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Mietrecht

Urteile

Kündigung wegen Eigenbedarfs I

1. Ob bei einem entfernteren Verwandtschaftsverhältnis das erforderliche Gewicht der sozialen Verantwortlichkeit vorliegt, die ein kündigender Vermieter für die konkrete Bedarfsperson wahrnehmen möchte, kann zweifelhaft erscheinen.
2. Das bloße Bedürfnis einer Bedarfsperson, eine bestimmte Wohnlage nicht (mehr) wertzuschätzen und eine andere Wohnlage attraktiver zu finden, dürfte das erforderliche Gewicht für rechtserheblichen Eigenbedarf nicht erreichen.

AG Tempelhof-Kreuzberg, Urteil vom 20.09.2019 – AZ 13 C 80/19 –
LG Berlin, vom 21.10.2020 – AZ 66 S 123/20 –

Mitgeteilt von Rechtsanwältin Petra Hannemann

Der Vermieter einer ofenbeheizten Dreizimmerwohnung in der Bergmannstraße kündigte der dort seit 1990 lebenden Mieterin wegen angeblichen Eigenbedarfs. Er machte geltend, dass er seine Stieftochter dort einziehen lassen wolle. Diese wolle nicht weiter in ihrer ebenfalls dem Vermieter gehörenden 60 qm großen Wohnung in „biederer Lage“ in Charlottenburg wohnen, sondern in den „angesagteren“ Bergmannkiez ziehen. Die Mieterin bezweifelte und bestritt den behaupteten Eigenbedarf unter anderem deshalb, weil der Kläger sich bereits seit längerem bemüht hatte, das Mietverhältnis zu beenden und die Mieterin bei jeder Mängelanzeige aufgefordert hatte, sie solle doch ausziehen. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wies die Klage nach Vernehmung der Stieftochter des Vermieters ab, da es nicht von der Ernsthaftigkeit des angeblichen Eigennutzungswunsches des Vermieters überzeugt war. Auf die Berufung des Vermieters stellte auch das Landgericht in seinen Hinweisen an den Vermieter klar, dass seine Klage keinen Erfolg haben dürfte. Das Landgericht gehe davon aus, dass der Begriff des „Familienangehörigen“ in § 573 BGB eng auszulegen sei. Bei einem entfernteren Verwandtschaftsverhältnis (wie hier zum Beispiel zu einer Stieftochter) könne es bereits zweifelhaft erscheinen, ob dieses das erforderliche Gewicht der sozialen Verantwortlichkeit begründe, welche der kündigende Vermieter für eine solche entferntere Verwandte wahrnehmen möchte. Es wäre insoweit bereits erläuterungsbedürftig, „welche genauen familienrechtlichen Beziehungen (durch wann geschlossene Heirat etc.) zu welchem Zeitpunkt“ zwischen dem Vermieter und der Stieftochter überhaupt bestanden haben und bestehen. Zudem hatte das Landgericht Zweifel, ob hier „ernst zu nehmende und objektiv gewichtige Gründe“ vorlagen. „Das bloße Bedürfnis, eine bestimmte Wohnlage nicht (mehr) wertzuschätzen, und eine andere Wohnlage attraktiver zu finden, dürfte das erforderliche Gewicht für rechtserheblichen Eigenbedarf nach § 573 BGB nicht erreichen“. Der Vermieter hat seine Berufung nach diesen  Hinweisen des Gerichts zurückgenommen.