Logo Berliner Mietergemeinschaft e.V.

Mietrecht

Urteile

Formerfordernisse des Mieterhöhungsverfahrens/Auslegung MietenWoG Berlin

BGB § 558, § 558a, § 558b Abs. 2
a) Die Einhaltung der Förmlichkeiten des Verfahrens auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung durch den Vermieter nach § 558a BGB (Erklärung und Begründung des Erhöhungsverlangens in Textform) und nach § 558b Abs. 2 BGB (Fristen zur Erhebung der Zustimmungsklage) ist insgesamt dem materiellen Recht zuzuordnen und betrifft deshalb die Begründetheit und nicht die Zulässigkeit der Klage (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung …).
b) Der Berliner Mietspiegel (hier: 2015) kann zur Begründung eines Mieterhöhungsverlangens (§ 558a BGB) auch für minderausgestattete Wohnungen (hier: ohne Innen-WC) herangezogen werden.
MietenWoG BE § 3 Abs. 1 Satz 1
§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) vom 11.02.2020 ist nach seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst sind, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem in dieser Bestimmung festgelegten Stichtag (18.06.2019) liegenden Zeitpunkt verfolgt.

BGH Urteil vom 29.04.2020 – AZ VIII ZR 355/18 –

Der Bundesgerichtshof hatte in diesem Fall über eine Klage auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung ab dem 01.11.2015 zu befinden, welche mit dem damals aktuellen Berliner Mietspiegel 2015 begründet worden war. In seinem Urteil äußerte er sich erstmals zu dem am 23.02.2020 in Kraft getretenen Berliner „Mietendeckel“ (MietenWoG Bln).
Im Zuge des am 23.02.2020 in dritter Instanz noch nicht abgeschlossenen Klageverfahrens hatte die Mieterseite nach dem 23.02.2020 den zusätzlichen Einwand erhoben, dass wegen des „Mietendeckels“ die Zustimmung auch zu dieser Mieterhöhung nun nicht mehr verlangt werden könne.
Dieser Auffassung folgte der Bundesgerichtshof nicht: Er stellte vielmehr klar, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln, wonach eine Miete, die die am 18.06.2019 vereinbarte Miete überschreitet, verboten ist, jedenfalls solchen Mieterhöhungsverlangen nicht entgegensteht, mit welchen Zustimmung zu einer Mieterhöhung ab einem vor dem 18.06.2019 liegenden Zeitpunkt begehrt wird. Zwar komme eine wirksame Vereinbarung zu dem Mieterhöhungsbegehren eines Vermieters (erst) mit der Zustimmung des Mieters zustande. Im Falle eines Rechtsstreits trete diese Vertragsänderung „erst mit der Rechtskraft des der Zustimmungsklage des Vermieters stattgebenden Urteils ein“, denn die Zustimmungserklärung des Mieters gelte erst dann als abgegeben. Bei dem „als Klage auf Abgabe einer Willenserklärung ausgestalteten Mieterhöhungsverfahren“ gehe es jedoch „materiell um einen Anspruch des Vermieters auf Erhöhung der Miete zu dem sich aus § 558b Abs. 1, 2 BGB ergebenden Zeitpunkt (…), nämlich zum Beginn des dritten auf das Erhöhungsverlangen folgenden Monats“ (hier: 01.11.2015). Daher habe der im Prozess unterlegene Mieter die Miete dann auch rückwirkend ab diesem Zeitpunkt zu zahlen. § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln sei deshalb nach seinem Sinn und Zweck dahin auszulegen, „dass von dem darin geregelten Verbot (jedenfalls) gerichtliche Mieterhöhungsverfahren nicht erfasst sind, in denen der Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete zu einem vor dem Stichtag liegenden Zeitpunkt verfolgt“ . Die Frage, ob der „Mietendeckel“ verfassungsrechtlicher Kontrolle standhalte, ließ der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung konsequenterweise offen, da es darauf für diesen Fall nach seiner Auffassung nicht ankam. Überraschender war die Abkehr des Bundesgerichtshofs von seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach eine Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung stets für unzulässig gehalten wurde, wenn ihr kein wirksames Mieterhöhungsverlangen vorausgegangen war. Nun vertritt der Bundesgerichtshof die Auffassung, dass dies ebenso wie die Wahrung der Fristen zur Erhebung der Zustimmungsklage „insgesamt dem materiellen Recht zuzuordnen“ sei und deshalb die Begründetheit, nicht die Zulässigkeit einer Klage des Vermieters auf Zustimmung zur Mieterhöhung betreffe.
Gleichzeitig vertrat der Bundesgerichtshof die Auffassung, dass entgegen der bisher überwiegenden Rechtsprechung mit dem Berliner Mietspiegel (hier: 2015) auch Mieterhöhungen für Wohnungen begründet werden können, die weder mit Bad noch mit Innen-WC ausgestattet sind, obwohl der Mietspiegel für solche Wohnungen keine Angaben enthält. Denn die Mieter könnten – ausgehend von dem angegebenen Mietspiegelfeld, welches eine Ausstattung mit einem Innen-WC aufführt – „die Berechtigung der begehrten Erhöhung zumindest ansatzweise überprüfen“.


Anmerkung: Die zuletzt genannten Erwägungen des BGH sind schwer nachvollziehbar. Bei Wohnungen ohne Bad und Innen-WC handelt es sich um einen inzwischen seit Jahren nur noch vereinzelt vorkommenden Substandard, weshalb Angaben zu solchen Wohnungen mangels Vergleichswohnungen im Mietspiegel fehlen. Wie Mieter/innen einer solchen Wohnung einschätzen sollen, was die ortsübliche Miete für Ihre Wohnung sein könnte, wenn derartige Wohnungen im Mietspiegel nicht ausgewiesen sind und dementsprechend jegliche Angaben dazu fehlen, erschließt sich nicht. Jedenfalls hat das Urteil für Mieter/innen solcher Wohnungen weitreichende Folgen: Während bisher klar war, dass ein Vermieter einer solchen Wohnung eine Mieterhöhung nur mit hohen Kosten durch Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens wirk-
sam begründen konnte, kann er nun das Kostenrisiko für ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten (wie in diesem Fall) auf den Mieter abwälzen, da auch diese Kosten des Prozesses von der letztlich unterlegenen Partei zu tragen sind.