Mietrecht
Urteile
Kündigung wegen Pflichtverletzung im Zusammenhang mit Modernisierungsmaßnahmen
2. Der Vermieter ist nach dem vertraglichen Rücksichtnahmegebot (§ 241 Abs. 2 BGB) verpflichtet, bei der Planung und Durchführung von Baumaßnahmen auf den konkreten betroffenen Mieter und dessen gesundheitliche Belange Rücksicht zu nehmen.
3. Soll eine Baumaßnahme in einer Weise durchgeführt werden, die zu erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters führt, ist gemäß § 559d Satz 2 Nr. 3 BGB eine Pflichtverletzung des Vermieters zu vermuten.
(Leitsätze der Redaktion MieterEcho)
LG Berlin II, Urteil vom 22.10.2024 – AZ 65 S 139/24 –
Quelle: juris
Der zu diesem Zeitpunkt 82-jährige Mieter eines Reihenhauses im Wedding, welches er – zunächst mit seinen Eltern – seit seiner Geburt bewohnt, erhielt mit Schreiben seiner Vermieterin vom 12. Juli 2018 die Ankündigung umfangreicher Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten. Die Miete sollte sich laut der Ankündigung nach Abschluss der Arbeiten um 1.360,19 Euro erhöhen. Die Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin verurteilte ihn am 21. Dezember 2021 zur Duldung der Arbeiten sowie dazu, den von der Vermieterin beauftragten Handwerkern nach entsprechender Ankündigung von Montag bis Freitag zwischen 7.00 Uhr und 18.00 Uhr Zugang zur Wohnung zu gewähren.
Mit Schreiben vom 20. Juli 2023 kündigte die Vermieterin den Beginn der Arbeiten für den 4. September 2023 an und forderte den Mieter auf, innerhalb von 2 Wochen zu erklären, dass er die Wohnung fristgemäß räumen und für Baufreiheit sorgen werde. Aufgrund des Umfangs der Baumaßnahmen sei eine Bewohnbarkeit der Immobilie nicht gegeben. Der Mieter antwortete, dass er zur Duldung und Zutrittsgewährung, jedoch nicht zur Räumung und Schaffung von Baufreiheit verurteilt worden sei. Außerdem erhob er den Einwand der Härte unter Hinweis auf schwerwiegende Erkrankungen. Die Vermieterin bot 2 Ausweichwohnungen in 8 km bzw. 18 km Entfernung an und beharrte auf dem Auszug des Mieters. Nach entsprechender Abmahnung kündigte sie dem Mieter mit anwaltlichem Schreiben vom 5. Oktober 2023 fristlos.
Das Amtsgericht Wedding verurteilte den Mieter am 22. April 2024 zur Räumung mit einer Räumungsfrist von drei Monaten.
Die Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin hob das Urteil auf die Berufung des Mieters auf und wies die Räumungsklage der Vermieterin ab. Zwar könne die Verletzung der Pflicht des Mieters, Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten zu dulden, eine Kündigung rechtfertigen. Die Voraussetzungen hierfür lägen jedoch in diesem Fall nicht vor. Der im Gesetz verwendete Begriff der „Duldung“ beinhalte schon seinem Wortsinn nach kein aktives Tun, sondern beschränkt sich auf ein passives Zulassen. Als Mitwirkung schulde der Mieter lediglich, dem Vermieter bzw. den von diesem beauftragten Personen den Zutritt zu ermöglichen. Eine Verpflichtung, die Wohnung zu verlassen und in eine Ersatzwohnung zu ziehen, komme lediglich ausnahmsweise in Betracht, wenn z. B. Erhaltungsmaßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders durchgeführt werden können. Der Aufforderung der Vermieterin, die Wohnung fristgemäß zu räumen und für Baufreiheit zu sorgen, fehle daher die rechtliche Grundlage.
Anhaltspunkte für eine Baufälligkeit ergäben sich weder aus den Ankündigungen der Vermieterin, noch aus ihren Schriftsätzen. Ebenso wenig enthielten diese sonstige Gründe, weshalb das Haus während der angekündigten Baumaßnahmen nicht bewohnbar sein sollte. Dass es für die Vermieterin komfortabler wäre, ein unbewohntes Haus zu sanieren, begründe keinen solchen Anspruch gegen den Mieter. Die Vermieterin habe zudem ganz grundlegend übersehen, dass das Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB sie verpflichtet, bei der Durchführung von Baumaßnahmen auf die Rechte und Interessen des Mieters, insbesondere auch auf dessen besondere Lebensumstände und Belange, Rücksicht zu nehmen. Im Rahmen dieser Rücksichtnahmepflicht habe sie bei der Planung und Durchführung der Arbeiten auf die gesundheitlichen Belange ihres 85-jährigen Mieters Rücksicht zu nehmen; dies unabhängig davon, ob der Mieter gegen die Maßnahmen rechtzeitig innerhalb der Frist des § 555d Abs. 3 BGB einen Härteeinwand erhoben habe. Es verstehe sich in diesem Zusammenhang von selbst, dass im Rahmen der Planung und Ausführung baulicher Maßnahmen jeweils unterschiedliche Belange zu berücksichtigen und Optionen in Erwägung zu ziehen sind. Für das Landgericht war daher klar, dass die Vermieterin in dem hier zu betrachtenden Kontext Pflichten aus dem Mietverhältnis verletzt hat, nicht aber der Mieter.