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Mietrecht

Urteile

Nachträgliche Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung nach Rückgabe

Nimmt ein Vermieter nach Kündigung eines Mietverhältnisses bis zum Ablauf der gerichtlich vereinbarten Räumungsfrist über einen langen Zeitraum ohne Einwand Zahlungen des Mieters in Höhe der bisher geschuldeten Miete entgegen, kann er nicht nachträglich zusätzliche Nutzungsentschädigung in Höhe der doppelten Miete verlangen.

LG Berlin, Urteil – AZ 66 S 7/19 –

Eine Vermieterin kündigte ihren Mietern im Juli 2014 wegen (von den Mietern bestrittenen) Zahlungsrückständen fristlos. Mit Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 08.12.2015 wurden die Mieter zur Räumung verurteilt, es wurde ihnen eine Räumungsfrist bis zum 30.04.2016 gewährt. Auf die Beschwerde der Vermieterin verkürzte das Gericht die Räumungsfrist bis zum 31.03.2016, eine weitere Verkürzung lehnte es mit der Begründung ab, dass es keine Hinweise gäbe und von der Vermieterin auch nicht geltend gemacht werde, dass die Beklagten „die laufende Nutzungsentschädigung in Höhe der bisherigen Miete nicht oder nicht vollständig“ zahlen. Nachdem die Mieter gegen das Urteil Berufung eingelegt hatten, verständigten sich Vermieterin und Mieter in der Berufungsverhandlung am 21.09.2016 auf eine weitere Räumungsfrist bis zum 28.02.2017. Die Vermieterin verzichtete insoweit noch im Verhandlungstermin auf die Einlegung von Rechtsmitteln. Die Mieter räumten und übergaben am 28.02.2017 die Wohnung. Bis dahin hatten sie die vertraglich vereinbarte Miete von monatlich 773,86 Euro an die Vermieterin gezahlt, höhere Zahlungen hatte die Vermieterin bis dahin nicht verlangt. Mit ihrer Klage vom 29.12.2017 machte die Vermieterin Nutzungsentschädigung in Höhe von 39.494,11 Euro für den Zeitraum vom 11.07.2014 bis 28.02.2017 geltend. Sie behauptete, die Marktmiete bei Neuvermietung für die Wohnung betrüge 2.021,89 Euro, die Differenz zur gezahlten bisherigen Miete in Höhe von 1.248,03 Euro monatlich müssten die Mieter zusätzlich zur gezahlten Miete entrichten. Das Amtsgericht wies die Klage ab, die Berufung der Vermieterin hatte keinen Erfolg. Das Landgericht Berlin ließ dabei offen, ob der Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.01.2017, AZ: VIII ZR 17/16) zu folgen ist, dass im Falle einer geschuldeten Nutzungsentschädigung nicht die ortsübliche Vergleichsmiete sondern eine „Marktmiete“ (also die bei Neuabschluss eines Mietvertrags ortsübliche Miete) maßgeblich sein soll. Jedenfalls verstoße die nachträgliche Geltendmachung einer höheren als der von den Mietern über Jahre entgegengenommenen Nutzungsentschädigung in Höhe der bisherigen Miete gegen das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben. Die Vermieterin habe ihren Zahlungsanspruch, selbst wenn dieser dem Grunde nach bestanden haben sollte, erstmals knapp drei Jahre nach Beendigung des Mietverhältnisses geltend gemacht. In dieser Zeit hatten die Vertragsparteien den vorangegangenen Räumungsprozess geführt. Im Rahmen der Streitigkeiten um die Räumungsfrist hatte sich das Landgericht Berlin ausdrücklich auf die regelmäßige Zahlung von „Nutzungsentschädigung in Höhe der bisherigen Miete“ bezogen, ohne dass die Vermieterin in diesem Zusammenhang oder zu einem anderen Zeitpunkt während des Rechtsstreits angedeutet hätte, dass sie eine höhere Nutzungsentschädigung geltend machen will. Spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 21.09.2016 hat die Vermieterin nach Auffassung des Landgerichts zu Gunsten der Mieter einen „Rechtsschein dahingehend gesetzt, dass in dem zu dieser Zeit schon seit mehr als 3 Jahren praktizierten Streit- bzw. Abwicklungsverhältnis eine gänzlich andere (bedeutend höhere) Nutzungsentschädigung, als sie laufend gezahlt wurde, nicht geltend gemacht werden sollte“ . Sie hatte nämlich hinsichtlich der (weiteren) Verlängerung der Räumungsfrist um mehr als fünf Monate auf jegliche rechtliche Überprüfung verbindlich verzichtet. Dass die Mieter, die im maßgeblichen Zeitraum über durchschnittlich weniger als 2.000 Euro im Monat verfügten, an einem weiteren Verbleib in der Wohnung festgehalten hätten, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass sie dadurch ihre monatlichen Zahlungsverpflichtungen nahezu verdreifachen würden, sei „gänzlich lebensfremd“ . Auf den von der Vermieterin gesetzten Rechtsschein, dass sie lediglich die tatsächlich gezahlte Nutzungsentschädigung in Höhe der vorherigen Miete beanspruchen will, durften die Mieter nach Auffassung des Landgerichts auch vertrauen.