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Wohnungspolitik – 23.02.2011

Wohnungspolitik und Wohnungsmarkt

 
Im Januar drang als Sensation an die Öffentlichkeit, was seit Jahren allen Fachleuten bekannt ist: Der Wohnungsmarkt in Berlin ist eng. Doch fachliche Kompetenz ist eines und politische Dummdreistigkeit ein anderes.

„Wir haben einen entspannten Wohnungsmarkt“ halluzinierte die zuständige Senatorin seit Jahren, und weil ihr die Presse lange Zeit folgte, wurde es zu einem Dogma, obgleich die Wohnungssuchenden die Berliner Realität ganz anders erleben.

In der aktuellen Spätphase dieser Stadtentwicklungssenatorin wechselt die Tonlage: Die Mieten sind so niedrig wie nirgends, ist ihr neuestes Mantra. Doch jetzt wissen alle: Der kommende Mietspiegel wird die Dame auch in dieser Hinsicht Lügen strafen.

Ihren politischen Chef, den alternden Partylöwen Wowereit ficht das nicht an. „Wowereit hält höhere Mieten für ein gutes Zeichen“ konnte die Berliner Morgenpost am 28.1.2011 schreiben und weiter: „Wowereit nannte es einen alten Reflex, wenn steigende Mieten als Malaise  bezeichnet würden.“  „Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Berlin in vielen Bereichen teurer wird“, lässt sich das bekennende Mitglied des Hausbesitzervereins Haus & Grund  Wowereit schließlich zitieren.

Die Kostensteigerungen sind seit langem bekannt, denn schließlich zeichnet sich dieser Senat durch überreiche Privatisierungsfreude und eine wohnungspolitische Abstinenz aus, die zu den Erfordernissen der Marktentwicklung in krassem Widerspruch steht.

Entwicklung der Nachfrage

Um die Entwicklung des Wohnungsmarktes richtig einschätzen zu können, müssen Nachfrage und Angebot gesondert betrachtet werden. Die Nachfrage wird einerseits bestimmt durch die Zahl der in einer Stadt lebenden Personen und deren Mietzahlungsfähigkeit, zum anderen aber durch die Zahl der Haushalte, die sie bilden.

Zwischen 2001 und 2004 veränderte sich die Bevölkerungszahl in Berlin nicht, doch seit 2004 steigt sie kontinuierlich an. Am 31.12.2009 verzeichnete das Statistische Landesamt 54.747 Berliner/innen mehr als fünf Jahre zuvor.

Wohnungen werden aber nicht Einzelpersonen, sondern Haushalten zugeordnet. Deren Zahl vergrößerte sich seit 2001 um 110.200. Der Grund für den stärkeren Anstieg der Haushalte als dem der Einwohner liegt in der Verkleinerung der Hausalte. Bildeten 2000 noch 1,86 statistische Durchschnittspersonen einen Haushalt, so waren es 2008 nur noch 1,74. Die Tendenz der Versingelung ist kein spezielles Berliner Phänomen. Bundesweit führt München die Liste der kleinsten Haushalte an, Hamburg liegt nach Berlin auf Platz drei.

Angebot

Die Statistik weist zwar ein ständiges Steigen des Berliner Wohnungsbestandes aus, aber diese Angaben sind schlicht und einfach falsch. Es werden dabei nämlich nur die Wohnungszugänge erfasst, die Wohnungsabgänge aber nicht oder nur vollkommen unzureichend berücksichtigt. Fachleute aus Wohnungswirtschaft und Wissenschaft schätzen den jährlichen Wohnungsschwund durch Abriss, Zweckentfremdung usw. auf ein Prozent. Bei einem Bestand von knapp 1,9 Mio. Wohnungen müssten in Berlin demzufolge jährlich 19.000 Wohnungen gebaut werden, um bei gleichbleibender Einwohnerzahl das Verhältnis von Angebot und Nachfrage konstant  zu halten.

Die tatsächlichen Bauleistungen sehen aber ganz anders aus. Seit 2003 werden im Durchschnitt nur noch 3.500 Wohnungen jährlich gebaut, davon sind ca. zwei Drittel Einfamilienhäuser, der Rest zu einer Hälfte Eigentumswohnungen und zur anderen Wohnungen des hochpreisigen Segments.

Zum Vergleich: In München (1,2 Mio. Einwohner) wurden 2009 ca. 3.800 Wohnungen gebaut und in Hamburg (1,7 Mio. Einwohner) 4.200. Durch die geringe Bauleistung in Berlin wird jährlich ein Defizit von weit über 10.000 Wohnungen produziert.

Bei dieser Feststellung bleibt die  steigende Nachfrage ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass das Angebot nur auf  besserverdienende Mittelschichten ausgerichtet ist.
 

Die Reaktion der Politik und die Folgen für die Stadt

Die seit Jahren sich immer weiter öffnende Schere zwischen Nachfrage und Angebot wirkt sich in besonderem Maße zu Lasten der „breiten Schichten“ der Berliner Bevölkerung aus. Eine Situation, die in den letzten hundert Jahren stets das Eingreifen des Staates zu Folge hatte. Doch der seit 2002 von einer „rot-roten“ Koalition gestellte Senat ignoriert die Entwicklung nicht nur, er  hat sie durch eine Privatisierungsorgie  zu Beginn seiner Amtszeit sogar noch enorm verschärft.

1990 befanden sich ca. 480.000 Wohnungen in öffentlichem Eigentum, zur Jahrtausendwende waren es noch 400.000, inzwischen ist der Bestand auf knappe 250.000 zusammengeschmolzen. In Frankreich wird eine Quote von 20% Sozialwohnungen in allen Städten angestrebt – in Berlin hat es die Politik geschafft, einen soliden Anteil von 26% öffentlicher Wohnungen auf 14% zu verringern.

Die Berliner Wirtschaftspolitik, soweit sie überhaupt wahrnehmbar ist, orientiert auf Tourismus. An dieser Stelle soll nicht diskutiert werden, ob das dem Standort nutzt oder eher schadet, die Wohnungsversorgung für die Berliner/innen leidet auf jeden Fall darunter. Das Phänomen der „Ferienwohnungen“ ist allgemein nicht nur bekannt, sondern wird von vielen Berliner/innen täglich erlitten. In keiner deutschen und keiner europäischen Stadt werden so viele Mietwohnungen in Ferienwohnungen umgewandelt wie in Berlin. Für Frau Junge Reyer stellt das kein Problem dar, und der regierende Bürgermeister versucht seinen Freund, den Geschäftsführer des Interconti und Vorsitzenden des Berliner Hotel und Gaststättenverbandes, zu beschwichtigen. Der DEHOGA Berlin hatte ein Gutachten erstellt, mit, wie vertraulich verbreitet wurde, erschreckenden Ergebnissen, dann aber aus „politischen“ Gründen auf die Veröffentlichung verzichtet.

Auch ohne Gutachten bleibt nicht verborgen, dass die politisch gefeierte Unsitte der Ferienwohnungen den Bestand der Wohnungen in Berlin deutlich verringert. Ein änhliches, wenn auch für die Nachbarn nicht ganz so lästiges Phänomen, stellen die Zweitwohnungen dar, die insbesondere von Bürgern aus dem skandinavischen Raum in Berlin erworben werden. Auch diese Wohnungen stehen den Berliner/innen nicht mehr zur Verfügung. Die koalitionsbildenden Parteien nehmen das Phänomen noch nicht einmal wahr.

Das marktschreierische Agieren der Stadtentwicklungssenatorin, mit dem sie Berlin als billigen Standort anpreist, in Verbindung mit dem erfolgreichen Bemühen, das Wohnungsangebot in der Stadt zu verknappen, trägt Früchte. Investoren mit höchst unterschiedlichem Grad an Seriosität aus aller Welt betrachten inzwischen den Wohnungsbestand in unserer Stadt als Schnäppchen mit lukrativer Verwertungsperspektive und handeln danach.

Die Berliner MieterGemeinschaft unterstützt selbstverständlich alle Berliner/innen, die eine solche Entwicklung nicht mehr hinnehmen wollen und sich in Stadtteilinitiativen und Hausgemeinschaften zusammenschließen. Zur Zeit ist das die einzige Möglichkeit, einen Druck aufzubauen, der die wohnungspolitische Entwicklung in eine andere Richtung lenken kann.
 

Dieser Artikel ist eine Vorabveröffentlichung aus dem demnächst erscheinenden MieterEcho Nr. 346.
 

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