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MieterEcho online 19.02.2016

Integration geht anders - Modulbauten für Geflüchtete überwiegend am Stadtrand geplant

Der Berliner Senat will auf 60 Grundstücken "Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge" (MUF) errichten, die ersten sollen bis zum Herbst dieses Jahres fertig sein. 24.000 bis 30.000 Geflüchtete sollen auf die Weise mit Wohnraum versorgt werden. Obwohl die geplanten Unterkünfte eine Verbesserung gegenüber Provisorien wie Turnhallen oder Hangars darstellen, setzen sie das Prinzip der Sammelunterkunft anstelle von Wohnungen fort. Zudem lassen die bisherigen Pläne eine Wiederkehr der Plattenbauten befürchten, und zwar vornehmlich am Stadtrand, wo sie bis 2004 noch "rückgebaut" wurden.

Eine Liste mit einer Auswahl von Grundstücken wurde vom Senat immer wieder angekündigt, lag aber bis Mitte Februar immer noch nicht vor. Die Anzahl der benötigten Grundstücke hat sich seit letztem Jahr noch erhöht, da zusätzlich 30 Containerdörfer errichtet werden sollen. Bei den Modulbauten handelt es sich um Betonfertigteilbauten für bis zu 450 Bewohner/innen. Eigentlich sollen sie über das ganze Stadtgebiet verteilt werden, aber schon früh zeichnete sich ab, dass sie sich vor allem am Stadtrand und in bestimmten Stadtteilen konzentrieren würden. Nach den vorläufigen Plänen liegt ein Großteil der Baugrundstücke in Spandau, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg. In den Innenstadtbezirken sind in der Regel keine Modulbauten vorgesehen, weil es an entsprechenden Flächen mangelt. Protest seitens der Bezirksbürgermeister regte sich schon, nachdem Anfang Dezember eine erste Grundstücksliste im Rat der Bürgermeister vorgestellt worden war. Der Ärger speist sich zum Teil daraus, dass der Senat im Fall der MUF die Planungshoheit für sich beansprucht. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vergibt letztlich die Baugenehmigungen.
Bei einigen der vom Senat benannten Grundstücke sind Interessenkonflikte vorprogrammiert, etwa bei zwei Flächen in Neukölln, auf einer steht heute der Mitmach-Zirkus "Mondeo", auf einer anderen befindet sich der Wagenplatz "Schwarzer Kanal". In Pankow lagen acht der im Dezember vorgeschlagenen Standorte in Buch, wo es sowohl Schwierigkeiten mit der Verkehrsanbindung als auch mit der sozialen Infrastruktur gegeben hätte, die Kapazitäten für Willkommensklassen sind nach Angaben des Bezirks erschöpft. Sowohl die Stadtrandlage als auch die Ballung von Unterkünften in bestimmten Gebieten dürften nicht gerade förderlich für die Integration sein. An manchen Standorten werden Migrant/innen auch rassistischen Anfeindungen ausgeliefert sein. So mobilisiert aktuell eine von der NPD organisierte Bürgerinitiative gegen eine geplante Unterkunft für Geflüchtete der Howoge am Hagenower Ring in Hohenschönhausen.

Vom Wohnen zur Unterbringung

Die Unterkünfte für insgesamt 24.000 bis 30.000 Menschen sollen durch den Senat, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und die berlinovo realisiert werden, konkrete Pläne gibt es bereits seitens der Howoge und der Gewobag. Sowohl die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als auch die Wohnungsbaugesellschaften in ihren Ausschreibungen haben den Anspruch formuliert, dass die Gebäude längerfristig zu Wohnzwecken genutzt werden sollten, in der ersten Ausschreibung des Senats wurde eine Haltbarkeit von 100 Jahren gefordert. Es stellt sich daher die Frage einer späteren Umnutzung.
Hier scheinen sich die Befürchtungen der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW) zu bewahrheiten, dass mit den Modulbauten eine Verschiebung vom "Wohnen" zur "Unterbringung" stattfinden könnte. Häufig wird etwa der Umbau zu Wohnungen für Studierende vorgeschlagen. "Sollte der Tag kommen, an dem die Flüchtlinge diese modularen Bauten nicht mehr komplett auslasten, könnten die Sozialämter auf die Idee kommen, dort auch andere Menschen unterzubringen", meinte Sebastian Gerhardt von der INKW auf einer Veranstaltung der Berliner Mietergemeinschaft am 3. Dezember 2015.
Aber auch Geflüchtete könnten langfristig in diesen Unterkünften stranden, solange der Wohnungsmarkt weiterhin angespannt bleibt. Zwar ist es der Mehrheit der Migrant/innen nach sechs Monaten erlaubt, eigene Wohnungen zu suchen, ein entsprechendes Angebot im bezahlbaren Segment fehlt aber häufig. Außerdem verhindert die Langsamkeit der Bürokratie am LaGeSo, dass Mietverträge zustande kommen. Es bestünde die Gefahr, "dass der trockene, gut geheizte, vielleicht sogar mit Licht versehene Platz im Wohnheim am Ende für eine bestimmte Bedürftigkeitsgruppe als akzeptable Alternative zu einer eigenen Wohnung ausgegeben wird", so Gerhardt. Ähnliche Kritik äußert der Flüchtlingsrat Berlin. "Modulbauten sind sinnvoll, wenn als normaler Wohnraum nutzbare abgeschlossene Wohneinheiten mit Küche und Bad geschaffen werden, die einer dauerhaften Bindung als Sozialwohnungen für Geflüchtete und andere wohnberechtigte Nutzer unterliegen", erklärt Georg Classen. Im Entwurf der Senatsbauverwaltung, der dem Flüchtlingsrat vorliege, seien aber fensterlose Gemeinschaftsküchen und -sanitäranlagen vorgesehen. "Offenbar sollen diese Gebäude langfristig als Behelfsunterkünfte für Geflüchtete und Wohnungslose dienen."
Das Prinzip der Behelfs- und Sammelunterkünfte ist keineswegs als kostensparend anzusehen, denn anders als bei Mietwohnungen, in denen Menschen ein eigenständiges Leben führen können, sind in der Regel Firmen zwischengeschaltet. Hohe Betriebskosten entstünden für Wachschutz, Sozialbetreuung und ggf. Catering, so Classen. In den Berliner Sammelunterkünften, beispielsweise im ehemaligen Flughafen Tempelhof, liegen die Tagessätze für Personal bei mindestens 15 Euro, für Catering bei 10 Euro, hinzu kommen
 die Kosten für Miete, Energie
 und Ausstattung der Gebäude. "Zieht man den Verpflegungsanteil bei Selbstversorgung von ca 5 Euro ab, ergeben sich zusätzlich zur Miete 20 Euro/Tag bzw. 600 Euro/Monat als Kosten der Entmündigung, der Ausgrenzung und der Abschreckung."

Modulbauten als "Pionier-Wohnungsbau"

Die eine Frage, die die modularen Bauten nach sich ziehen, ist die Verstetigung des Provisoriums und der Entmündigung. Die andere Frage ist die der Möglichkeit von Integration. Des öfteren werden Vorstellungen einer Mischnutzung etwa durch Geflüchtete, Studierende und Senior/innen geäußert. Das dürfte aber vorerst nur möglich sein, sofern für die Flächen auch ein Bebauungsplan vorliegt. Nach der Änderung des Baugesetzbuchs im November können befristete Flüchtlingsunterkünfte im "Außenbereich" errichtet werden, d.h. auf Grundstücken, für die kein qualifizierter Bebauungsplan vorliegt. Sind im gleichen Gebäude auch Wohnungen für Studierende vorgesehen, dürfte es mit der vereinfachten Genehmigung schwierig werden.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kommt daher auf die Idee, den Flüchtlingsunterkünften in Modulbauten einen Pioniercharakter bei der Entwicklung neuer Stadtquartiere zuzuschreiben. Unter Punkt 1 der "9 Punkte für Wohnungsneubau und soziale Mietenpolitik" heißt es: "Pionier-Wohnungsbau für Flüchtlinge wird der Nukleus für die weitere Entwicklung der Quartiere mit normalem Wohnungsbau." Der Pressesprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Martin Pallgen, erläutert die Idee anhand der Elisabeth-Aue in Pankow. Nach normalem Planungsrecht könne dort frühestens 2018/19 gebaut werden. "Hier wäre es möglich, mit Flüchtlingsunterkünften zu beginnen (und zwar sofort, was dringend erforderlich ist), und parallel dazu läuft das B-Planverfahren regulär weiter (...). Die modularen Unterkünfte könnten dann, wenn sie nicht mehr als Flüchtlingsunterkünfte gebraucht werden, als Studierendenwohnungen oder soziale Einrichtungen, altersgerechtes, generationenübergreifendes Wohnen etc. weitergenutzt werden." Nicht alle werden mit der Sichtweise des Senats konform gehen, denn letztlich werden - mit auf 50 bis 100 Jahre ausgelegten Modulen Tatsachen geschaffen, bevor Planungsrecht vorliegt. Bei Anwohner/innen könnte daher das ungute Gefühl entstehen, dass Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung ausgehebelt werden.

Jutta Blume


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