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Mietrecht

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Kommentar von Rechtsanwalt Henrik Solf - Ordentliche Kündigung ohne Abmahnung wegen schuldhafter nicht unerheblicher Vertragsverletzung

Von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt hat der Bundesgerichtshof (BGH) im November letzten Jahres ein Urteil verkündet, das wohl zumindest langfristig das Wohnraummietrecht erheblich verändern wird. Es ging dabei in erster Linie um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Vermieter einen Wohnraummietvertrag ordentlich kündigen kann.

Die Einzelheiten des Sachverhalts wurden bereits im MieterEcho Nr. 327 vom April 2008 ausführlich dargestellt (siehe auch Urteil). Hier nur eine kurze Zusammenfassung: Ein Mieter zahlte über zehn Monate grundlos Miete und Nebenkostenvorauszahlungen unvollständig. Nachdem der Vermieter den Mietvertrag im September 2005 fristlos und vorsorglich noch fristgemäß gekündigt hatte, glich der Mieter im Oktober 2005 den Rückstand unter Vorbehalt aus. In den beiden folgenden Monaten entstanden wieder Mietrückstände, die der Mieter unter Vorbehalt wieder ausglich. Von Januar 2006 an zahlte der Mieter regelmäßig – jedoch unter Vorbehalt – die Miete.

Leitsatz des BGH

Die ordentliche Kündigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum durch den Vermieter wegen schuldhafter nicht unerheblicher Vertragsverletzung des Mieters (§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) setzt nicht eine Abmahnung des Mieters durch den Vermieter voraus. Allerdings kann der Abmahnung für die Kündigung ausnahmsweise insofern Bedeutung zukommen, als erst ihre Missachtung durch den Mieter dessen Vertragsverletzung das für die Kündigung erforderliche Gewicht verleiht. BGH, Urteil vom 28. November 2007 Aktenzeichen VIII ZR 145/07

Unterschiede im Mietrecht

Das Mietvertragsrecht unterscheidet zwischen der fristlosen (außerordentlichen) und der fristgemäßen (ordentlichen) Kündigung. Die Regelungen zur ordentlichen Kündigung eines Wohnungsmietvertrags finden sich in § 573 BGB im Abs. 1: „Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.“ Und im Abs. 2 steht: „Ein berechtigtes Interesse des Vermieters (…) liegt insbesondere vor, wenn 1. der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat (…).“
Die fristlose Kündigung war in dem vom BGH entschiedenen Fall wegen des Ausgleichs des Mietrückstands gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB „geheilt“ worden. Für Juristen stellt allerdings eine Zahlung unter Vorbehalt keine endgültige Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung dar. Eine Rechtfertigung für den wiederholten Vorbehalt des Mieters war nicht erkennbar. Somit stellte sich die Frage, ob zumindest die fristgemäße Kündigung wegen Vertragsverletzung wirksam war.

Warnung in Gestalt einer Abmahnung

Eine Abmahnung war der Kündigung nicht vorausgegangen. Die Erforderlichkeit einer solchen Abmahnung für die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung war in der Rechtsprechung und der Literatur lange Zeit Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen. Überwiegend war man der Ansicht, dass die ordentliche Kündigung eines Vermieters gemäß § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB eine Abmahnung voraussetzt. Die Vertreter dieser Position hielten dies insbesondere angesichts der schweren Kündigungsfolgen (Verlust der Wohnung) für erforderlich. Ein gegenteiliger Rechtsentscheid des OLG Oldenburg aus dem Jahre 1991 änderte daran nichts. Daher waren Vermieter mit der ordentlichen Kündigung eines Mietvertrags vor Gericht nur selten erfolgreich, wenn die gleichzeitig erklärte fristlose Kündigung abgelehnt wurde. Außer bei schweren Vertragsverstößen wurde wie bei einer fristlosen Kündigung regelmäßig eine Abmahnung vorausgesetzt. Eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs konnte im Notfall noch durch die Nachzahlung des Rückstands aus der Welt geschafft werden. Dies hatte den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass einer Kündigung regelmäßig die Warnung in Gestalt einer Abmahnung voraus- ging. Spätestens diese Erklärung veranlasste viele betroffene Mieter, sich in der Angelegenheit beraten zu lassen und ihr Verhalten kritisch zu überprüfen.

BGH: Keine Abmahnung laut Gesetz erforderlich

Mit seinem Urteil vom 28. November 2007 beendete der BGH jedoch diese Praxis. In seiner Begründung beschränkte sich der VIII. Zivilsenat in seltener und bemerkenswerter Klarheit auf die Auslegung des Gesetzestexts. Aus diesem lasse sich, so die Richter, die Notwendigkeit einer Abmahnung nicht ableiten. Auch der Systematik des Gesetzes seien Hinweise für die Erforderlichkeit einer Abmahnung nicht zu entnehmen. Für die fristlose Kündigung sei unter anderem in § 543 BGB ausdrücklich geklärt, wann zunächst eine Abmahnung zu erfolgen habe – und in den anderen Fällen eben nicht. Diese Situation sei dem Gesetzgeber bewusst gewesen. Der Streit um dieses Problem habe schon vor der Mietrechtsreform 2001 bestanden. Dennoch habe der Gesetzgeber ausdrücklich keinen Änderungsbedarf gesehen. Zudem setze die ordentliche Kündigung nicht nur die Pflichtverletzung des Mieters, sondern auch sein Verschulden voraus. Damit habe es der Mieter selbst in der Hand, ob er dem Vermieter Anlass zur Beendigung des Mietverhältnisses biete.
Leider ist wohl kaum zu erwarten, dass die große Koalition die gesetzgeberischen Versäumnisse der rot-grünen Koalition auf dem Gebiet des Wohnungsmietrechts ausgleicht. Es ist zwar immer recht viel von Reformen die Rede, diese bewegen sich jedoch eher in eine andere Richtung.

Folgen für Mieter/innen

Daher müssen sich die Mieter/innen den Konsequenzen dieses Urteils zu stellen. Sie werden sich künftig darauf einzustellen haben, dass ihre Vermieter missliebiges Verhalten leichter und schneller ahnden können. Mit der Vereinfachung der ordentlichen Kündigung erhalten die Vermieter nun ein wirksames Druckmittel zur Disziplinierung unerwünschter Mieter/innen. Natürlich wird man sich in gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Räumung der Wohnung auch intensiv um die Frage des Verschuldens der betroffenen Mieter streiten müssen. Der Rechtsbegriff „Verschulden“ ist allerdings so unbestimmt, dass eine Prognose des Streitausgangs deutlich schwieriger sein wird. Wir werden also in den nächsten Jahren sehr aufmerksam beobachten müssen, wie die Gerichte die Grundsätze des Urteils auslegen werden. Denn auch die Liste der Kündigungsgründe ist in der letzten Zeit nicht kürzer geworden. So könnte schon die wiederholt unpünktliche Mietzahlung, die ungenehmigte Aufnahme einer Lebensgefährtin oder auch eine ignorierte Betriebskostenmieterhöhung die ordentliche Kündigung des Mietvertrags rechtfertigen. In der Konsequenz werden die Mieter/innen also noch gründlicher prüfen müssen, ob ihr Verhalten Anlass zur Kündigung des Mietvertrags geben kann. Ein Besuch in einer Beratungsstelle der Berliner MieterGemeinschaft wird damit noch wichtiger als bisher.

Der Rechtsanwalt Henrik Solf berät Mitglieder der Berliner MieterGemeinschaft in der Beratungsstelle in der Oderberger Straße 50, Prenzlauer Berg. Weitere Infos zu Henrik Solf unter www.hoelz-maschke-solf.de

Veröffentlicht in MieterEcho Nr. 328


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