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MieterEcho online – 18.12.2011

Eine bedrohliche Trendwende

Die Zahl der Menschen ohne Wohnung nimmt wieder zu.

Hohe Mieten, Verarmung und sozialpolitische Fehlentscheidungen: Die Zahl der Wohnungslosen steigt wieder. Angesichts der wirtschafts- und finanzpolitischen Lage sowie der sozialpolitischen Rahmenbedingungen rechnen Experten zukünftig mit einer weiteren Zunahme von Menschen, die ihre Wohnung verlieren werden.



In Deutschland steigt die Zahl der Menschen ohne Dach über den Kopf. Das hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (B‍AG W) mitgeteilt. „Wir müssen leider davon ausgehen, dass das Ausmaß der Wohnungslosigkeit zwischen 2008 und 2010 dramatisch gestiegen ist“, erklärte Thomas Specht, Geschäftsführer der B‍AG W, dem Dachverband der Wohnungslosenhilfe. Die Organisation rechnet darüber hinaus in den kommenden Jahren mit einem weiteren rasanten Anstieg der Zahl der Betroffenen. So prognostiziert die Organisation bis zum Jahr 2015 bundesweit eine Zunahme um 10 bis 15 Prozent auf dann 270.000 bis 280.000 Menschen. Aktuell beziffert die Bundesarbeitsgemeinschaft die Zahl der Betroffenen mit 248.000 Menschen (Stand 2010). Zum Vergleich: 2008 waren es noch 227.000. Weitere etwa 106.000 Menschen waren in 2010 (2008: 103.000) von Wohnungslosigkeit bedroht, d.h. bei diesem Personenkreis stand der Verlust der Wohnung unmittelbar bevor. Auf der Basis der aktuellen Zahlen müsse von insgesamt rund 354.000 so genannter Wohnungsnotfälle ausgegangen werden – 2008 waren es „nur“ 330.000. Damit ist die Gesamtzahl der Betroffenen nach mehr als zehn Jahren wieder deutlich gestiegen. Während im Osten Deutschlands von 30.000 Personen ausgegangen werden müsse, beträgt die Zahl in den alten Bundesländern rund 216.000. Die größte Gruppe der Wohnungslosen stellen mit 64 Prozent alleinstehende Männer. Der Frauenanteil beträgt 26 Prozent. Jeder Zehnte der Betroffenen ist minderjährig. Hauptbetroffen sind mit 152.000 vor allem Ein-Personenhaushalte. Auch der Anteil der Menschen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben, stieg im Vergleichszeitraum von rund 20.000 auf 22.000.
 

Tendenz weiter steigend

„Der Wiederanstieg wäre noch dramatischer ausgefallen, hätte nicht in den letzten zehn Jahren die frei-gemeinnützige Wohnungslosenhilfe und die Kommunen ihre Anstrengungen bei der Überwindung und Prävention von Wohnungslosigkeit aufrechterhalten und weiter ausgebaut“, betonte die B‍AG Wohnungslosenhilfe. So haben immerhin bis zu 110.000 Menschen die Dienste der Hilfeeinrichtungen in Anspruch genommen. Nach Auffassung der B‍AG W sind im Wesentlichen drei Faktoren maßgeblich für den Wiederanstieg der Wohnungslosenzahlen: Hohe Mieten, Verarmung und sozialpolitische Fehlentscheidungen. „Die Verarmung der unteren Einkommensgruppen steht in engem Zusammenhang mit der Dauerkrise am Arbeitsmarkt, die nicht zu einem Absenken der Zahl der Langzeitarbeitslosen geführt hat. Zugleich ist der Niedriglohnsektor aufgrund eines fehlenden Mindestlohns extrem angewachsen“, beklagt die B‍AG. Zu den sozialpolitischen Fehlentscheidungen bei „Hartz IV“ seien die Sanktionen bei der Übernahme der Wohnkosten auch bei jungen Erwachsenen, die unzureichende Anhebung des Regelsatzes beim Arbeitslosengeld II (ALG II), die Pauschalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung und der Abbau der Arbeitsförderungsmaßnahmen zu rechnen. Negative Effekte habe darüber hinaus der rückläufige Bestand günstiger Wohnungen und das Ausbleiben einer aktiven Wohnungspolitik.
 

Jede/r sechste armutsgefährdet

Trotz sinkender Arbeitslosenzahlen sei jede/r sechste Bundesbürger/in armutsgefährdet. Insbesondere Erwerbslose und alleinerziehende Haushalte gehörten dazu. Geradezu dramatisch zugespitzt habe sich die Lage derer, die ihre Wohnung bereits verloren hätten. „Ein Viertel unserer Klientel verfügt über keinerlei Einkommen“, erklärte B‍AG-Vorsitzender Winfried Uhrig. Nahezu 90 Prozent der Klienten der Wohnungslosenhilfe sind arbeitslos, die allermeisten langzeitarbeitslos. Angesichts dieser desolaten Lage sei es verheerend, dass die Bundesregierung mit ihrer Reform der Eingliederung in Arbeit flächendeckende Kürzungen der bestehenden Eingliederungsangebote in den Arbeitsmarkt für wohnungslose Langzeitarbeitslose in Kauf nehme. Nur mit einer sozial- und arbeitsmarktpolitischen Wende – vergleichbar mit der energiepolitischen Wende – könnten diese sich abzeichnenden Entwicklungen zumindest noch abgemildert, wenn auch nicht mehr aufgehalten werden. „Wir fordern die Bundesregierung auf, die Lebenslagen von verarmten und wohnungslosen Menschen zur Kenntnis zu nehmen und konkrete Maßnahmen zur Verbesserung auf den Weg zu bringen. Es gilt konkret zu handeln, damit diesen Menschen der Zugang zu Wohnen, Gesundheit, Arbeit und Einkommen nicht weiter verwehrt bleibt“, so Uhrig.
 

Christian Linde

 
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