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MieterEcho online 15.12.2016

Veranstaltung der Bizim-Kiez-Initiative zu Taliesin und Wohnungspolitik

Die bereits zur Tradtion geworde  monatliche ‘Bizim-Kiez-Versammlung’ mit zumeist zahlreichen Interessierten auch aus anderen Kiezen fand am Dienstag, dem 13. Dezember, nicht auf der Straße, sondern im Watergate-Club an der Oberbaumbrücke statt. Dem geselligen Zusammensein dieser Jahresabschlussversammlung ging eine zweiteilige mietenpolitische Informations- und Diskussionsveranstaltung voran.
     Im ersten Teil stand in einem audiovisuellen Vortrag die in London entstandene Immobilienfirma Taliesin im Mittelpunkt, ein Investorenkomplex, der in ausgeklügelten Konstruktionen insbesondere über Steuerparadiese wie Jersey, Zypern und Luxemburg Wege gefunden hat, anfallende Unkosten extrem gering zu halten und Renditen überdurchschnittlich zu erhöhen. In Berlin und Potsdam besitzt die Taliesin 52 Gebäude und verfolgt hier langfristig das Ziel, die 1740 Mieteinheiten als Eigentum zu verkaufen. Den Gewerbebetrieben in den Gebäuden wird nach Ablauf der Verträge häufig rigoros gekündigt, wie es jüngst der ‘Berliner Büchertisch’ am Mehringdamm erfahren musste.
      Diese und zahlreiche andere Informationen zu Taliesin erhielten die Anwesenden an dem Abend von den Journalisten Christoph Trautvetter und Adrian Garcia Landa, von denen der Eine zu dem Zeitpunkt nicht in Berlin weilte und aus Brasilien zugeschaltet wurde. Beide hatte bei den
umfangreichen Recherchen zusammengearbeitet und ihr Ergebnis am 8. Oktober in einem mehrseitigen Magazinteil im Tagesspiegel veröffentlicht. Für Zuhörende war es trotz des sehr klaren Vortrages mit optisch begleitenden Illustrationen auf der Großleinwand nicht einfach, dieses komplizierte System mit internationalen Vernetzungen und komplexen Strategien wie Share Deals, Briefkastenfirmen, steuerfreien Weiterleitungen der Dividendeneinnahmen von Zypern aus u.a.m. wenigstens in Ansätzen zu begreifen.
    Die in der Diskussion gestellte Frage, was dagegen zu tun sei, ließ sich erwartungsgemäß nicht pauschal auf der Stelle beantworten, aber es konnten an dem Abend doch Beispiele für Teilerfolge auch im Fall Taliesin  vorgebracht werden. So berichteten anwesende Mieterinnen und Mieter aus einem der Häuser der Gesellschaft in der Muskauerstraße / Ecke Eisenbahnstraße, wie sie sich nach dem Beginn einer stark mietentreibenden energetischen Sanierung zusammengetan und mit einer einstweiligen Verfügung Erfolg gehabt hatten, da gültige Bestimmungen von den Investoren nicht eingehalten worden waren.
    Im folgenden Teil der Veranstaltung ergab sich nach einleitenden Ausführungen von Hermann Werle und Philipp Mattern von der Redaktion des MieterEcho eine Diskussion zu Fragen der Verdrängung, der Mietensteigerungen und des Wohnungsmangels insbesondere mit dem Blick auf das Regierungsprogramm des neuen Senats. In ihren Kurzvorträgen wurde ein Überblick über die Entwicklung des Wohnungsmarktes in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten in Berlin gegeben. Etwa ab 2004 kam es zur Welle eines besonders rasanten Anstiegs von Immobilienkäufen durch international zusammengesetzte Investoren mit Begleiterscheinungen wie Luxusmodernisierungen, Mietensteigerungen und Verdrängungen. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch städtische Wohnungsgesellschaften privatisiert.  Nach einer gewissen Stagnation in der Krisenphase um 2008 kam es ab 2011 zu einer neuen derartigen Welle. Die Immobilien in Berlin galten als unterbewertet im Vergleich mit anderen Großstädten.
     Das Wohnungsprogramm des neuen Senats erscheint aus der Sicht von Mattern und Werle recht ambitioniert im Vergleich mit den Vorgaben und der  Praxis des vorangehen, bleibe aber weit hinter einem wirklich bedarfsgerechten Konzept zurück, das benötigt würde. Das Neuschaffen von bezahlbarem Wohnraum sei ein dringendes Erfordernis, da es weiterhin  einen starken Zuzug nach Berlin gibt, aber es sollte dabei nicht lediglich um eine Förderung, sondern um die Herstellung von kommunbalem Eigentum gehen, damit gerechtere Wohnverhältnisse ermöglicht und stabilisiert werden. Übereinstimmung zeigte sich in der Diskussion darüber, dass die Herausbildung einer oppositionellen Bewegung in diesen Bereichen wie auch in anderen jetzt überaus wichtig ist, da das Fehlen einer kritischen linken Opposition im Parlament nach der Bildung der Dreierkoalition die Gefahr birgt, dass Forderungen über das bestehende Programm hinaus nicht mehr öffentlich vorgetragen werden.   
Jürgen Enkemann

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