Irene Froböse und Thomas Rudek
Die große Koalition hat beschlossen, Hartz IV zu "optimieren", d.h. bei den Hartz IV-Ausgaben soll noch mehr gespart werden. Erste uns vorliegende Fälle dokumentieren, dass die in Berlin geltenden Regeln der AV-Wohnen (s. Beitrag von Irene Froböse) von den Jobcentern bzw. Sachbearbeitern missachtet werden - zulasten der Betroffenen. Ob diese Fälle Einzelfälle sind oder sie die Spitze des Eisbergs darstellen, hängt davon ab, welche Vorgehensweisen in den Jobcentern vorherrschen. Die Praktiken der Jobcenter lassen sich jedoch nur ermitteln, wenn die Betroffenen - z.B. in den Beratungsstellen oder am Infotelefon - ihre Fälle öffentlich machen. Deshalb ist wichtig, welche Erfahrungen Sie, Ihre Bekannten oder Familienangehörigen mit dem Jobcenter gemacht haben und dass Sie diese Erfahrungen weitergeben.
Wenn Sie vom Jobcenter Post bekommen und aufgefordert werden, entweder die "Wohnkosten zu senken" oder - im schlimmsten Fall - die "Wohnkosten durch Umzug zu senken", dann sollten in diesem Schreiben auch alle für Sie wichtigen Informationen enthalten sein, damit Sie wissen, was Ihnen rechtlich zusteht! Denn vielleicht gehören Sie zu der Personengruppe, die einen Mietaufschlag in Höhe von 10% beanspruchen kann oder Sie gehören vielleicht auch zu der Personengruppe, die vor einem Umzug ganz geschützt ist! Auch der Hinweis, den Betrag, der über der so genannten Angemessenheitsgrenze liegt, selbst finanzieren zu können - zum Beispiel durch einen Mini-Job - sollte in dem Anschreiben nicht fehlen. Und auch über die Kosten, die mit der Beschaffung einer neuen Wohnung (Kaution und Umzugskosten) unweigerlich verbunden sind, sollten Sie vollständig informiert werden.
Leider liegen uns Schreiben von verschiedenen Jobcentern vor, in denen der Informations- und Aufklärungspflicht nicht entsprochen wird. Und in einigen besonders schlimmen Fällen hat man sogar den Eindruck, dass die Rechte von Betroffenen mit Füßen getreten werden:
Mietkaution - Was in den AV-Wohnen wirklich steht: |
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"In der Regel ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung des Berliner Wohnungsmarkts eine Wohnung für Hilfeempfangende ohne die Zusicherung zur Übernahme von Genossenschaftsanteilen als Wohnungsbeschaffungskosten oder einer Mietkaution in angemessenem Zeitraum nicht gefunden werden kann." "Unter den Bedingungen des § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II soll die Zusicherung bei Vorliegen folgender Bedingungen erteilt werden:
"Im Rahmen der einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Zusicherung zur Übernahme von Genossenschaftsanteilen/ Mietkautionen, ist zu prüfen, ob a) diese Leistungen ggf. aus geschütztem Vermögen des Hilfeempfangenden im Wege der Selbsthilfe erbracht werden können (…)." Quelle: Rundschreiben Nr. 14/2005 "Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II" (AV-Wohnen) vom 17.06.2005 |
Von dieser Behördenwillkür sind nicht nur ALG-II-Beziehende betroffen, sondern auch Rentner/innen, die vom Amt für Grundsicherung die Miete erhalten. Gespart werden soll sogar bei über 70-Jährigen, die bereits länger als 20 Jahre in ihrer Wohnung leben. Auch hier hat die Senatsverwaltung anderes erlassen (s. Kasten "Grundsicherung").
Grundsicherung - Was in den AV-Wohnen wirklich steht: |
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Grundsicherung - Was in den AV-Wohnen wirklich steht: "(1) Aufgrund des vom SGB XII erfassten Personenkreises sind grundsätzlich zunächst die in Ziffer 4 Abs. 5 und 9 der AV-Wohnen erfassten Härtefallbestimmungen für bestehenden Wohnraum zu prüfen. (Hervorhebung im Original) Quelle: Rundschreiben I Nr. 16/2006 vom 01.04.2006/ Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz |
Oft liegt die Miete mit 20 bis 40 Euro nur geringfügig über den angemessenen Mietobergrenzen. Hier kann die so genannte Wirtschaftlichkeitsberechnung vor einem Umzug schützen. Die Jobcenter sind nämlich nach den AV-Wohnen aufgefordert, "vor der Aufforderung, durch Wohnungswechsel die Aufwendungen für die Wohnung zu senken, eine Wirtschaftlichkeitsberechnung" durchzuführen. Sollten Sie eine Aufforderung erhalten, "die Wohnkosten durch Umzug zu senken", dann fordern Sie die Wirtschaftlichkeitsberechnung und überprüfen Sie, ob die Jobcenter richtig gerechnet haben.
Wirtschaftlichkeitsberechnung - Beispiel für 2-Personen-Haushalt: | ||
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Angemessene Miete: | 444,00 Euro | bruttowarm |
Miete bisherige Wohnung | 460,00 Euro | bruttowarm |
Umzugskosten (in Selbsthilfe) | 190,00 Euro | (großzügig geschätzt) |
Kaution (neue Wohnung) | 932,40 Euro | (3 Nettokaltmieten à 310,80 Euro) |
Abzgl. Kaution bisherige Wohnung | 900,00 Euro | |
Zu berücksichtigende Kaution | 32,40 Euro | (kein Schonvermögen vorhanden) |
Doppelmiete im Umzugsmonat | 460,00 Euro | |
Gesamtkosten Umzug | 682,40 Euro | |
Differenz zwischen tatsächlicher und angemessener Miete, hochgerechnet auf zwei Jahre (Zeitraum gemäß AV-Wohnen): Fazit: Die Umzugskosten (682,40 Euro) sind höher als die zusätzlichen Kosten der 'unangemessenen' Wohnung (384,00 Euro). |
Bei der Durchsicht der uns vorliegenden Schreiben fällt uns immer wieder auf, dass es keine einheitlichen Schreiben gibt. Jedes Jobcenter entwickelt sein eigenes Anschreiben und das, obwohl die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz allen Berliner Jobcentern ein Musterschreiben vorgelegt hat. In diesem Musterschreiben sind die wichtigsten Informationen, aber nicht alle enthalten. Es fehlt der Hinweis, die Durchführung der Wirtschaftlichkeitsberechnung zu beantragen. Außerdem ist die Information, den über der Angemessenheitsgrenze liegenden Betrag der Miete aus nicht anrechnungsfreiem Verdienst selbst zu bezahlen, schwer verständlich. Von diesen Mängeln abgesehen ist das Schreiben jedoch positiv zu beurteilen. Es stellt sich zwangsläufig die Frage, warum Schreiben aus einigen Jobcentern auftauchen, die sich offensichtlich nicht an diese Vorlage halten. Der Berliner Senat müsste aus dieser mangelnden Kooperationsbereitschaft vor allem eine Schlussfolgerung ziehen: Eine Fachaufsicht über alle Berliner Jobcenter ist auf Landesebene einzurichten. Hierzu sollte überprüft werden, inwieweit das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz verändert werden müsste.
Gewiss: Wo Menschen arbeiten, werden Fehler gemacht. Doch wenn diese Fehler durch den Sparzwang "motiviert" und indirekt gefördert werden, ist Schlimmes zu befürchten.
Für Sie als Betroffene bedeutet das:
Die Berliner MieterGemeinschaft, die Kampagne gegen Zwangsumzüge und das Berliner Arbeitslosenzentrum BALZ fordern gemeinsam den Berliner Senat auf, dafür zu sorgen, dass
Wir fordern darüber hinaus den Senat und insbesondere die Berliner Linkspartei.PDS auf, im Bundesrat die Initiative für die Erhöhung des Regelsatzes zu ergreifen, um so der Verarmung und Verelendung immer größerer Teile der Bevölkerung entgegenzuwirken!
Adressen für Beschwerden: |
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Ombudsrat - Grundsicherung für Arbeitssuchende Sozialsenatorin Dr. Heidi Knake-Werner |