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MieterEcho online 07.09.2016

Hoffest gegen Verdrängung in der Koloniestraße

Seit fast einem Jahr kämpfen BewohnerInnen der Koloniestraße gegen Mieterhöhungen in ihrem Block. Am Sonntag luden die protestierenden MieterInnen gemeinsam mit dem Bündnis „Hände weg vom Wedding“ und anderen Initiativen zu einem zweiten Hoffest. „Wir wollen als Hausgemeinschaft zusammenkommen, damit niemand dem Druck und den Drohungen des Vermieters allein ausgesetzt ist“, hieß es in der Einladung. Etwa 80 BesucherInnen tauschten sich untereinander aus und malten Transparente für die Demonstration des Mieten-Stopp-Bündnis, die am nächsten Samstag, den 10.09, um 14 Uhr vom Platz der Luftbrücke startet.  Zudem gab es eine Diskussionsrunde mit den örtlichen Wahlkreiskandidaten von SPD, CDU, Grünen und Linken.

Problem Kostenmiete
Ab dem ersten Dezember des letzten Jahres sollten die Kaltmieten für insgesamt 157 Wohnungen in den Häusern 2, 2a, 6, 6a, 6b, 7 und 8 von monatlich sechs auf 12 Euro pro Quadratmeter steigen. Grund dafür ist der Wegfall der Anschlussfinanzierung der sozialen Wohnungsförderung. VermieterInnen können dann die Kostenmiete verlangen, welche kostendeckend für die laufenden Ausgaben der EigentümerInnen sein soll. Häufig ist sie viel höher als die ortsübliche Vergleichsmiete. Der Profit für die Eigentümer ist nach Ablauf der Anschlussförderung daher umso größer. Im Fall der Koloniestraße kommt eine weitere Obskurität aus der Fehlkonstruktion sozialer Wohnungsbau hinzu. Die von den EigentümerInnen veranschlagte Kostenmiete bezieht sich laut Wirtschaftlichkeitsrechnung auf die ursprünglichen Baukosten von 32 Millionen Euro. 2010 kauften sie den Gebäudekomplex jedoch nach der Insolvenz des vorherigen Eigentümers für nur 10 Millionen Euro. Die Differenz wurde im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch Steuermittel in Form von Subventionen und Garantien gedeckt. Trotzdem ist die Geltendmachung dieser fiktiven Kosten bisher durch die VermieterInnen im Rahmen des Einfrierungsgrundsatzes gesetzlich gedeckt.

Entschlossene Proteste gegen die Mieterhöhung
Rund 80 der ca. 500 betroffenen MieterInnen schlossen sich Ende letzten Jahres zusammen, um gegen die Mieterhöhungen zu protestieren und eine Abschaffung der fiktiven Kosten im sozialen Wohnungsbau zu verlangen. Seitdem ist viel passiert. Im Kiez hängen Plakate in Fenstern und Geschäften, die Solidarität mit den widerständigen BewohnerInnen der Koloniestraße bekunden. Mit kreativen Protestaktionen in der Niederlassung der Eigentümer, beim SPD Landesparteitag und auf der Walpurgisnachtdemonstration gegen hohe Mieten und Gentrifizierung im Wedding machten die kämpfenden MieterInnen auf die dramatische Situation von ca. 20.000 Sozialwohnungen aufmerksam, die akut Gefahr laufen, aus der Anschlussförderung herauszufallen. Gegen die Mieterhöhung legten 62 MieterInnen Widerspruch ein, welcher mit einer Aktion im März öffentlich  übergeben wurde. Eine Antwort sollte bis April erfolgen. „Die Gegenseite hat den Widerspruch nicht akzeptiert. Die Vermieter arbeiten mit Tricks und Hinhaltetaktiken“,  gibt Lisa Peters*, eine Mieterin aus der Koloniestraße, konsterniert gegenüber dem MieterEcho zu Protokoll. Der Aufforderung auf Einsicht in die Wirtschaftlichkeitsrechnung, um die tatsächlichen Kosten der Eigentümer zu überprüfen, kämen sie nur zögerlich nach. „Die vorliegende Version ist nur drei Seiten lang und enthält Widersprüche. Für die vollständige Einsicht verlangt der Anwalt der Gegenseite mehrere Hundert Euro pro Dokument.“

Zu wenig Unterstützung durch das Bezirksamt
Das Bezirksamt reagierte auf den Protest und stellte Ende Dezember letzten Jahres rückwirkend fest, dass die Häuser keine Gebäude des sozialen Wohnungsbaus mehr sind. Mieterhöhungen sind somit nur auf der Basis der ortsüblichen Vergleichsmiete erlaubt – und eine solche ist auf 15 Prozent der Nettokaltmiete für drei Jahre beschränkt. Die Eigentümer haben dagegen Einspruch eingelegt, nun entscheiden die Gerichte über den Fall. Ein gerichtlicher Eilantrag des Bezirksamts wurde abgeschmettert. Die verlangte Mieterhöhung zahlen die MieterInnen seither nicht. Lisa fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. „Ich freue mich für die Klage durch das Bezirksamt, aber das hat uns unglaubliche Vorarbeit gekostet. Erst der Druck auf die Politik hat die Verantwortlichen zum Handeln bewegt. Mit dem Bezirksamt gibt es keine wirkliche Zusammenarbeit. Wir wünschen uns mehr Austausch und Informationen, aber daran scheint kein Interesse zu bestehen. Niemand setzt sich mit den betroffenen Menschen in den Hof und erklärt ihnen die Vorgänge. Die Experten und Politiker reden immer nur über unsere Köpfe hinweg. Für viele Nachbarn ist die Problematik  nicht verständlich.“ Die vom Bezirksamt erhoffte Aberkennung der sozialen Bindung sieht sie mit Sorge. Viele BewohnerInnen sind vom Jobcenter abhängig oder leben mit Behinderung in extra ausgebauten Wohnungen. Ob sie sich nach einem Herausfallen ihrer Wohnungen aus der sozialen Förderung die Miete noch leisten können ist unklar. Eine Wohnung mit einer vergleichbaren Miete im Wedding zu finden wird schwierig, schließlich sind die Mieten in den letzten Jahren drastisch gestiegen „Die Folgen der Aberkennung des sozialen Status sind nicht absehbar. Unser Haus ist ein funktionierender sozialer Wohnungsbau mit einer guten Mieterstruktur. Eigentlich müssten wir das Bezirksamt verklagen, weil es die soziale Bindung auflösen will.“


Die Angst geht um im Block
Sollte das Bezirksamt seine Rechtsposition nicht durchsetzen können, haben die Eigentümer bereits angekündigt die volle Summe der Mieterhöhung rückwirkend zu verlangen. Damit wären viele BewohnerInnen zum Auszug gezwungen. Rund 20% der Nachbarn sind direkt nach der Ankündigung der Mieterhöhung ausgezogen. „Die Leute mussten die Wohnungen vor dem Auszug umfassend renovieren. Viele haben trotzdem ihre Kaution nicht zurückerhalten. Seit der Klage schrecken viele vor den hohen Kosten zurück. Auszüge gibt es daher seither nicht mehr. Aber unsere fiktiven Schulden steigen tagtäglich, die Nachbarn haben Angst. Auch die Briefe des Vermieter sind sehr unangenehm“, sagt Lisa Peters. Das Bezirksamt hat angekündigt im Falle einer gerichtlichen Niederlage die zusätzlichen Kosten zu übernehmen, jedoch nur für ALG II BezieherInnen. Lisa gehört dazu. „Es sind schon jetzt ein paar Tausend Euro. Es geht mir wirklich schlecht wenn ich daran denke“. Neuvermietete Wohnungen in den Häusern werden nicht als Sozialwohnungen mit der hohen Kostenmiete angeboten, sondern nach dem Vergleichsmietensystem. Daher sind die Neuvertragsmieten niedriger als die Forderungen der EigentümerInnen an die BestandsmieterInnen. „In erster Linie ziehen junge Studenten ein, türkische Familien sind keine mehr dabei.“


Expertenkommission fordert Reform der Kostenmiete

In der Diskussion auf dem Hoffest wurden die Vorschläge einer vom Senat eingesetzten Expertenkommission zur Reform des sozialen Wohnungsbaus hinsichtlich der Abschaffung der fiktiven Kosten vorgestellt. Darin wird vorgeschlagen, VermieterInnen von Objekten, die vor Inkrafttreten des Wohnraumgesetzes Berlin am 10. Juli 2011 veräußert wurden und die weiterhin als öffentlich gefördert gelten, nicht länger zu gestatten, gegenüber MieterInnen Kosten in Rechnung zu stellen mit denen der Rechtsvorgänger des Vermieters oder ein Dritter, nicht aber der Vermieter selbst belastet ist. Im Klartext, VermieterInnen dürfen bei der Berechnung der Kostenmiete nur die laufenden Aufwendungen in die Wirtschaftlichkeitsberechnung einstellen, mit denen sie tatsächlich selbst belastet sind. Kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen und angesichts der Anwesenheit betroffener MieterInnen begrüßten die Vertreter aller Parteien die Vorschläge. Aus dem Publikum wurde Kritik am zögerlichen Vorgehen des Senats und die spärlichen Informationen zum Stand des Gerichtsverfahrens durch den Bezirk laut. Ein Abschaffen der fiktiven Kosten allein hält für Investoren jedoch weitere Hintertüren offen. Ein profitabler Ausweg könnte über den §5 des Wohnraumgesetzes führen. Mit der 2011 im Berliner Wohnraumgesetz geschaffenen Regelung kann bei einem Eigentümer- oder Gesellschafterwechsel von Wohnungen ohne Anschlussförderung in das Vergleichsmietensystem gewechselt werden. Die Sozialbindung entfällt ersatzlos. Fielen die großen Renditen durch die Kostenmiete nach einer Gesetzesänderung weg könnte der Ausstieg aus der sozialen Bindung für viele EigentümerInnen ein rentabler Weg sein. Die Expertenkommission empfiehlt die Streichung des §5.

Mehr Mut zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit
Kernproblem des sozialen Wohnungsbaus bleibt jedoch das befristete Fördermodell an sich. Dieses sieht nur eine zeitlich begrenzte Kappung der Mieten durch die öffentliche Subventionierungen vor und nicht die Schaffung von dauerhaft preisgünstigem Wohnraum. Wann die Gerichte über den Fall in der Koloniestraße entscheiden ist unklar, das Verfahren wird sich aller Voraussicht nach noch weiter in die Länge ziehen. Ebenfalls ist völlig offen, ob die Vorschläge der Expertenkommission in der nächsten Koalition auf Gegenliebe stoßen. Lisa gibt sich trotzdem kämpferisch „Die Menschen sollten mehr Mut haben sich zur Wehr setzen. Auch wenn das Gericht gegen uns entscheidet, man sollte aufstehen und gegen das Unrecht protestieren.“


*Name von der Redaktion geändert

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