Mietrecht
Urteile
Hauptmieterwechsel bei einer Wohngemeinschaft
BGH Urteil vom 27.04.2022 – AZ VIII ZR 304/21 –
Im Jahr 2013 mieteten sechs junge Männer im Alter von 25–34 Jahren eine Siebenzimmerwohnung, um diese als Wohngemeinschaft zu nutzen. Mit einem Nachtrag zum Mietvertrag vom 21. Februar 2017 vereinbarten die Vermieterin, die damaligen Mieter und sechs weitere Personen, dass fünf der bisherigen Mieter aus dem Mietverhältnis ausscheiden und dieses mit dem verbleibenden ursprünglichen Mieter sowie den sechs hinzukommenden Personen als Mietern fortgesetzt werde. In einem weiteren Nachtrag zum Mietvertrag wurde im Mai 2017 vereinbart, dass einer der im Februar 2017 eingezogenen neuen Mieter wieder ausscheidet und für ihn stattdessen eine weitere Person neu in das Mietverhältnis eintritt.
Im Oktober 2019 verlangten die Mieter von der Vermieterin erneut die Zustimmung zu einem Austausch von vier Mietern. Dies lehnte die Vermieterin ab. Vor dem Amtsgericht bekamen die Mieter recht. Das Landgericht hingegen wies den Anspruch ab. Bei Vermietung an eine Wohngemeinschaft sei ein Vermieter grundsätzlich nicht verpflichtet, einem Mieterwechsel zuzustimmen. Der BGH bestätigt diese Ansicht. Ein solcher Anspruch der Mieter ergebe sich weder aus den vertraglichen Vereinbarungen noch aus den beiden Nachträgen zum Mietvertrag. Vielmehr enthalte der Vertrag zur Frage eines nachträglichen Mieterwechsels keine Regelung. Auch im Wege der Auslegung könnte den Willenserklärungen der Vertragsparteien zu Vertragsschluss und zu den Nachträgen eine derartige Vereinbarung nicht entnommen werden.
Die Frage, ob sich auch ohne ausdrückliche Vereinbarung aus dem Mietvertrag und den Nachträgen ein Anspruch auf Zustimmung zu künftigen Mieterwechseln ergebe, sei mittels Auslegung der auf den Abschluss des Mietvertrags und der Nachträge gerichteten Erklärungen der Parteien zu beantworten. Maßgeblich sei der wirkliche Wille der Parteien, geboten sei hier insbesondere eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung, bei der neben allen Umständen des Einzelfalls auch die Gebote von Treu und Glauben zu berücksichtigen sind. Der Bundesgerichtshof widersprach in seinem Urteil damit einer verbreitet vertretenen Auffassung (so zum Beispiel von Teilen des Landgerichts Berlin), wonach sich ein Anspruch auf Zustimmung zum Austausch einzelner Hauptmieter bereits aus dem Mietvertrag ergebe, wenn der Vermieter an mehrere Personen vermietet, deren Zusammenleben für den Vermieter erkennbar von vornherein auf Fluktuation angelegt ist (was insbesondere bei Wohngemeinschaften von Studenten für den Vermieter schon bei Vertragsabschluss erkennbar sei). Eine solche ◊grundsätzliche und schematische Beantwortung der Frage, ob sich aus einem Mietvertrag mit mehreren Mietern, die eine Wohngemeinschaft bilden, ein Anspruch auf eine Zustimmung zu einem Mieterwechsel oder gar eine antizipierte Einwilligung hierzu ergibt“, verbiete sich, da die Auslegung eines Vertrages stets aufgrund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu erfolgen habe.
Im Rahmen dieser Auslegung seien die häufig gegenläufigen Interessen der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Das Gesetz sehe ein Recht auf den Wechsel von Mietern im Falle einer Mietermehrheit nicht vor. Den Bedürfnissen der Mieter nach Flexibilität sei durch die Möglichkeit zur Untervermietung sowie die für Mieter kurze Kündigungsfrist Rechnung getragen. Eine Vereinbarung, die den Mietern einen Anspruch auf Zustimmung zu Mieterwechseln gewährt, gehe daher über die gesetzliche Regelung deutlich hinaus, was ohne besondere Anhaltspunkte regelmäßig nicht von dem Willen beider Parteien getragen sein dürfte. Ein Recht auf Zustimmung zum Mieterwechsel begünstige die Mieter im Vergleich zu der gesetzlichen Lage erheblich. Für einen Vermieter habe ein solches Recht der Mieter zum Mieterwechsel jedoch im Vergleich zur gesetzlichen Lage erhebliche Nachteile. Im Hinblick auf diese häufig gegenläufige Interessenlage von Vermieter und Mietern könne deshalb nicht allein aus dem erheblichen beachtenswerten Interesse der Mieter an einem unkomplizierten und jederzeit möglichen Mieterwechsel auf eine vertragliche Vereinbarung eines Anspruchs auf Zustimmung des Vermieters zu künftigen Austauschbegehren der Mieter geschlossen werden. Vielmehr bedürfe es konkreter Anhaltspunkte, dass der Vermieter den Mietern ein derartiges Recht zugestehen wollte.Bei der Auslegung der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärungen sei auch zu berücksichtigen, dass es grundsätzlich Sache der Mieter sei, für eine Vertragsgestaltung zu sorgen, die ihnen einen gesetzlich nicht vorgesehenen Mieterwechsel ermöglicht, da eine solche Vereinbarung vorwiegend in ihrem Interesse liege. Denkbar sei auch die Vermietung an eine von den Mietern gegründete (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts, bei der ein Wechsel der in der Wohnung lebenden Personen durch einen Gesellschafterwechsel ermöglicht wird. Diese Möglichkeiten hätten zwar Nachteile im Vergleich zu einem jederzeit möglichen Mieterwechsel durch Austausch – es widerspräche jedoch einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung, allein wegen der Nachteile der sonstigen Regelungsmöglichkeiten bei einem Mietvertrag mit mehreren Mietern, die eine Wohngemein- schaft bilden, von einem vereinbarten Auswechslungsrecht der Mieter auszugehen. In Betracht komme eine solche Auslegung im Einzelfall allerdings dann, wenn sowohl die Mieter als auch der Vermieter bei Vertragsschluss ersichtlich davon ausgingen, dass sich häufig und in kurzen Zeitabständen ein Bedarf für eine Änderung der Zusammensetzung der in der Wohnung lebenden Personen ergeben kann, weil die Mieter voraussichtlich aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände bereits bei Vertragsschluss absehbar nur für einen kurzen Zeitraum an dem jeweiligen Ort leben werden und eine vertragliche Bindung über diesen Zeitraum hinaus nicht eingehen wollen. Das könne insbesondere bei Studenten der Fall sein. Dies setze allerdings voraus, dass dem Vermieter diese Umstände vor Vertragsschluss bekannt sind und er sich bewusst und in Kenntnis dieser Umstände und der zu erwartenden Fluktuation zu einem Mietvertrag mit mehreren derartigen Mietern entscheidet. Fehle eine schriftliche oder mündliche Abrede über das Recht zum Mieterwechsel, könne sich ein solches auch aufgrund einer nachvertraglichen Vereinbarung ergeben. Auch hinsichtlich solcher späterer Vereinbarungen sei eine nach beiden Seiten interessengerechte Auslegung der auf die Vereinbarung gerichteten Willenserklärungen vorzunehmen. Allein der Zustimmung zu einer – auch wiederholten – konkreten Vertragsänderung, durch die ein oder mehrere Mieter ersetzt werden, könne allein nicht die Gewährung eines Anspruchs auf die Zustimmung zu künftigen Mieterwechseln entnommen werden.
Anmerkung: Einen Hauptmieterwechsel ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung zu erzwingen, dürfte seit dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs leider nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Um eine solche Vereinbarung sollten sich daher mehrere Mieter, die eine Wohngemeinschaft bilden wollen, wie vom Bundesgerichtshof empfohlen, schon vor Vertragsabschluss kümmern.

