Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

Mietrecht

Urteile

Behindertengerechte Mietermodernisierung und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Verweigert ein Vermieter seinem Mieter hartnäckig den baurechtlich möglichen und zulässigen Anbau einer Rampe zur Überwindung der Treppen im Eingangsbereich, damit der auf einen Rollstuhl angewiesene Ehemann des Mieters ohne fremde Hilfe in das Haus gelangen und dieses ohne fremde Hilfe verlassen kann, liegen eine rechtswidrige Diskriminierung und eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vor, welche einen Anspruch auf Entschädigung nach diesem Gesetz begründen können.
(Leitsatz der Redaktion MieterEcho)

LG Berlin II, Urteil vom 30.09.2024 – AZ 66 S 24/24 –

Quelle: juris

Der Mieter einer im Jahr 2009 angemieteten Wohnung in Kreuzberg nahm im Jahr 2020 seinen Ehemann in die Wohnung auf, welcher auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Da sich im Eingangsbereich sechs Treppenstufen befinden, kann sein Ehemann das Haus nicht ohne fremde Hilfe betreten oder verlassen. Der Mieter ließ daher ein fachliches Gutachten über die Möglichkeit der Installation einer Rampe im Eingangsbereich des Gebäudes erstellen. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Herstellung einer Rampe möglich und mit den Vorgaben und Empfehlungen der einschlägigen DIN-Norm vereinbar ist. Unter Verweis auf das Gutachten bat der Mieter seine Vermieterin um Erlaubnis zur Herstellung der insgesamt 23 m langen Stahlrampe im Bereich eines Grünstreifens zwischen Gebäude und Bürgersteig. Die Vermieterin verweigerte die Erlaubnis und wollte dem Mieter lediglich als Alternative den Anbau eines Treppenlifts am Gebäudeeingang genehmigen. Damit war der Mieter nicht einverstanden. Er wandte ein, dass die Nutzung eines Treppenlifts (einschließlich Auf- und Abschließen sowie Auf- und Zuklappen) jeweils mehrere Minuten in Anspruch nimmt, während sein Ehemann mit der geplanten Rampe die Stufen in ca. 20 Sekunden überwinden könne. Außerdem sei die Gefahr von technischen Störungen bei einem solchen Treppenlift groß, während solche bei der Rampe nicht auftreten könnten. Auf die entsprechende Klage des Mieters entschied das Landgericht Berlin im Jahr 2022, dass die Vermieterin die Zustimmung zu dem geplanten Bau der Rampe gegen eine Sicherheitsleistung für einen späteren Rückbau in Höhe von 5.000 Euro erteilen musste (Urteil vom 11. November 2022, AZ: 66 S 75/22, siehe ME 429).

Der Ehemann des Mieters verlangte daraufhin von der Vermieterin Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Er war der Meinung, die hartnäckige, über zwei Jahre hinweg aufrechterhaltene Weigerung der Vermieterin, dem Bau einer Rampe zuzustimmen, stelle eine rechtswidrige Diskriminierung nach diesem Gesetz dar. Nachdem das Amtsgericht Kreuzberg seine Klage abgewiesen hatte, gab das Landgericht Berlin dem Ehemann auf seine Berufung Recht und verurteilte die Vermieterin zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro. Es begründete seine Entscheidung ausführlich. Das Verhalten der Vermieterin stelle eine unmittelbare Benachteiligung gemäß

§ 3 Abs. 1 AGG dar. Eine solche liege vor, wenn ein Vermieter einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht hinreichend nachkommt, durch die gemäß § 5 AGG eine bisher benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll. Die Vermieterin sei gemäß § 554 BGB verpflichtet gewesen, dem Ehemann des Mieters den beanspruchten barrierefreien Zugang zur Wohnung zu gestatten und ihm hierfür die begehrte Erlaubnis zur baulichen Veränderung der Mietsache zu erteilen. Wie das Landgericht bereits im vorherigen Verfahren entschieden hatte, mussten sich der Mieter und sein Ehemann nicht auf die vorgeschlagene Alternative eines Treppenlifts mit den damit einhergehenden erheblichen Nachteilen einlassen. Dem Ehemann des Mieters sei durch das Verhalten der Vermieterin der ihm durch § 554 BGB eingeräumte Vorteil vorenthalten worden. Anders als anderen, nicht von einer Behinderung betroffenen Mietern sei ihm der ihm zustehende barrierefreie Zugang zur Wohnung rechtswidrig versagt worden. Entgegen der Auffassung der Vermieterin scheiterte der Anspruch auf Schadensersatz nach Auffassung des Landgerichts auch nicht daran, dass der Ehemann nicht selbst Mieter ist. Eine derart formale Grenzziehung gäbe es in § 554 BGB nicht. Vielmehr seien von der Vorschrift auch diejenigen Personen erfasst, die der Mieter berechtigterweise in seine Wohnung aufgenommen hat, ohne dass sie selbst Mietvertragsparteien sind.

Auch den Einwand der (Groß-)Vermieterin, ihren Mitarbeitern sei nicht bewusst gewesen, dass ihr Verhalten zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung führen könnte, hielt das Gericht für irrelevant, da für eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des AGG eine irgendwie geartete Absicht nicht erforderlich sei. Auch ihr Verweis auf die gesetzliche Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG, wonach ein Entschädigungsanspruch nach diesem Gesetz innerhalb einer Frist von zwei Monaten geltend gemacht werden muss, nutzte der Vermieterin nichts. Anders als das Amtsgericht Kreuzberg vertrat das Landgericht nämlich die Auffassung, dass diese Frist nicht mit der ersten Ablehnung seitens der Vermieterin zu laufen begann, sondern erst mit Rechtskraft des Urteils im ersten Verfahren auf Erlaubnis des Baus einer Rampe. Der Rechtsverstoß der Vermieterin erfolgte nämlich nicht einmalig mit der ersten Ablehnung, sondern als Dauerhandlung bis zum Abschluss des vorangegangenen Verfahrens. Der Ehemann des Mieters hatte seinen Anspruch jedoch bereits mit anwaltlichen Schreiben vom 6. Dezember 2022 gegenüber der Vermieterin geltend gemacht, das Urteil des Landgerichts vom 11. November 2022 war seiner Rechtsanwältin kurz zuvor zugestellt worden.

Bei der Bemessung der Entschädigung stellte das Gericht zum Einen auf die erheblichen Beeinträchtigungen des Ehemanns des Mieters im alltäglichen Leben ab, die durch das Verhalten der Vermieterin verursacht waren und begründete dies wie folgt: „Der Kläger musste täglich jeden Außenaufenthalt planen und sich absprechen, um sicherzustellen, dass er das Haus bei Bedarf verlassen bzw. hinein gelangen konnte. Jederzeit denkbare spontane bzw. unvorhergesehene Anlässe, das Wohnhaus zu verlassen oder ohne Hilfestellung anderer Personen aufzusuchen, waren für den Kläger unabwendbar nicht zu bewältigen. Diese Auswirkung der Benachteiligung manifestierten sich also täglich, und zwar im persönlichen Kernbereich der Existenz des Klägers“. 

Weiter berücksichtigte es die Dauer dieser Beeinträchtigungen, da seit der ersten Bitte um Erlaubnis für den Bau der Rampe seitens des Mieters bis zur Erteilung der Erlaubnis in Form des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Berlin zwei Jahre vergangen waren. Schließlich würdigte das Landgericht Berlin in diesem Zusammenhang auch ausführlich die Hartnäckigkeit der Vermieterin. Diese hatte bereits auf das erste Schreiben des Mieters erst nach fast sechs Monaten und nur nach zwischenzeitlich zwei Erinnerungsschreiben reagiert und auch im weiteren Verlauf mit völlig sachfremden Erwägungen die geschuldete Erlaubnis verweigert. Noch in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht habe sie die Abweisung der Klage des Ehemanns des Mieters beantragt, auch in der Folge habe sie dem Ehemann des Mieters weder eine Entschädigung angeboten, noch ihm gegenüber ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht. Damit habe sie sich volle zwei Jahre lang ignorant gegenüber den Folgen ihrer Weigerung verhalten und sich zu keiner Zeit der naheliegenden Tatsache geöffnet, dass der Ehemann des Mieters während des gesamten Verfahrens nicht eigenständig seine Wohnung verlassen oder in sie hineingelangen konnte. Anstelle eines lösungsorientierten Handelns legte sie nach Auffassung des Landgerichts eine hartnäckige rechtswidrige Haltung an den Tag.


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