MieterEcho

MieterEcho Sonderausgabe Juni 2006

Quadrat Widerstand gegen Vertreibung und Verarmung

Die Kampagne gegen Zwangsumzüge ist aktiv

Prof. Peter Grottian und Thomas Rudek

Indem erwerbslose Menschen zum Auszug aus ihren Wohnungen gezwungen werden, findet die Erniedrigung durch Hartz IV ihre Zuspitzung. Wenn in einem der reichsten Länder dieser Welt eine "Reform" Menschen aus ihren Wohnungen vertreibt, sie somit aus ihrem sozialen Umfeld herausreißt und sie ihr Zuhause verlieren, dann ist es höchste Zeit, aufzustehen und aktiv Widerstand zu leisten.
Wer mit einer aufgeblähten Mammutbehörde antritt, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, dem muss das Fürchten gelehrt werden. Unter diesem Vorsatz haben sich Anfang des Jahres in Berlin Menschen zusammengefunden, die ein breites außerparlamentarisches Spektrum vertreten.

Die Kampagne

In der Kampagne gegen Zwangsumzüge sind Menschen aus gewerkschaftsnahen Zusammenhängen, aus Mieterorganisationen, aus den Betroffenenberatungen, aus dem Sozialforum, aus der AntiFa, aus der Berliner WASG, aus der Initiative Zukunft Bethanien sowie aus anderen Einrichtungen und Initiativen zusammengekommen. Wir konnten dank der großzügigen Unterstützung einer Stiftung einen Kino-Kurzfilm drehen, Infoflyer drucken, Radiospots schalten und ein kostenfreies Notruftelefon (siehe Kasten) einrichten, bei dem Hilfe- und Ratsuchende jeden Tag - mit Ausnahme am Wochenende - anrufen können. Über das Notruftelefon erhalten Betroffene nicht nur hilfreiche Unterstützung, sondern ihnen werden auch Adressen von Organisationen und kompetenten Rechtsanwält/innen, an die sie sich wenden können, genannt.


Notruf

Kostenfreies Notruftelefon der Kampagne gegen Zwangsumzüge:
montags bis freitags von 10 bis 13 Uhr
Tel. 0800 - 27 27 27 8
Wir sind für Sie da - rufen Sie an!
www.zwangsumzuege.de


Verschleierung und Vertreibung aufdecken

Es ist eine Schande, dass in Fragen der "angemessenen Wohnkosten" Richtwerte erlassen wurden und dies ohne verlässliche Datengrundlage geschah, obwohl die Daten in allen Jobcentern vorlagen und jeder "Einzelfall" bis ins kleinste Detail durchleuchtet wurde. Es stellt sich die Frage, ob hier bei der Programmierung nur "geschlampt" wurde oder mit kalkuliertem Vorsatz problemrelevante Daten nicht für eine flächendeckende Auswertung zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Kommunen sind für die Festsetzung der angemessenen Wohnkosten zuständig und haben immer noch keine solide Datengrundlage für diese wichtige Entscheidung. In Anbetracht der Verschuldung vieler Kommunen ist zu befürchten, dass die Frage der "angemessenen Wohnkosten" im Sinne einer haushaltspolitischen Sparpolitik entschieden wird. Und da um jeden Preis gespart werden muss, bezahlen die Betroffenen die Rechnung. Die Verarmung immer größerer Bevölkerungsteile (Erwerbslose, junge und alte Menschen) ist die Folge.

Sprachrohr sein - gegen das Schönreden

Unerträglich sind die schönrednerischen Stellungnahmen, die zur besten Sendezeit tagaus, tagein verkündet werden: 'Alles ist nicht so schlimm, alles wird besser', lassen diejenigen verlauten, die nicht das Geringste zu befürchten haben. Wer's glaubt, wird selig. Die Realität beweist anderes: Ob es die Gesichter der Menschen in den Schlangen bei den Jobcentern zeigen oder ob wir es von denjenigen hören, die sich hilfesuchend telefonisch an uns wenden: Den Menschen steht das Wasser bis zum Hals. Nachdem uns in den ersten sechs Wochen hunderte von Menschen angerufen und uns vertrauensvoll ihre Sorgen und Ängste mitgeteilt haben, wollen und müssen wir nun für diese Stimmen auch ein Sprachrohr sein. Die Regierenden dieser Stadt vertrauen den Zahlen der Jobcenter blindlings. Warum, wissen wir nicht. Alles, was wir wissen: Bei den Betroffenen sieht es anders aus! Doch zu einem Gespräch oder einem Informationsaustausch sind wir weder von der Linkspartei.PDS noch von der zuständigen Sozialsenatorin eingeladen worden. Stattdessen trifft man sich mit den Geschäftsführern der Jobcenter zum Datenabgleich. Die da 'oben' bleiben unter ihresgleichen.

Schritt für Schritt: Politisierung der Betroffenen

Weder dramatisieren, noch übertreiben wir. Auch andere Einrichtungen wie die Berliner Telefonseelsorge bestätigten unsere Erfahrungen. Um unsere Seriosität zu unterstreichen, haben wir uns das ehrgeizige Ziel gesetzt, die uns bekannten Fälle - anonymisiert - zu dokumentieren. Denn der Vorhaltung, das seien "alles nur Einzelfälle", muss durch eine systematische Dokumentation politisch entgegengetreten werden. Die Dokumentation muss aufzeigen, dass diese "Einzelfälle" tatsächlich das System der repressiven Behördenwillkür und der kommunalen Sparpolitik darstellen.

Was zu erwarten und zu fordern ist: Ihr da 'oben', macht eure Arbeit!

Wir und auch die Regierenden wissen: Die Umzugsfälle werden erst nach der Wahl zunehmen. Jetzt haben die Betroffenen sechs Monate Zeit, ihre Wohnkosten zu senken. Dann bekommen die Betroffenen nur noch den Teil der Miete, der "angemessen" ist. Der Rest ist 'Privatsache'. Die absehbare Folge: Die Mietschulden der Hartz-IV-Betroffenen werden zunehmen. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Räumung relativ schnell durchgesetzt werden, sobald sich Mietschulden in Höhe von zwei Monatsmieten angesammelt haben. Erschwerend kommt hinzu, dass durch die Berliner Privatisierungs- und Ausverkaufspolitik die Betriebskosten extrem steigen. Für eine Entwarnung besteht folglich genauso wenig Anlass wie für schönrednerische Statements. Wir werden im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, diesen Tendenzen entgegenzuwirken.


Kampagne gegen Zwangsumzüge

Unsere Kampagne trifft sich montags um 17 Uhr im Restaurant "Cum Laude", Universitätsstraße 4/ Ecke Dorotheenstraße, 10117 Berlin (Mitte), Nähe Humboldt-Universität Hauptgebäude, U- und S-Bahnhof Friedrichstraße.


Keine Zwangsumzüge

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