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MieterEcho online 29.09.2015

Das Ergebnis des Volksentscheids: Fürsorge- statt Wohnungspolitik

Am 1. Januar 2016 soll das „Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ (WoVG Bln) in Kraft treten. Angepriesen wird es als eine Art „historischer Kompromiss“ zwischen dem Bündnis Mietenvolksentscheid und der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Im Juni hatte das Bündnis über 40.000 gültige Unterschriften für einen eigenen Gesetzentwurf an die Innenverwaltung übergeben und damit das Quorum für die erste Stufe eines Volksbegehrens deutlich überschritten.  Wenig später begannen vertrauliche Gespräche, zunächst mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und später mit Vertretern der SPD-Fraktion. Diese galten zwar offiziell nur als „informell“, doch von vornherein war klar, dass auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf hingearbeitet werden sollte, der den Volksentscheid „überflüssig“ machen würde.. Eine entsprechende Grundsatzeinigung wurde im Mitte August erzielt, seit Ende August liegt der Gesetzentwurf vor. Zwar steht das parlamentarische Prozedere noch aus, da aber auch der Koalitionspartner CDUI signalisiert hat, das Gesetz mitzutragen, bestehen an der Verabschiedung keine Zweifel.

Der Gesetzentwurf ist im Kern eine Fortschreibung der sozialdemokratischen Wohnungspolitik der vergangenen Jahre. Anknüpfungspunkte sind das  im Dezember 2012 vereinbarte „Mietenbündnis“ mit den sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die 2014 erlassenen „Verwaltungsvorschriften für die soziale Wohnraumförderung des Miet- und Genossenschaftswohnungsbaus in Berlin“. Mit den beiden Instrumenten sollte zum einen eine Deckelung  der Mietbelastung für einkommmensschwache Haushalte in den Wohnungen der WBG und zum anderen ein Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau durch Zuschüsse und Belegungsbindungen für neue Wohnungen realisiert werden. Allerdings sieht dieses Modell nicht die Schaffung dauerhaft preiswerten Wohnraums in öffentlicher Trägerschaft vor, sondern lediglich eine zeitlich begrenzte Kappung der Mieten.

Mit dem neuen Gesetz werden diese Instrumente modifiziert und erweitert, ohne das Prinzip der „Subjektförderung“, also der Bezuschussung von Mieten, statt der Schaffung von billigem Wohnraum, anzukratzen. Artikel I bezieht sich sich auf den bereits existierenden sozialen Wohnungsbau, inklusive der Wohnungen, die bereits aus der Anschlussförderung gefallen sind und keinen Mietpreisrestriktionen mehr unterliegen. Insgesamt umfasst dieses Segment rund 130.000 Wohnungen. Für die gelten künftig Kappungsgrenzen, die sich am verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen orientieren, wenn dieses die im Wohnraumförderungsgesetz des Bundes festgelegten Richtwerte um nicht mehr als 40 Prozent überschreitet. Die Obergrenze liegt demnach beispielsweise für einen Zweipersonenhaushalt bei 25.200 Euro. Je nach Energieeffizienzklasse  des Gebäuden wird die zu entrichtende Nettokaltmiete dann auf 25-30 Prozent des Einkommens gedeckelt. Bezuschusst werden aber nur „angemessene Wohnflächen“, bei Zweipersonenhaushalten also maximal 65 Quadratmeter. Auch ist der Mietzuschuss auf maximal 2,50 Euro pro Quadratmeter begrenzt, d.h. bei besonders teuren Wohnungen verliert die Koppelung an das Einkommen ebenso ihre Wirkung, wie für Bezieher besonders niedriger Einkommen. Ausgeschlossen wird ferner die Subventionierung von Mieten, wenn der Mietvertrag erst nach Inkrafttreten des Gesetzes geschlossen wird. Profitieren von dieser Regelung könnten nach ersten Schätzungen rund 25.000 Haushalte im sozialen Wohnungsbau.  Doch auch für die Besitzer von bereits nicht mehr geförderten Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus ist das Gesetz ein warmer Regen. Obwohl dies nur rund 21.000 der 130.000 Sozialwohnungen betrifft, werden dafür fast die Hälfte der auf 40 Millionen Euro pro Jahr geschätzten Kosten für das Programm draufgehen.  
 

Artikel II des neuen Gesetzes definiert die Aufgaben  der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die derzeit über einen Bestand von rund 285.000 Wohnungen verfügen. Im § 1, Abs. 2 heißt es dazu allgemein: „Die landeseigenen Wohnungsunternehmen tragen durch Wohnungsneubau, Instandsetzung, Instandhaltung und Modernisierung bestehenden Wohnraums, Ankauf von geförderten und nicht geförderten Wohnungen zu einem ausreichenden Wohnraumangebot mit sozialverträglichen Mieten bei“.  So sollen mindestens 30 Prozent aller neu errichteten Wohnungen dwer WBG mit Mitteln aus dem Wohnraumförderfonds errichtet werden. Die Neuvergabe von Bestandswohnungen  soll zu 55 Prozent an Haushalte erfolgen, deren Einkünfte die o.g. Obergrenzen nicht überschreiten. Davon wiederum sollen 20 Prozent (also insgesamt 11 Prozent) „besonderen Bedarfsgruppen“ vorbehalten bleiben. Aufgezählt werden Obdachlose, Flüchtlinge und betreutes Wohnen. Wie im sozialen Wohnungsbau sollen Mieter der WBG auf Antrag eine „Härtefallregelung“ in Anspruch nehmen können, mit der die Mietbelastung (nettokalt) bei 30 Prozent des Nettoeinkommens gekappt wird. Allerdings ist die Wohnflächenobergrenze bei den WBG restriktiver. Zuschussfähig sind z.B. für einen Zweipersonenhaushalt nur 60 Quadratmeter. Bei  Beziehern von Transfereinkommen nach Sozialgesetzbuch II (Hartz-IV, bzw. Altersgrundsicherung) beinhaltet die Härtefallregelung die Übernahme der Differenz zwischen den auf gesetzlicher Grundlage übernommenen Kosten der Unterkunft und der veranschlagten Miete.

Zur Eigenkapitalausstattung der WBG sollen ihnen unentgeltlich landeseigene Grundstücke als Sachwerteinlage übertragen werden. Barmittelzuführungen – wie im Gesetzentwurf des Mietenbündnisses vorgesehen -  sind in dem Gesetz nicht geregelt, Überschüsse werden nicht mehr an das Land ausgeschüttet, sondern verbleiben in den Unternehmen. Ferner erhalten Mieter bei den WBG künftig mehr Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte, unter anderem einen Platz im neunköpfigen Aufsichtsrat jeder WBG.

Im Artikel III des Gesetzes wird die Einrichtung einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) als nachgeordneter Behörde der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung  geregelt. Diese soll künftig „politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Versorgungs- und Wohnungsmarktauftrages durch die landeseigenen Wohnungsunternehmen entwickeln, evaluieren und fortschreiben“. Sie erhält ein Vetorecht bei der Veräußerung von Vermögensanteilen der WBG, Verfügt aber über keinen eigenen Etat und darf nicht wirtschaftlich tätig werden. Das Mietenbündnis hatte in seinem Gesetzentwurf die Umwandlung der WBG in AöR vorgesehen, was von der SPD allerdings strikt abgelehnt wurde. Besonders dieser „Kompromiss“ sorgt an der Basis des Mietenvolksentscheids für heftigen Unmut. Denn die WBG sollten ursprünglich als eigenwirtschaftlich operierende Unternehmen aufgelöst und in AöR in die direkte Trägerschaft des Landes überführt werden. Noch im Juli hatten Sprecher des „Mietenbündnisses“ diese Festlegung als „unverhandelbar“ erklärt. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr.

Artikel IV des Gesetzes regelt die Einrichtung eines Sondervermögens des Landes („Wohnraumförderfonds Berlin“).  Mit dem Fonds sollen Wohnungsbau, der Erwerb von bezugsfertigen Neubauwohnungen, der Erwerb von bestehendem Wohnraum, der Erwerb von Belegungsrechten und die Modernisierung von Wohnungen finanziert werden. Das Vermögen kann nur auf Grundlage von Verwaltungsvorschriften eingesetzt werden, die im Einvernehmen der Bauverwaltung mit der Finanzverwaltung des Senats erlassen wurden. Das heißt im Klartext, Ausstattung und Einsatz des als Institution nichts rechtsfähigen Sondervermögens erfolgen stets nach Kassenlage und nicht auf der Basis verbindlicher Summen. Für die beiden kommenden Jahre gibt es zumindest für die Neubauförderung bereits Haushaltstitel. 2016 sollen 2500 Wohnungen mit insgesamt 160 Millionen gefördert werden, für 2017 ist eine Aufstockung auf 3000 Wohnungen mit einem Fördervolumen von 193 Millionen Euro geplant.     

Drei weitere, eher formale Artikel des Gesetzes regeln schließlich die Zuständigkeit der Fachaufsicht für den Wohnraumförderfonds, modifizierte Prüfungs- und Beratungsaufgaben der Investitionsbank Berlin (IBB) in Bezug auf den Sozialen Wohnungsbau und das Inkrafttreten des Gesetzes.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es sich bei dem Gesetzeswerk weniger um eine wohnungsbaupolitische Offensive, sondern vielmehr um eine Art soziales Fürsorgegesetz für ein begrenztes Segment des Berliner Wohnungsmarktes handelt. Zwar ist die Ausweitung der Subjektförderung in den Beständen des Sozialen Wohnungsbaus und der städtischen Wohnungsbaugesellschaften für die Betroffenen eine willkommen und auch bitter nötige Hilfe, doch das Kernproblem des Berliner Wohnungsmarktes bleibt weitgehend unberührt. Es fehlt schlicht an bezahlbarem Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung und es fehlt an dem politischen Willen, durch forcierten kommunalen Wohnungsbau ( und nicht -förderung!) ein wachsendes Segment von Wohnungen bereitzustellen, die dem Marktgeschehen dauerhaft entzogen sind. Die Frage, ob sich ihr Engagement angesichts dieses Ergebnisses gelohnt hat, müssen  sich vor allem die vielen aktiven Unterstützer des Mietenvolksentscheids stellen.

Rainer Balcerowiak

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