/Potze/Koze Wir bleiben alle! Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten“ an ihrer Balkonbrüstung auf. Nach dem Verkauf des Hauses im Jahr 2016 forderte der neue Eigentümer die Mieter/innen im Juli 2017 unter Androhung der Kündigung auf, das Plakat zu entfernen. Dieser Aufforderung kamen die Mieter/innen nach, verklagten jedoch anschließend den Vermieter auf Duldung eben jenes Transparents an der Balkonbrüstung. Das Amtsgericht gab den Mieter/innen Recht und verurteilte den Vermieter zur Duldung. Es sei im Einzelfall zu entscheiden, ob das Aufhängen eines derartigen Plakats noch dem „vertragsgemäßen Gebrauch“ der Mietsache entspreche. Dies erfordere eine Abwägung zwischen den Interessen des Eigentümers hinsichtlich optischer oder substanzieller Einwirkungen auf das Gebäude oder den Hausfrieden einerseits und dem Recht der Mieter/innen auf freie Meinungsäußerung andererseits. Das Gericht sah hier ein Überwiegen der Interessen der Mieter/innen. Insbesondere sei mit der Räumung des Ladens „Friedel54“ der Anlass für das Plakat mit der Meinungskundgabe der Mieter/innen nicht entfallen, sie wollten erkennbar auf soziokulturelle Veränderungsprozesse in einem breiteren Zusammenhang hinweisen, für welchen die Räumung in ihrem Haus ein Beispiel sei. „Die Solidarisierung mit Anliegen von Mietergemeinschaften und die Auseinandersetzung mit allgemeineren Entwicklungen im Immobilienmarkt im Wege der Meinungsäußerung am Mietobjekt“ sei einem Mieter „nicht generell verwehrt“ . Der Text des konkreten Transparents sei sachlich und „frei von strafbaren oder sittenwidrigen Äußerungen“ und nenne auch keine konkrete Person, insbesondere nicht den Vermieter. Auch sonstige „Eigentümerinteressen“ des Vermieters würden nicht schwerwiegend beeinträchtigt. Insbesondere bliebe die Bausubstanz durch die Befestigung mit Schnüren unberührt und auch die optische Wirkung auf das Gebäude spreche hier nicht gegen die Aufhängung des Transparents, da sich dieses in die fleckige und mit großflächigen Graffiti versehene Fassade durchaus einfüge. Da sich andere Mieter/innen nicht über das Plakat beschwert hatten, sei auch keine Störung des Hausfriedens erkennbar.

 

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Lukas Theune