Interessengemeinschaft und Beratung für Berliner Mieter

MieterEcho online 20.11.2015

„Die Ursache der jetzigen Krise hat mit Flüchtlingen gar nichts zu tun.“

Die Probleme bei der Unterbringung von Geflüchteten sollten Anlass für ein Umdenken in der Wohnungspolitik sein

Interview mit Bernd Mesovic von Pro Asyl

Der Abschied vom sozialen Wohnungsbau fällt der Politik heute auf die Füße. Über Jahrzehnte war der soziale Wohnungsbau ein Auslaufmodell. Anstatt Wohnraum zu schaffen, wurden Instrumente wie das Wohngeld eingeführt und öffentliche Wohnungsbestände privatisiert. Damit gingen staatliche Interventionsmassen verloren, um Notlagen substanziell zu beheben, meint Bernd Mesovic von Pro Asyl. Er fordert nicht nur eine Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus, sondern auch wohnungspolitische Veränderungen auf Bundesebene.


MieterEcho: Herr Mesovic, warum ist es so schwierig, die Krise der Flüchtlingsunterbringung zu lösen?

Bernd Mesovic: Ich habe den Eindruck, dass es eine sehr große Herausforderung für die Gesellschaft ist, zugleich die akuten Schwierigkeiten bei der Notunterbringung zu bewältigen und zu realisieren, dass wir jetzt ein umfangreiches Wohnungsbauprogramm starten müssen, um das Problem dauerhaft in den Griff zu bekommen. Gelingt es uns nicht, beides miteinander zu verbinden, werden wir uns auch in Zukunft immer nur auf der Ebene von Notlösungen und Provisorien bewegen.

Die Notlösungen und Provisorien werden zurzeit erheblich ausgebaut. Funktioniert die Erstaufnahme überhaupt noch?

Ursprünglich waren die Erstaufnahmeeinrichtungen zur begrenzten Unterbringung von Menschen während der Registrierung der Asylanträge und der ersten Anhörung gedacht. Inzwischen haben wir aufgrund des Verwaltungsversagens und der hohen Zahl von Flüchtlingen eine völlig aufgeblähte Erstaufnahme, in der das eigentliche Kerngeschäft, also die schnelle Registrierung, überhaupt nicht mehr klappt. Der Gesetzgeber reagiert auf diese schwierige Situation mit der seltsamen Idee, die behelfsmäßige Unterbringung noch weiter auszubauen und die Aufenthaltsdauer auf bis zu sechs Monate zu verlängern.

Sie kennen diese Unterkünfte von innen. Was spielt sich dort ab?

Wer einmal im Winter in diesen üblichen Containern gewesen ist, weiß, welche Folgeprobleme jemand hat, der da mit seiner Familie auf engstem Raum lebt und nachts, vielleicht noch durch den Matsch, zu einer Sanitäreinrichtung schlurfen muss. Von der mangelnden Schall- und Wärmeisolierung, der Kondenswasserbildung und weiteren Mängeln einmal ganz zu schweigen. Diese Situation hat sich weiter zum Negativen entwickelt. Noch vor einem Jahr waren Container oder gar Zelte eher die Ausnahme. Inzwischen machen sie einen Großteil der provisorischen Wohnformen aus. Und dass Zelte nicht für den Winter geeignet sind, liegt auf der Hand, selbst wenn sie behelfsmäßig geheizt sind.

Pro Asyl warnt davor, dass aus diesen Provisorien ein Dauerzustand werden könnte.

Ja, denn diese Provisorien neigen dazu, sich zu verstetigen. Das hat viele Gründe, vor allem auch, weil mittel- und langfristige Lösungen nicht zeitnah angegangen werden und man sich damit zufrieden gibt, dass Obdachlosigkeit abgewendet wird. Dadurch ändert sich aber auf Dauer nichts. Auch muss immer darauf hingewiesen werden, dass die provisorische Unterbringung die dort Lebenden stigmatisiert. Jede Erstaufnahmeeinrichtung und jede provisorische Unterkunft kann schnell zum Kristallisationspunkt von fragwürdigen Debatten werden und Probleme befeuern, wie sie vielerorts mit Blick auf die rechte Szene bestehen.

Was wäre die Alternative?

Das Ziel muss die Wohnungsunterbringung sein. Auch aus integrationspolitischer Sicht muss verhindert werden, dass Menschen über Jahre hinweg in Not- und Großunterkünften isoliert werden. Außerdem handelt es sich bei diesen Unterkünften um eine sehr teure Veranstaltung. Wir werfen im Moment irgendwelchen privaten Betreibern Tagespauschalen in den Rachen, von denen am Ende niemand etwas hat außer den Betreibern selbst. Dieses Geld wäre in einem öffentlichen Wohnungsbestand viel sinnvoller angelegt.

Warum stehen die Kommunen bei der Wohnungsunterbringung heute so hilflos da?

Es gibt in allen Ballungszentren schlichtweg zu wenige Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung. Und zwar schon seit Jahren. Die staatliche Pflicht, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen stößt heute an Grenzen, weil die Kommunen über keinen eigenen Wohnungsbestand mehr verfügen. Das aktuelle Problem hat strukturelle Ursachen und die resultieren aus politischen Entscheidungen.

Die Fehler der Vergangenheit fallen der Politik also heute auf die Füße?

Seit den 1980er Jahren beobachten wir in der Bundesrepublik eine Entwicklung, die die Wohnungspolitik in eine Wohnungsmarktpolitik umwandelt. Über Jahrzehnte galt die neoliberale Ideologie, wonach der soziale Wohnungsbau ein Auslaufmodell ist. An die Stelle der Bereitstellung von Wohnraum traten Instrumente wie das Wohngeld oder die Wohnkostenerstattung. Hinzu kam die Privatisierung öffentlicher Bestände. Damit ging jede staatliche Interventionsmasse verloren, mit der man Notlagen wirklich substanziell beheben kann. Das ist die Vorgeschichte und die begann noch lange, bevor überhaupt Flüchtlinge in großer Zahl nach Deutschland kamen. Insofern hat die eigentliche Ursache der jetzigen Krise mit Flüchtlingen gar nichts zu tun. Die heutige Problemlage resultiert aus der Privatisierung und der Verabschiedung von einer aktiven Wohnungspolitik. Es sind auch diese strukturellen Probleme des deutschen Wohnungsmarkts, die es privaten Unternehmern heute erlauben, aus der Flüchtlingsunterbringung Profit zu schlagen.

Also handelt es sich gar nicht um eine reine Flüchtlingsfrage?

Die Frage der angemessenen Unterbringung von Flüchtlingen stellt sich als Teilfrage eines größeren sozialen Problems: Wie können Menschen mit begrenztem Einkommen zu bezahlbarem Wohnraum kommen?

Welche Perspektive sehen Sie da?

Wir müssen den sozialen Wohnungsbau wiederbeleben. Dazu muss der Bund die Kompetenzen in der Wohnraumförderung wiedererlangen, die er etwa durch die Föderalismusreform 2006 aus der Hand gegeben hat. Und er muss erheblich investieren. Dafür ist eine mittel- und langfristige Planung erforderlich, die eigentlich schon vor Jahren hätte erfolgen müssen.

Von welcher Größenordnung sprechen wir?

Bis zum Jahresende werden etwa 800.000 Asylsuchende erwartet. Wenn wir davon ausgehen, dass rund die Hälfte davon bleiben wird, kommen wir auf 400.000 Menschen. Das heißt, dass wir allein für diese Personengruppe und in diesem Jahr eine sechsstellige Zahl von Wohneinheiten bräuchten. Die Flüchtlingszahlen werden in den nächsten Jahren nicht wesentlich abnehmen. Wenn man beachtet, dass es auch viele Einheimische gibt, die auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum sind, dann wird schnell deutlich, dass wir nicht mehr nur über Kleinteiliges reden dürfen. Nach Berechnungen des Pestel-Instituts aus Hannover fehlen ohnehin vier Millionen öffentlich finanzierte Wohneinheiten. Die wird man nicht allein durch Baulückenbebauung schaffen, hier geht es um die Dimension ganzer Stadtteile. Und zwar nicht auf dem flachen Land, sondern in den Ballungszentren. Die großen Städte sind die Integrationsmaschinen, dort gibt es Jobs, dort wollen Flüchtlinge wie Einheimische leben. Das ist stadtplanerisch wie politisch eine enorme Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Klar ist auch, dass Milliardenbeträge in diesen Bereich gehen müssen. Aus der Portokasse werden wir weder einen neuen sozialen Wohnungsbau noch eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen bezahlen können.

Was genau bedeutet in diesem Zusammenhang eine menschenwürdige Unterbringung?

Das ist eine wichtige aber schwierige Frage. Auf jeden Fall würde ich die Betroffenen selbst fragen wollen, worunter sie am stärksten leiden und was Qualität für sie bedeutet. Man wird da sehr verschiedene Antworten kriegen. Im Moment dürfte es vor allem die große Enge sein, die extrem belastend ist und den Menschen in den Notunterkünften jede Privatsphäre nimmt. Ich denke hier vor allem an jene, die besonders schlimm gelitten haben unter den Ereignissen ihrer Flucht und nun in der großen Masse unterzugehen drohen. Umgekehrt wird es auch in solch schwierigen Situationen Flüchtlinge geben, die sich wohlfühlen, weil sie nicht an abgelegenen Orten oder in irgendwelchen Industriegebieten leben, sondern guten Kontakt mit zumindest Teilen der Bevölkerung haben und nicht als „Exoten“ ständig an den Pranger gestellt werden. Wohnqualität hat in dieser Hinsicht auch viel mit dem sozialen Umfeld zu tun. Deshalb betrachten wir auch mit großer Sorge die zunehmende Ermöglichung der Unterbringung in bisher nicht dafür vorgesehenen Gebieten.

Vielerorts wird über neue Arten des Wohnungsbaus diskutiert, etwa in Leichtbauweise. Sehen sie die Gefahr, dass dadurch gängige Wohnstandards auf Dauer unterschritten werden könnten?

Also, was die Flüchtlingsunterbringung angeht, da gibt es leider kaum Standards, die man unterschreiten könnte.

Das müssen sie erklären.

Ich meine damit, dass sich in den ganzen letzten Jahren, in denen die Flüchtlingszahlen zeitweilig wesentlich niedriger waren, kaum irgendwo verbindliche und vertretbare Mindeststandards etabliert haben. Es ist unglaublich, dass in einem Land, das alles so sehr durchzuregeln gewohnt ist, gerade der Bereich der Flüchtlingsunterbringung immer so eine – ich sage mal – politisch bewusst nicht gestaltete Grauzone geblieben ist. Das muss sich ändern.

Was heißt das, sowohl für die Unterbringung von Geflüchteten als auch für den Wohnungsbau?

Wichtig ist, dass wir überhaupt einmal weg denken von diesen containerähnlichen Lösungen. Der bessere Container ist ja heute oft das Äußerste, das Flüchtlinge auf Monate oder gar Jahre zu erwarten haben. Wünschenswert wäre eine Entwicklung, die aus der Notlage eine Tugend macht und wirklich innovative Optionen durchspielt, ohne dass dabei die wichtigen Standards unterschritten werden. Die Debatte um das Herunterschrauben von geltenden Richtlinien im Wohnungsbau finde ich auch problematisch. Aber ich glaube, man muss auch Kreatives zulassen. Gerade unter dem Stichwort „modulare Holzbauweise“ scheint mir viel Spannendes dabei zu sein. Ich bin selbst kein Bauexperte und ich frage mich immer: Wo bleibt eigentlich aktuell der Architektenwettbewerb, wo bleiben die Modellprojekte? Es gibt ja diverse Anbieter, die das leisten könnten, nicht nur kommerzielle. Auch Universitäten könnten Modellunterkünfte entwerfen, die innovativ sind, aber in ihrer Qualität und Lebensdauer dem normalen deutschen Wohnungsbau gleichkommen. Besser als das, was heute phantasielos in der Not hingestellt wird, wäre das allemal.

Es gibt ja zumindest zögerliche Versuche, den sozialen Wohnungsbau zu stärken, um Flüchtlingsunterkünfte bereitzustellen. Geplant ist, dass Bundesliegenschaften den Kommunen zur Verfügung gestellt werden und die KfW-Bank soll ein Förderprogramm auflegen.

Der Gesetzgeber scheint inzwischen erkannt zu haben, dass man in diese Richtung gehen muss und es gibt ja zumindest einige Kommunen, die angefangen haben zu bauen, noch bevor eine wirkliche Debatte oder gar eine Richtlinie zu einer neuen Form des sozialen Wohnungsbaus ergangen ist.

Viele Kommunen ächzen bereits heute angesichts der Flüchtlingszahlen. Würde man sie nicht völlig überfordern, wenn sie jetzt auch noch bauen sollen?

Im Gegenteil, jetzt schon zu Bauen drängt sich in vielen Fällen geradezu auf, weil die Zinsen historisch niedrig sind und die Kommunen ihre Bauten auch gegenfinanzieren könnten – aus den Erstattungen der Länder, sofern dort Asylsuchende untergebracht sind. Wenn anerkannte Flüchtlinge dort wohnen, dann aus den Wohnkosten im Rahmen von Hartz IV.

Also erst einmal ein soziales Wohnungsbauprogramm extra für Geflüchtete?

Keineswegs. Zum einen sehe ich die Gefahr der Segregation, wenn man reine Flüchtlingssiedlungen baut. Einem neuen sozialen Wohnungsbau muss vielmehr ein gutes und integriertes Konzept zugrunde liegen. Das umso mehr, weil es sich ja zweitens um gar kein reines Flüchtlingsproblem handelt. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum betrifft alle Menschen, die über kein hohes Einkommen verfügen. Sie haben in dieser Hinsicht ganz ähnliche Probleme wie die Flüchtlinge, was heute aber leider oft zu völlig unsinnigen Konkurrenzsituationen führt. Insofern würden wir uns als Gesellschaft insgesamt etwas Gutes tun, wenn wir jetzt mit dem sozialen Wohnungsbau im großen Stil loslegen. Und zwar als Gemeinschaftsveranstaltung – nicht für die Flüchtlinge, sondern mit ihnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Philipp Mattern.

Bernd Mesovic ist stellvertretender Geschäftsführer und verantwortlich für die Pressearbeit von Pro Asyl. Die unabhängige Menschenrechtsorganisation setzt sich seit 25 Jahren für die Rechte von Geflüchteten in Deutschland und Europa ein. Mehr Informationen: www.proasyl.de

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